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Moore auf der Spur

Der Dokumentarfilmer Michael Moore gilt als Kronzeuge des besseren Amerika. Doch die Kanadier Debbie Melnyk und Rick Caine erheben im Streifen "Manufacturing Dissent - Uncovering Moore" schwere Manipulationsvorwürfe gegen ihn. Der Film wurde auf dem 22. Internationalen Dokumentarfilmfestival in München gezeigt.

Von Knut Cordsen | 06.05.2007
    Michael Moore, ein Mann, der Tatsachen verdreht, der sie manipuliert? Seit Jahren richten Bücher wie etwa die Michael-Moore-Biografie von Jesse Larner und Internetforen wie moorewatch.com ihr kritisches Augenmerk auf die häufig äußerst fragwürdigen Methoden des Filmemachers und Bestseller-Autors. Auch Filme gab es schon. Doch der Dokumentarfilm, den die Kanadier Debbie Melnyck und Rick Caine über Michael Moore gedreht haben und der die erstaunlichen Ergebnisse eigener jahrelanger Recherchen wie auch die Nachforschungen anderer zusammenträgt, dieser Film dürfte den 53-Jährigen, der vielen immer noch als Ikone des Dokumentarfilms gilt, demontieren. Bestätigung erfahren durch ihn frühe Kritiker Moores wie etwa Pauline Kael vom "New Yorker", die schon Moores Film "Roger & Me" aus dem Jahr 1989 als "ein Stück Gonzo-Demagogie" bezeichnet haben. Moore hat mit dem Gonzo-Journalismus eines Hunter S. Thompson einiges gemeinsam.

    "Das Publikum interessiert sich sehr für das, was wir herausgefunden haben, denn das Publikum geht einen Pakt mit dem Dokumentarfilm-Macher ein: In dem Moment, in dem es im Kinosessel Platz nimmt, erwartet es, die Wahrheit präsentiert zu bekommen. "

    Die Wahrheit aber, sagt Rick Caine, opfere Michael Moore nur allzu oft, um seine einseitige Weltsicht zu propagieren. Caine und Melnyck weisen nach, dass Moore hinzuerfindet oder bestimmte Fakten bewusst verschweigt: Der Running Gag von "Roger & Me" etwa, dass Michael Moore monatelang vergeblich versucht den Vorstandsvorsitzenden von General Motors, Roger Smith, vor das Mikrofon zu bekommen, basiert auf einer Lüge. Moore hatte, wie einer seiner einstigen Mitstreiter bezeugt, ein Interview mit Smith bekommen. Aber hätte er dies in seinem Film verwendet, hätte der Film keine Pointe gehabt, also ließ er es weg. Nur eines von vielen haarsträubenden Beispielen, wie lax Moore mit der Wahrheit umgeht.

    Melnyck und Caine wollten Moore zu all dem befragen, aber über drei Jahre hinweg schlug er ihre Anfragen ab, während er anderen bereitwillig Rede und Antwort stand. An der Kensington State University verwies Moore 2004 das Dokumentarfilmerpaar sogar während einer Rede des Saales, ihre Kamera wurde zu Boden gedrückt. Fernsehstationen wie ABC oder NBC durften drehen, Caine und Melnyk nicht. Wer ist dieser übergewichtige Multimillionär Moore, der sich mit einer Leibgarde von so genannten Fitnesstrainern umgibt und inmitten von Firmenbossen in North Michigan residiert? Für Kollegen wie Harlan Jacobson sei er eine Art Priester, sagt Debbie Melnyk.

    "Er meinte einmal, Moore sei der heilige Anführer der Dokumentarfilmer, wirklich eine Art Priester, der laut Errol Morris nur ein Problem hat, zu den Leuten zu predigen, die bereits bekehrt sind. Ja, er wirkt auf uns nicht nur wie ein Prediger aus dem Bible Belt, sondern er ist auch ein Polemiker, der Journalismus mit Comedy und Satire und Propaganda zu einem Brei verrührt."

    Auf dem 22. Münchner Dokumentarfilmfestival löst "Manufacturing Dissent - Uncovering Michael Moore" Debatten aus, vor allem weil Moores Kritiker Melnyck und Caine selbst dem linksliberalen Spektrum entstammen und somit unverdächtig sind, hier jemanden aus politischen Motiven vom Sockel stürzen zu wollen.

    "Ich glaube, dass Michael Moore dem Genre Dokumentarfilm Schaden zugefügt hat. Er hat zwar das Genre revolutioniert und auch popularisiert, der Dokumentarfilm hat es aus den Arthouse-Filmtheatern ins große Kino geschafft vor allem dank ihm. Das ist großartig. Aber der Schaden ist doch gewaltig. Immer mehr Kollegen kommen jetzt auf Dokumentarfilmfestivals auf uns zu und sagen Danke. Denn von Seiten der Produzenten kommen seit Jahren Sätze wie: Warum könnt ihr nicht solche Filme machen wie Michael Moore, so flott erzählt, so lustig? Wir aber, sagen dann unsere Kollegen, wollen die Wahrheit erzählen, und die ist nun mal nicht so unterhaltsam wie Michael Moore sie vorgibt zu präsentieren. Sich an die Wahrheit zu halten und unterhaltsam zu sein - das geht, aber es ist schwierig. Man muss vorsichtig sein, was man in seinen Filmen behauptet."

    Dass es wunderbare Dokumentarfilme auch ohne die Effekthascherei Michael Moores gibt, das beweisen auf dem Münchner Dokumentarfilmfestival die Amerikanerinnen Heidi Ewing und Rachel Brady mit ihrem Film über den religiösen Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten. "Jesus Camp" beobachtet ohne jeden Kommentar aus dem Off einige Kinder evangelikaler Christen und die sie indoktrinierenden Betreuer auf einer Sommerkolonie ausgerechnet am Devil's Lake, am Teufelssee in North Dakota. Sie reden in Zungen, werden militärisch gedrillt und zu kleinen Gotteskriegern ausgebildet in "God's own country". Man glaubt seinen Augen nicht zu trauen. "Jesus Camp" war in diesem Jahr für den Oscar nominiert, ging aber leer aus. Der Oscar-Gewinner von 2003, Michael Moore, wird sich nach der Europapremiere von "Manufacturing Dissent" auf den Filmfestspielen von Cannes, auf denen er Mitte Mai seinen neuen Film "Sicko" über das amerikanische Gesundheitssystem zeigt, einige unangenehme Fragen gefallen lassen müssen.