Der britische Psychotherapeut Adam Phillips hat darauf eine verblüffende Antwort. Monogamie wird uns buchstäblich in die Wiege gelegt, wir hängen an einer monogamen Nabelschnur, mit deren Durchtrennung der erste Verrat beginnt. Tief eingebrannt ins Vorbewußte, in die kleinkindliche Weltwahrnehmung, spüren wir dann zeitlebens, daß es so etwas gab wie eine exklusive Zweierbeziehung - bis zu dem Tag, da sie jemand durchschnitt. Exklusivität und Verrat - diese Dyade werden wir ein Leben lang nicht mehr los. Wir suchen die Nähe eines anderen Menschen nur für uns, und ahnen doch schon zu Beginn, daß es damit nicht lange währen wird. Überspitzt gesagt, hält sich in unserem Liebes- und Sexualleben die Wunde Geburt wach, als sei der Schmerz so süß gewesen, daß man ihn nicht missen möchte. Es kämpft eine Kindheitsvorstellung - das ist die Monogamie - gegen das Erwachsenen-Ich der streunenden Sexualität. Daß ein Grundpfeiler fast aller entwickelten Zivilisationen in einer frühkindlichen Vorstellung wurzelt, hätte vor einem halben Jahrhundert noch skandalisiert. Heute hingegen amüsiert es eher, streng nach dem Klischee, daß Aufsichtsratssitzungen gruppendynamisch am Sand-kastenspiel orientiert seien. Die postindustrielle Gesellschaft läßt sich sehr gut aus infantilen Bedürfnissen erklären, Adam Phillips macht da keine Ausnahme. Bis auf den Punkt, daß dieses ganze Buch eine Ausnahme ist. Im Meer der Psychoratgeber, seriös wie unseriös, esoterisch wie streng wissenschaftlich, funkelt das schmale, schön ausgestattete Taschenbuch - übrigens vorzüglich übersetzt von Michael Walter -, wie ein geheimnisvoller Edelstein. Wo andere Theorien bemühen, Zusammenhänge konstruieren, Lebensgeschichten aufzeigen, Konflikte entschärfen, Ratschläge geben, schießt Adam Phillips kleine, spitze, giftige Pfeile ab: "Monogamie" ist - ein Widerspruch in sich - ein aphoristischer Ratgeber. Widerspruch, weil man sich an Aphorismen delektieren oder verletzen kann, aber keineswegs nach ihnen zu leben vermag. Ja Phillips macht sich sogar einen Jux daraus, alle Widersprüche des Konzepts von mehreren Seiten her gleich einleuchtend zu begründen. Und seine Sätze sind wirklich schön, Post-kartenslogans, Wandsprüche. "Ein Paar", schreibt er, "ist eine Verschwörung auf der Suche nach einem Verbrechen. Oft kommt dabei höchstens Sex heraus." Oder: "Wenn man sein Leben als Teil von jemand anderem beginnt, ist die eigene Unabhängigkeit eine Verstümmelung." Oder: "Unser Liebesleben bildet den Ver-such zu einer Politik, die zu gut für die Welt ist." - Und so weiter, und so weiter, das entzückt und überrascht, aber es ist wenig nahrhaft, am wenigsten in der konkreten Situation. Wer gerade dabei ist, eine Paarkonstellation nach einer Seite hin zu öffnen, sollte sich keinen Trost von diesem Buch versprechen, wenngleich er summasummarum den Autor in seinen eigenen Netzen zappeln sieht. Denn so sorgsam Adam Phillips Werturteile vermeidet, trägt er doch das Dilemma am eige-nen Leib. Jede seiner geschärften Sentenzen schwitzt die Sehnsucht nach einem wilden, freien, anarchistischen Liebesleben aus. "Das Problem - oder das eigentliche Vergnügen - der Ehe ist", notiert der Therapeut etwas verdruckst, "daß man sie nicht als Affäre bezeichnen kann. Wenn das Wort nicht paßt, dann passen auch die Genitalien nicht." Die kleine Parenthese verrät, wie wenig auch ein heller Geist seiner puritanischen Prägung zu entrinnen vermag. Immer wieder versucht ein der Ehe Abrünniger ihre Nachteile als Gewinn zu verkaufen; über-zeugend ist das nicht, aber entlastend. Kein Untreuer muß sich alleine fühlen auf der Welt, im Gegenteil, wären alle ehrlich, fänden sich die wirklich Monogamen in einer bedrückenden Minderheit wieder. Wo es schöner ist - in der Masse der Schuldbeladenen oder im Zirkel der Unbefleckten - verrät das Buch nicht. Aber wahrscheinlich ist das eine ohne das andere nur halb so angenehm, und man muß das beste aus seinem Unvermögen machen. Wie schreibt der Aphoristiker so trefflich? "Wir sind die Tiere, die irgendwo überfordert sind."