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Moor im Peenetal
Ein ökologisches Langzeitprojekt

In der sogenannten Flusslandschaft Peenetal in Mecklenburg-Vorpommern darf sich die Natur von massiven Schäden durch intensive Landwirtschaft erholen. Mit dem "Peenetal-Haff-Moor" wurde hier Anfang der 90er-Jahre eines der größten Naturschutzprojekte Deutschlands gestartet. Wie hat sich dieser "Amazonas des Nordens" nach gut 20 Jahren entwickelt?

Von Silke Hasselmann | 22.07.2015
    "Also hier haben wir es auch wieder: Zwar eine andere Art, aber wenn man das Hälmchen einfach zwischen die Finger nimmt und dreht, ist es dreieckig und wir wissen, dass es eine Segge ist...", erzählt Parkranger Peter Adomeit auf einer Exkursion durch das östliche Peenetal zwischen Anklam und Stolpe. Hier wurden 1995 die ersten Polder überschwemmt. Seitdem an 85 Flusskilometern entlang eine Gesamtfläche von rund 5.000 Hektar. Und so ist bereits nach 20 Jahren aus den Wiesen und Weiden eine deltaähnliche Flusslandschaft geworden.
    "Und irgendwann wird´s dann auch Moorwachstum geben. Aber dann sind wir beide schon längst erledigt."
    "Wie lange, glauben Sie?"
    "Unsere Kinder und Kindeskinder werden das auch nicht mehr erleben."
    Kein Wunder, sagt Dr. Frank Hennicke, ehedem wissenschaftlicher Leiter des Naturschutz-Großprojektes "Peenetal-Haff-Moor". Heute Chef der Nachfolgeeinrichtung, dem "Naturpark Flusslandschaft Peenetal".
    "Diese Moore hier im Peenetal sind etwa nur 200 Jahre landwirtschaftlich genutzt worden. Es ging also ziemlich genau heute vor 200 Jahren los, nämlich im Jahre 1815, als dieses Gebiet an Preußen fiel. Und in 200 Jahren Landwirtschaft haben wir diese immensen Bodenschäden verursacht, die dazu führen, dass diese Tausenden Hektar nicht mehr einen halben Meter über der Peene, sondern einen halben Meter unter der Peene liegen."
    Denn um dem nassen Land Weiden und Äcker abzutrotzen, hatten die Menschen Deiche und Gräben angelegt. Der unterirdische Niedermoorkörper war bereits weitgehend ausgetrocknet und eingesackt, als die Natur mit der Selbstheilung beginnen durfte.
    Der pensionierte Maschinenbauingenieur und leidenschaftliche Hobbynaturkundler Willfried Lebrenz beobachtet vor allem im Bereich um Anklam genau, was die Wiedervernässung des Peenetales bringt. Große Freude über die explodierende Artenvielfalt etwa in der Vogelwelt.
    "Herr Lebrenz, wir hören?"
    "Lachmöwen. Das ist eine Lachmöwen-Kolonie."
    Was jedoch den angestrebten Moor-Aufbau angeht, so teilt der Anklamer die Euphorie der Profi-Naturschützer nicht ganz.
    "Das da drüben sind alte Torfstiche, schätzungsweise 14 Stück. Die sind jetzt abgeriegelt worden. Man will von der Naturschutzseite her diese Gebiete wieder feuchter halten, damit sich die typische Vegetation wieder ansiedeln kann. Aber bis jetzt habe ich eigentlich nur mitbekommen, dass in diesem Bereich die Eschen und Erlen abgestorben sind. "
    Düngemittel setzt dem Gebiet stark zu
    Auch an den überschwemmten Poldern: Baumruinen im Wasser. Und Schilf, wohin das Auge blickt. Eine Übergangsphase. Denn viele Baum- und Straucharten haben sich erst nach der künstlichen Entwässerung des Peenetales hier angesiedelt. Nun verschwinden sie wieder. Sieht nicht schön aus, gehört aber zum natürlichen Heilungsprozess. Problematischer seien da schon die Folgen der intensiven Landwirtschaft, sagt Willfried Lebrenz. Stichwort: Düngemittel.
    "Ich bin der Meinung, dass hier insgesamt viel zu viele Nährstoffe sind, als dass sich wieder diese nährstoffarme Moorvegetation entwickelt. Bis die Nährstoffe wirklich hier aufgebraucht und raus sind, werden wir noch Jahrzehnte diesen Röhrichtbewuchs haben. Und gucken Sie mal da drüben zu den bewirtschafteten Flächen. Dort erfolgt immer noch ein Nährstoffeintrag über Düngemittel. Das wird noch eine ganze Weile so weitergehen."
    Das bedauert auch Michael Sack, Bürgermeister von Loitz im westlichen Teil des Peenetales.
    "Wenn ich mir meine Bilder angucke von der Stadt, wo früher Wiesen und Weiden waren, ist jetzt ein Schilfwald. Ungenutzt. De facto ist das genauso eine Monokultur wie ein Weizenfeld. Früher, wenn man sich mit den Älteren unterhält, sind das Wiesen gewesen, wo Orchideen standen, weil sie gemäht und gepflegt wurden. Das ist alles aufgegeben worden dafür. "
    Orchideenwiesen weisen eine gesunde Niedermoorlandschaft aus. Fahren Sie nach Gützkow, ausgeschildert auf der Ostseeautobahn A 20, sagt Naturparkleiter Frank Hennicke. Da stünden Tausende Orchideen.
    "Natürlich betrifft das nicht alle Flächen, manche Flächen sind verschilft. Aber diese Moore hier im Peenetal: Nun vom Naturschutz zu erwarten, dass diese immensen Schäden in 10 oder 20 Jahren so repariert werden können, dass der ursprüngliche Zustand von vor 200 Jahren wiederhergestellt ist, das ist vielleicht auch ein bisschen viel verlangt."
    Immerhin, so ergänzt der Biologe: Bereits 20 Jahre nach dem praktischen Start der Renaturierung sei es europaweit erstmals gelungen, ein gesamtes Flusstal hydrologisch zu sanieren. Doch auch die neuen Flachwasserseen - Paradiese für Schreiadler und Co. - sind nur ein Zwischenschritt bei der Reparatur des größten Niedermoorgebietes Mitteleuropas.
    "Sie werden in 50 oder 60 Jahren weitgehend verlandet sein und erst dann kann ja erst eine Entwicklung hin zu einer artenreichen Orchideenwiese einsetzen. Das ist nicht die Schuld der Naturschützer, sondern einer jahrzehntelangen intensiven Landwirtschaft und tiefschürfenden Entwässerung."