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Mord an einem Geistlichen

Zu seinem Grab im Warschauer Stadtteil Zoliborz sind seit 1984 mindestens 19 Millionen Menschen aus der ganzen Welt gepilgert. Straßen und Schulen wurden nach ihm benannt, zwei Spielfilme in Polen über ihn gedreht. Der katholische Priester Jerzy Popielusko hatte in der Arbeiterbewegung Solidarnosc als charismatischer Seelsorger gewirkt. Am 30. Oktober 1984 wurde seine Leiche gefunden: Elf Tage zuvor hatten Geheimdienstmänner ihn umgebracht.

Von Doris Liebermann | 30.10.2009
    An diesem 30. Oktober 1984 wurde Gewissheit, was viele Menschen seit Tagen befürchtet hatten: Jerzy Popieluszko, Kaplan an der Stanislaw-Kostka-Kirche in Warschau, war ermordet worden. Sein Leichnam war von Polizeitauchern in einem Stausee in der Nähe der Stadt Wloclawek gefunden worden. Ein Reporter berichtete am Abend im Fernsehen:

    "Wir befinden uns am Staudamm des Weichselstausees, an der Stelle, wo der Leichnam geborgen wurde. Die Leiche liegt auf dem Rücken, ist ganz verschmutzt. Das Gesicht trägt Spuren von Schlägen und Blut. Die Beine sind gefesselt, auch an den Händen sind Spuren von Fesselung sichtbar. An den Beinen ist ein Sack mit einem Gewicht befestigt. Und in der Seitentasche sind Personalpapiere sichtbar. Bitte die Dokumente herausholen, öffnen und den Namen vorlesen. Jerzy Aleksander Popieluszko."

    Den kommunistischen Behörden in Polen war der beim Volk beliebte katholische Seelsorger schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Popieluszko hatte Drohbriefe und Drohanrufe erhalten, er war im Vorjahr verhaftet worden, es hatte Anschläge auf ihn gegeben.

    Am Abend des 30. Oktober fand in seiner Kirche eine Messe statt. Ein Geistlicher gab die Nachricht von seinem Tod bekannt.

    Jerzy Popieluszko, 1947 als Sohn von Kleinbauern in der Nähe der weißrussischen Grenze geboren, war seit 1980 Kaplan im Warschauer Arbeiterbezirk Zoliborz. Er war ein besonders engagierter Unterstützer der 1980 gegründeten unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc, die aus einer Streikbewegung heraus entstanden war.

    Im Dezember 1981 wurde in Polen der Kriegszustand verhängt, um den wachsenden Einfluss der Gewerkschaft auf die Bevölkerung zu brechen. Tausende politisch aktive Menschen wurden verhaftet und in Gefängnisse oder Internierungslager gesteckt. Um die Familien der Internierten zu unterstützen, organisierten auch Priester Hilfsmaßnahmen - allen voran Jerzy Popieluszko. In seinen "Messen für das Vaterland" richtete er jeden letzten Sonntag im Monat von der Kanzel aus unmissverständliche Appelle an die Staatsmacht, in denen er das Verbot der Gewerkschaft kritisierte. Als im Sommer 1984 Gefangene durch eine Amnestie freikamen, sagte Popieluszko in einer Predigt:

    "Wir versammeln uns mit dem Gefühl der Freude, dass viele unserer bis vor Kurzem noch inhaftierten Schwestern und Brüder heute zusammen mit uns beten, dass sie zu ihren Familien zurückgekehrt sind."

    Am 19. Oktober 1984 war Popieluszko unterwegs nach Bydgoszcz/Bromberg, um auf Einladung der dortigen Gemeinde eine Andacht zu halten. Gegen 21.00 Uhr machte er sich mit seinem Mitarbeiter und Freund Waldemar Chrostowski in seinem VW-Golf auf den Heimweg zurück nach Warschau. Ihm folgte ein Fiat 125p, in dem drei Mitarbeiter des Geheimdienstes saßen. Sie stoppten Popieluszkos Wagen unter dem Vorwand einer Verkehrskontrolle. Die drei Männer schlugen den Priester mit Knüppeln nieder und sperrten ihn im Kofferraum ihres Autos ein. Seinen Chauffeur fesselten und knebelten sie und kündigten ihm mit der Pistole im Nacken an, dass dies die Fahrt in den Tod sei.

    Trotz der Fesseln gelang es dem Chauffeur, sich aus dem fahrenden Auto zu werfen. Entscheidend für die Festnahme der Täter war, dass er sich auch das Autokennzeichen gemerkt hatte. So kam schnell heraus, dass Geheimdienstleute hinter der Entführung und dem Mord steckten, und nicht anonyme Kriminelle, wie es nach ihrem Plan hatte aussehen sollen. Die drei Täter - Hauptmann Grzegorz Piotrowski, Oberstleutnant Waldemar Chmielewski und Oberstleutnant Leszek Pekala - wurden des Mordes angeklagt. Sie erhielten 25, 15 und 14 Jahre Haft, saßen die Strafe aber nicht in voller Länge ab. Obwohl es Hinweise und Spuren gibt, dass die Drahtzieher in höheren politischen Kreisen zu suchen sind, ist die entscheidende Frage bis heute nicht eindeutig beantwortet: Wer hatte den Mord an Popieluszko wirklich angestiftet?