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Moralischer Anwalt der Weimarer Republik

Längst hat der Schriftsteller, Publizist und Kabarettautor Kurt Tucholsky einen festen Platz in der Literaturgeschichte. Indem Rolf Hosfeld ihn in seiner Biografie vor allem als politischen Menschen und Intellektuellen in seiner Zeit beschreibt, ermöglicht er eine Neubewertung von Tucholskys Denken.

Von Niels Beintker | 07.05.2012
    Er hat es kommen sehen. Lange im Voraus. Schon im Frühjahr 1930, knapp drei Jahre vor der Machtübernahme der Nazis, schrieb Kurt Tucholsky, unter dem Stoß und dem Vormarsch der von der Regierung gänzlich ungehinderten Hitler-Garden werde plötzlich eine neue Ära beginnen. Als diese dann, mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzlers, tatsächlich begann, war Tucholsky bereits im Exil. Von Zürich fuhr er nach Schweden, in seine Sehnsuchtsheimat, und kehrte nicht wieder nach Deutschland zurück. Am 13. März 1933 wurde sein großes publizistisches Forum, die Weltbühne, verboten, Mitte Juli verlor er die deutsche Staatsbürgerschaft. Dass die Niederlage der ersten deutschen Demokratie eine totale war, gehört zu Tucholskys Erfahrungen in diesen Wochen und Monaten, zeigt Rolf Hosfeld in seiner Biografie dieses Schriftstellers, Publizisten und Moralisten.

    "Und er sah auch, dass der Nationalsozialismus natürlich in Deutschland Bestandteil einer von Massen getragenen Mentalität war, von der man nicht erwarten konnte, dass sie sich von heute auf morgen ändert. Vor allem aber war eine Erfahrung der Weimarer Zeit für ihn die Opposition und das heißt, die Demokraten und Republikaner und die gesamte Linke haben dem nichts wirklich Effektives entgegen zu halten. Und das machte ihn natürlich enorm traurig und auch entsprechend pessimistisch."

    Rolf Hosfeld erzählt das Leben dieses pessimistischen Aufklärers streng chronologisch, von den Kindertagen in Berlin und Stettin bis zu den letzten, traurigen Lebenswochen 1935 im schwedischen Exil. Da eine große kommentierte Gesamtausgabe der Werke Kurt Tucholskys abgeschlossen ist, kann sich sein Biograf auf einen breiten Quellenfundus stützen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wirklich Neues findet sich in dieser flüssig geschrieben, klug komponierten Biografie nicht. Rolf Hosfeld bietet eine gute Einführung in das recht kurze Leben und das dagegen sehr umfangreiche Werk des großartigen Vielschreibers. Indem er aber Tucholsky vor allem als politischen Menschen und Intellektuellen in seiner Zeit beschreibt, ermöglicht er eine Neubewertung seines Denkens. Die Sorge um die Demokratie in Deutschland war, neben dem unbedingten Pazifismus, ein Leitmotiv im Leben von Kurt Tucholsky. Unmittelbar nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg, im November 1918, schrieb er: die Umstände der Zeit würden ein von Nachdenklichkeit bestimmtes Handeln erfordern. Also: keine schrillen revolutionären Phrasen und keine Konfliktlösung mit militärischer Gewalt.

    "Es änderte sich grundsätzlich an der Position, glaube ich, gar nichts. Es wuchs nur die Enttäuschung, dass dieser Weg nicht beschritten wurde. Ein auslösender Faktor war dabei übrigens schon die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – Leute, die er selbst politisch absolut kritisch gesehen hat. Und seine Kernenttäuschung blieb im Grunde genommen, dass es Friedrich Ebert nicht gelungen ist, das Militär unter parlamentarische Kontrolle zu zwingen und zu einem integralen Bestandteil des demokratischen Staates zu machen, mit allen daraus folgenden Konsequenzen."

