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"Moolaadé - Bann der Hoffnung"

In seinen Filmen kehrt der "Vater des afrikanischen Kinos", Ousmane Sembène, immer wieder zur Tradition zurück. Das jedoch nur, um andere, nicht mehr zeitgemäße Traditionen anzuprangern. Wie jetzt in "Moolaadé - Bann der Hoffnung", in dem sich Sembène nicht nur gegen die Zwangsbeschneidung von Mädchen wendet, sondern auch eine Lanze für den freien Zugang zu Informationsquellen bricht.

Von Eberhard Spreng | 11.05.2006
    Junge Mädchen kommen durch ein afrikanisches Dorf gelaufen, zum Haus von Collé, vor der sie wissen, dass sie deren Tochter bereits vor einiger Zeit vor der Beschneidung bewahrt hatte. Einige der Frauen, die gerade mit dem Salindré, der Beschneidungszeremonie beginnen wollten, laufen ihnen hinterher, aber Collé hat ein farbiges Seil vor den Eingang ihres Hofes gespannt, Zeichen für eine Moolaadé, einen Schutzbann, der nicht gebrochen werden darf. Es ist der Rückgriff auf eine uralte afrikanische Tradition, die der Altmeister des afrikanischen Kinos hier zum dramaturgischen Mittel für seine Kritik an einer ebenfalls alten afrikanischen Tradition der rituellen Geschlechtsverstümmelung macht. Das Haus der Collé wird so zu einem klar umrissenen Asyl, in dem das Rechtsystem einer von Männern dominierten Dorfgemeinschaft vorübergehend außer Kraft gesetzt ist:

    Die philosophische Frage, so Ousmane Sembène, ist: Wo fängt das Rechtsystem an und wo endet das spirituelle Leben. Wo endet die religiöse Sphäre und wo gilt unser Rechtsystem. In "Moolaadé" stoßen zwei moralische Werte aufeinander: Das ist für Afrika heute bezeichnend und es betrifft nicht nur die Frauen, sondern jedes Individuum.

    Collés Schutzbefohlene sind vorerst in Sicherheit, aber der gesellschaftliche Druck auf die mutige Beschützerin wächst ständig, schließlich will man sie durch Auspeitschen dazu zwingen, den Schutzbann aufzuheben. Ousmane Sembènes Film Moolaadé ist der zweite Teil einer Trilogie mit dem Obertitel "Mut im Alltag". Der 83-jährige Regisseur operiert mit dem Mittel einer archaischen Erzählung, die sich mit großen antiken Tragödien vergleichen lässt. Tragödien an den historischen Schnittstellen, da wo sich im Streit von Männerrecht und Frauenrecht das gesellschaftliche Moralsystem verändert. Und zugleich ist in dem Film afrikanische Gegenwart aufgehoben. Erst richtet sich der Zorn der Männer und der traditionalistischen Frauen gegen Collés kleine verschworene Gemeinschaft, dann aber auch gegen alle Transistorradios des Dorfes, aus denen die Welt zu den Frauen im Dorf spricht. Die Radios, ein Chor stigmatisierter Stimmen, landen auf einem Scheiterhaufen.

    Sembène: "Diese Trilogie behandelt das Heroische des alltäglichen Lebens. In meinen Augen leisten diese Frauen im Alltag wirklich heroische Taten. Noble Gesten im schönsten Wortsinne. Sie bedeuten eine wichtige Periode in der Entwicklung unserer Gesellschaft. Wesentlich ist nicht nur die Beschneidung sondern das Thema: Freiheit. Der Film fängt mit dem Thema der Excision an und geht dann über zum Recht auf das Hören der unabhängigen Radios. Und es sind eben auch Frauen, die in den afrikanischen Großstädten diese Radios betreiben und deren Bedeutung in der Öffentlichkeit ständig vergrößern. Ihre Kampagnen gehen über das weit hinaus, was Radios in Europa leisten können. Und: Sie befreien Afrika aus seiner Isolierung. "

    In "Faat Kiné", Sembènes ersten Teil der "heroischen Trilogie" über Afrikas neue Frauen, stand eine Geschäftsführerin in der Mega-Metropole Dakar im Mittelpunkt; nun zeigt ein Regisseur, der sich gegen europäische Bevormundungen und den post-kolonialistischen Paternalismus europäischer Co-Produzenten immer behauptet hat, einen weiteren Film mit eindeutiger afrikanischer Blickrichtung. Nach der ersten Version in Bambara, soll eine weitere im Poular entstehen, um mehr Menschen auf dem schwarzen Kontinent zu erreichen. Denn von der mittlerweile sogar von religiösen Kreisen geäußerten Kritik an der Geschlechtsverstümmelung und dem offiziellen Verbot in Sembènes Heimatland Senegal sind viele andere afrikanische Länder noch weit entfernt.

    Sembène: "Im Senegal haben schon viele Imame und Marbuts feierlich erklärt, dass die Beschneidung verboten werden muss und beteiligen sich an entsprechenden Versammlungen. Ähnliches gilt für Burkina Faso und in etwa auch für die Elfenbeinküste. Aber es gibt viele Länder, in denen man das Problem immer noch nicht offen angehen kann. Man kann den Film zeigen, aber er wird vorerst eisiges Schweigen ernten, und noch keine offenen Debatten. "