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"Monsun im April"

Die Autorin Theresia Walser hat am Mannheimer Nationaltheater in der Regie von Burkhard Kosminski ihr Stück Monsun im April auf die Bretter gebracht. Vordergründig ein Stück über Frauen in Führungsetagen, aber vielmehr ein Beziehungsstück über Erwartungen ans Leben, die Männer und die Liebe und über abgründige Versprechen.

Von Cornelie Ueding |
    Alles ist ver-rückt. Nichts (mehr), wie es sein sollte: die Mutter hat Erinnerungslücken und steht im Altenheim im Abendkleid herum. Den Exfreund hat die Regenzeit in Indien ganz und gar zur falschen Zeit erwischt. Man weiß nur nicht, ist das eine Folge der Erderwärmung oder kaschiert er mit den Regen-Horror-Geschichten bloß sein geschäftliches Scheitern? Vor allem aber ist die Frau des Chefs seit drei Monaten verschwunden. Einfach so? Man weiß es nicht, und man erfährt es auch nicht in Monsun im April, Theresia Walsers jüngster Auftragsarbeit für das Mannheimer Theater.

    Für Maja jedenfalls hat dieses Verschwinden nur Vorteile. Jetzt ist sie auf der Karriereleiter hochgefallen, in eine "Position" aufgerückt. Ein junges Ding in Reiterhosen. Sie liefert eine show-reife Chefpantomime, ist schnippisch zur Mutter, ungreifbar für den Exfreund, die Sekretärin, den tätschelnden Chef - und auch für die Zuschauer. Nur zwei Reisende aus Brüssel, Galgenvögel, die sich erst bei Maja, dann bei ihrem Ex einnisten, behaupten Bescheid zu wissen: Da war doch was, eine gemeinsame Nacht in Brüssel, mit viel zu viel Alkohol - Erinnerungslücken inklusive!
    Und während Maja innerlich ihre Rede auf die verschwundene Chefin modelliert - gipfeln die Anspielungen der ungebetenen Gäste in der Behauptung: Es war ein Auftragsmord. Ein Geschenk für Maja. Und mit tückischem Grinsen und schrillem Gelächter reiben sie ihr unter die Nase, wie selbstlos sie gehandelt haben. Nicht mal eine Gegengabe erwarten sie für ihre "Gabe". Selbst Essenseinladungen weisen sie strikt zurück. Theresia Walser spielt hier mit der pervertierten Form von Stammesriten, in denen der Tausch von Gaben, das Geben, Nehmen, Erwidern, sehr unterschiedlich geregelt sind und den Beschenkten tatsächlich nicht zwingend zu Gegenleistungen verpflichten. Ganz anders in westlichen Gesellschaften. Hier, im Stück, ist die "reine Gabe" nichts als Betrug und Infamie. Sie sichert den "Gebern" Macht und Überlegenheit, demütigt den Beschenkten - und macht ihn erpressbar. Lebenslänglich.

    Falls sich das alles so verhalten haben sollte und die ungebetenen Besucher nicht nur Gespenster, Gewissenswürmer oder Ganoven sind. Also Majas Kopfgeburten. In Kosminskis Uraufführungsinszenierung treten sie jedenfalls nicht durch die Tür-Öffnungsschlitze auf, sondern sie schlüpfen unter einem Wand-Aushang hindurch, kommen also aus dem leeren Theater-Zuschauer-Raum. Die Zuschauer sitzen in Mannheim mit auf der Bühne. Und am Ende quert eine unscheinbare Frau die Spielfläche, zieht den Mantel an, den die Verschwundene im Büro hinterlassen hatte - und geht ab. Wortlos.

    Stellt sich die Frage, was all die Mystifikationen sollen? Vielleicht eine Studie darüber, was das bloße Verschwinden, das unerklärliche Verschwundensein eines Menschen in anderen auslöst? Halb Krimi, halb Sozialstudie wäre dann der mit Anspielungen und Bedeutungen befrachtete kleine Stücktext, in dem alle Figuren eine eingeschränkte Wahrnehmung haben und auf eine Rolle festgelegt sind, die sie gerne sprengen möchten - und in einer gelungenen Aufführung wohl auch sollten. Doch Kosminski lässt das brav vom Blatt spielen, so dass lauter doppelte Böden angesprochen werden - die aber keiner Figur, keiner Situation und keiner Szene zugute kommen.

    Das Besucherpaar: etwas lästige, schräge Pelztiere, die lächeln, schrillen, durchtrieben daherreden, lauern - aber eindimensional bleiben. Letztlich ungefährlich. Die Sekretärin im Spitzenkleid ist lächerlich, eine bloße Karikatur der Beschränktheit. Dabei sollte sie doch wohl Selbstbezogenheit und Verlogenheit der trauernden treuen Seele zeigen. Schon gar nicht unter die Haut geht aber das, was am offensichtlichsten ist, wenn man das Stück liest: welche Geltungssucht, Brutalität, Gemeinheit und Gewaltbereitschaft, kurz: Machtgier in all ihren Ausprägungen das Verschwinden eines Menschen freisetzt. Nur in einer einzigen Szene deutet sich das an: in der Art wie Maja, selber hoffnungslos überfordert in der leitenden Position, mit der sehr viel älteren Sekretärin umspringt. Der Text zu dieser Szene entstand erst während der Proben und wurde am Uraufführungsabend nachgereicht. Es ist unübersehbar: zur Aufführung kam eher eine frühe Fassung - noch kein durchdachtes Stück.