    Zuletzt hat noch einmal der Historiker Heinrich August Winkler in seiner Geschichte des langen deutschen Weges nach Westen darauf hingewiesen, dass Kurt Tucholsky die Staatsgründungspartei der Weimarer Republik, die SPD, mit voller Verachtung behandelt habe, ausgehend von seinem berühmten Satz, die Genossen seien wie bescheidene Radieschen – außen rot und innen weiß. In der Wirkung sei dieser Kampf Tucholskys gegen die Sozialdemokratie ein Kampf gegen die parlamentarische Demokratie gewesen. Rolf Hosfelds Biografie zeigt dagegen, wie sehr sich Tucholsky wirklich für die Republik von Weimar engagierte, wenngleich er sich zu keiner Zeit seines Lebens parteipolitisch vereinnahmen ließ. Nach der Ermordung Walter Rathenaus im Juni 1922 entwarf der Publizist ein künstlerisches Programm zur "Verlebendigung der bis dahin trockenen Republik von Weimar" und wirkte etwa an der Gestaltung einer großen Verfassungsfeier mit. Er lobte Gustav Stresemanns Politik der Annäherung nach Westen und verurteilte sie zugleich.

    "Die Kritik an der einseitigen Ausrichtung nach Westen war immer die: sie ist eine Ausrichtung sozusagen mit Vorbehalt. Sie versucht, das westliche Problem, das heißt das Problem mit Frankreich, zu lösen, unter der stillschweigenden Voraussetzung, dann haben wir freie Hand im Osten und können gegen Polen vorgehen. Das war ja auch keine ganz falsche Verdächtigung, dass man diese Sachen im Hintergrund hatte – es gab ja auch eine geheime Zusammenarbeit mit der Roten Armee. Und was dann später zur Teilung Polens 1939 geführt hat – solche Planspiele dieser Art gab es damals in bestimmter Weise auch bereits."

    Nach der Lektüre dieser Biografie beeindrucken zwei Dinge: die unermüdliche Verteidigung der demokratischen Republik und die politische Weitsicht Kurt Tucholskys. Viele Entwicklungen seiner Zeit hat er aufmerksam verfolgt und klug bewertet, als Publizist und Kabarettdichter in Berlin ebenso wie als Korrespondent für die Weltbühne und die "Vossische Zeitung" in Paris. Nach der Lektüre von Kafkas Erzählung "In der Strafkolonie" schrieb er mit Blick auf eine Figur, einen brutalen Offizier, über einen neuen Typus der Zeit – den amoralischen Menschen. Das fatale Wirken dieser jungen Generation erlebte Kurt Tucholsky nur noch in Ansätzen. Im Dezember 1935 starb er an den Folgen einer Überdosis von Medikamenten. Rolf Hosfeld schildert die Biografie dieses durch und durch politischen Menschen mit großer Sympathie. Eine Folge dieser Perspektive ist, dass mögliche Brüche in diesem Leben eher knapp und kursorisch beschrieben werden, etwa Tucholskys Mitarbeit für ein Soldatenblatt während des Ersten Weltkrieges und die mehr als plumpen Klassenkampfparolen, die er in der späten Weimarer Republik in der kommunistischen Arbeiter Illustrierten Zeitung veröffentlichte. Da wünschte man sich doch deutlich mehr Tiefe. Trotzdem hat Rolf Hosfeld eine mit Gewinn zu lesende Biografie geschrieben. Sie schildert das Leben eines Menschen, über den Kurt Tucholsky einmal selbst zur Schriftstellerin Claire Goll gesagt haben soll: Ich habe das Lachen eines Clowns, aber nach Innen weine ich. Das gilt gerade auch mit Blick auf seine Rolle als politischer Beobachter in der Weimarer Republik.

    Rolf Hosfeld: Tucholsky - Ein deutsches Leben - Biografie.
    Siedler Verlag, 320 Seiten, 21,99 Euro
    ISBN-13: 978-3-886-80974-5