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Monteverdi in Frankfurt
Sieg des Bösen

Simone Di Felice und Ute M. Engelhardt deuten an der Oper Frankfurt Claudio Monteverdis Oper "L'incoronazione di Poppea" neu. Wer in der Vorweihnachtszeit Oper vom Feinsten genießen will, dem ist ein Abstecher ins Bockenheimer Depot zu empfehlen.

Von Frieder Reininghaus | 21.12.2014
    Das Bockenheimer Depot in Frankfurt
    Das Bockenheimer Depot in Frankfurt (PMG)
    Die Zeiten, in denen die für Glück, Tugend und Liebe zuständigen Gottheiten fürsorglich um das Schicksal der Menschen wetteiferten, liegen lange zurück. Heute ist jeder selbst seines Glückes Goldschmiedin oder Grobschmied, kümmert sich mit den alle Distanzen überwindenden Kommunikationstechniken wie im Nahkampf um die Liebe. Nur die Tugend scheint eine quantité négligeable. Doch die Sehnsucht nach einer Symbiose der drei göttlichen Lebenselixiere mag zu den Grundantriebskräften des Interesses an den Werken alter Meister gehören.
    Wer in der Vorweihnachtszeit Oper vom Feinsten genießen will, dem ist ein Abstecher ins Bockenheimer Depot zu empfehlen. Dort singt, nach einem akustischen Plebiszit für den Imperator Nero, das Damentrio Fortuna, Virtù und Amore aus einem Gewirr von Leitern und Streben, deren Anordnung keinen rechten Winkel kennt. Für die sich anschließende lange Intrige um Liebe und Macht ließ die Bühnenbildnerin Julia Müer ein paar Podien bereitstellen, die jeweils von der Seite herein- und auch wieder hinausgeschoben werden können. Eine einfache, aber plausible Lösung.
    Reich kostümiert wurde das singende Personal von Katharina Tasch in Anspielung auf die commedia dell'arte und italienische Mode. Der Luxus der Stoffe erweist sich durchgängig als optische Delikatesse: Als Schmaus für die Augen, die sich ansonsten von Hochglanzanzeigen für Besserverdienende verwöhnen lassen. Die Erinnerung an Monteverdis Welt mit dem Prunk des Hofes zu Mantova und dem auf Basis von frühen Aktiengesellschaften entwickelten aristokratischen Theaterglanz in der Republik Venedig wurde ironiefrei geschneidert. Gleichwohl sorgen die Rüpelszenen mit der Amme Arnalta, in deren Köchinnenschürze der stämmige Tenor Hans-Jürgen Lazer steckt, für Auffrischung aus dem Geist des älteren italienischen Volkstheaters. Da kommt Besinnlichkeit auf. Aber man goutiert selbstverständlich das soziale Ungetüm Arnalta auf der Bühne. Dem garantiert die instinktsichere Wachheit die Teilnahme am sozialen Aufstieg. Poppea erwirbt sich ihn durch ihre hochentwickelte Beischlaftechnik.
    Die Künste der Verführung
    Die Künste der Verführung zeigt Naomi O'Connell, zunächst in scharf schwarzer und bauchfreier Teufelchen-Montur, höchst liebreizend. Die stimmstarke irische Mezzosopranistin macht es mit Gesten, wie sie aus Film- und Fernsehen geläufig sind. Allerliebst lässt die Regisseurin Ute M. Engelhardt zeigen, wie sie den sich einer Stierkopfmaske entledigenden Nerone neckt und lockt, sich mit ihm balgt und in Küssen versinkt. Mit ihr, müsste es genau besehen heißen, denn die andere der beiden dominanten Mezzo-Partien wird nicht minder kompetent, voll und klar von Gaëlle Arquez bestritten. Dass der folgenreiche Seitensprung Ottone, den bisherigen Standardpartner der Poppea, wütend und die Kaiserin Ottavia verzweifelt macht, ist naheliegend. Wobei angesichts der inszenierten Softheit des Counters William Towell und der Biederkeit, die Claudia Mahnke auf einem nicht enden wollend langen Sofa verordnet wurde, den Zuschauern das frische Glücksverlangen des künftigen hohen Paars evident erscheint. Die Kaiserin klagt groß.
    Auf der Höhe der Standards von "historischer Aufführungspraxis" bewegt sich, was Simone Di Felice mit ausgewählten Mitgliedern des Opern- und Museumsorchesters im Vorfeld der Bühne anbietet, um die langatmigen Redundanzen der Monteverdi'schen Musik zu beleben und zu beseelen. Die Handlung präsentiert sich weithin als flottes (oder eben auch ein wenig nachdenkliches) Unterhaltungstheater ohne deutliche optische Hinweise auf das viele Blut und die Tränen, die es auf dem Weg Poppeas zum Kaiserinnenthron gab. Engelhardts säuberliches Theater stellt einen Gegenpol dar zu dem, was Dietrich Hilsdorf, Calixto Bieito oder Warlikowski bieten. Es schreckt weder Oma noch Enkel, wenn sie sich jetzt in der Zeit vor dem Jahreswechsel für einen Besuch bei den späten Erbinnen Monteverdis entscheiden. Immerhin liegt zum seraphisch schönen Schlussduett nicht nur die auf der Strecke gebliebene Drusilla auf der leeren Fläche der einsamen Krönungs-Zeremonie, sondern ragt auch das Haupt des toten Seneca aus den Brettern, die die Welt bedeuten.