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Mord und Totschlag

Was fühlt ein Mörder? Wie töten Menschen und warum töten sie? Das waren die zentralen Fragen, mit denen sich Philosophen, Psychoanalytiker, Literaturwissenschaftler, Historiker und Juristen auf einer Tagung der Freien Universität Berlin auseinandersetzten.

Von Dieter Wulf | 24.02.2011
    Abgründe der Seele: Mord stößt die meisten Menschen ab und fasziniert sie gleichzeitig
    Abgründe der Seele: Mord stößt die meisten Menschen ab und fasziniert sie gleichzeitig (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    "Der Mord selbst das ist etwas, was man überhaupt nicht begreifen kann und nicht mal beschreiben kann."

    So der französische Literaturwissenschaftler Alain Montandon. Was aber wäre die Literaturgeschichte ohne Mord und Totschlag, ohne den heimtückischen Mord aus Liebe, Verzweiflung oder Rache. Was wären Sherlock Holmes, Miss Marple oder Kommissar Maigret ohne den Mörder? Film und Fernsehen präsentieren täglich dutzendfach inszenierte Verbrechen. Was aber eigentlich emotional passiert, wenn ein Mensch dem anderen das Leben nimmt, erfährt man dabei nie. Genau darüber habe sich auch Robert Badinter, der in den 80er-Jahren französischer Justizminister war, gewundert. Als Rechtsanwalt hatte er mit vielen Mördern gesprochen, erzählte Alain Montandon.

    "Er sagte nämlich, wenn ich einen Verbrecher zum ersten mal sah, ließ ich ihn sprechen. Es war ein sehr intensiver Moment er erzählte die Vorbereitungen, die Beweggründe, die Waffen und so weiter, aber fast alle wurden augenblicklich sprachlos, wenn der Moment kam wo die Mordtat selbst erzählt werden sollte. Es entstand ein Schweigen sozusagen eine Lücke. Dann fuhr er fort, aber immer die Tat selbst ausradierend."

    Jedes mal wenn ein neuer spektakulärer Mord geschieht, sind Menschen gleichzeitig angewidert wie fasziniert von den Möglichkeiten der menschlichen Abgründe. Schriftsteller, Theologen, Politiker und Journalisten beschreiben und erklären. Man skizziert die Tat und sucht nach Gründen. Aber was macht den einen zum Mörder, den anderen nicht? Hass und Motive haben viele. Wieso bricht es beim Einen durch, beim Anderen nicht? Diese Fragen untersucht der Exzellenzcluster "Languages of Emotion" an der Freien Universität Berlin, sagt Christoph Wulf, Professor für Erziehungswissenschaften und Anthropologie.

    "Im Zentrum unserer Forschungen steht die Frage welche Bedeutungen haben Emotionen und wie kann man Emotionen erforschen wobei es uns vor allem geht um die Verbindung naturwissenschaftlicher Forschung vor allen Dingen Gehirnforschung mit sozialwissenschaftlicher Forschung und geisteswissenschaftlicher Forschung."

    Und Teil dieser menschlichen Emotion zu der prinzipiell alle fähig sind, ist nun mal Gewalt, so Professor Wulf.

    "Das heißt wir können uns nicht grundsätzlich und ein für allemal frei machen von Gewalt. Das heißt jeder ist potenziell gefährdet in dem Sinne dass er wenn eine entsprechende Situation entsteht zu Gewalthandlungen neigt und sie auch vollzieht."

    Aber gerade weil alle Menschen dazu in der Lage sind, ist "Du sollst nicht töten" weit mehr als ein christliches Gebot, sondern ein Tabu aller menschlichen Gemeinschaften. Und doch wurde immer getötet. Nicht nur von Einzelnen. Auch ganze Gesellschaften und Staaten entscheiden sich seit Jahrtausenden immer wieder, das Tötungsverbot in bestimmten Situationen zu missachten. Im Krieg oder zur Durchführung der Todesstrafe. Wenn der Staat aber hinrichtet, dann musste der Unterschied zum banalen Mord schon immer für jeden sofort erkennbar sein, erklärte der Historiker und Jurist Wolfgang Schild Professor an der Uni Bielefeld.

    "Die Hinrichtung muss als dieser Akt der Wiederherstellung des Rechts auch öffentlich eine Form haben, wo die Leute sagen man merkt das ist nicht triebhaftes, blutgieriges Killen, dass ist die Wiederherstellung der Rechtsordnung dass ist die Verwirklichung von Gerechtigkeit."

    Wenn der Staat, wenn die Gesellschaft tötete, dann war das zumindest in Mitteleuropa jahrhundertelang die öffentliche für jeden sichtbare Enthauptung. Und das war, so Professor Schild, eine staatliche genauso wie eine religiöse Handlung.

    Wer seine Sünden bereute, für den war in der damaligen Vorstellung der eigene Tod die Möglichkeit, sich von der Sünde, die man begangen hatte, zu befreien und erlöst zu werden.

    "Auf manchem Schwert der Scharfrichter steht 'Tue ich mein Schwert erheben, öffne ich Dir das ewige Leben.'"

    Dieses rituelle Töten aber musste gelernt sein, so Professor Schild.

    "Der Begriff Handwerk passt hier sehr gut, weil sich zu der Zeit zugleich auch ein richtiger Berufsstand herausstellte, sich auch richtig als Stand verstehen. Das heißt die machen ihre Standesversammlungen man trifft sich tauscht Erfahrungen aus und vor allem man kann Scharfrichter nur dann werden, wenn man einen Meisterbrief hat."

    Damit das eigentlich in der Gesellschaft sonst tabuisierte Töten durchgeführt werden konnte, mussten die Rituale genau eingehalten werden.

    "Und man hat ja versucht, dass es klappt. Man hat Drehbücher geschrieben, man hat versucht das alles zu inszenieren und auch theatralisch durchzuführen damit es klappt."

    Funktionierte es dann aber nicht, weil der Scharfrichter versagte oder der Delinquent die Nerven verlor, war plötzlich für jeden wieder sichtbar was hier eigentlich wirklich geschah.

    "Wenn der Sinn dieses Geschehens nicht mehr anschaulich wird, dann beginnt die Sinndimension zu verblassen, und es wird die nackte Realität, die dahinter steht, nämlich dass hier Einer dem Anderen den Kopf abschlägt und das ist nackte Brutalität."

    Der Krieg ist die andere gesellschaftliche Situation, in der Töten plötzlich nicht nur erlaubt, sondern geradezu gewollt ist. Aber auch hier zeigt sich die innere Hemmung des Menschen, auf die der Philosoph Hajo Eickhoff hinwies.

    "Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man festgestellt, dass nur ein sechstel aller Soldaten auf den Feind geschossen haben, die anderen schießen in die Luft, schießen daneben bewusst. Man weigert sich zu töten."

    Selbst unter Beschuss des Gegners waren viele Soldaten offenbar nicht bereit oder in der Lage, gezielt auf den Gegner anzulegen. Ergebnisse, die dazu führten, dass die US-Armee und vermutlich die meisten Armeen der Welt damit begannen, diese Tötungshemmung systematisch durch Automatisierung und Desensibilisierung abzubauen. Sehr erfolgreich wie sich herausstellte. Im Vietnamkrieg lag die Schussbereitschaft der US-Soldaten bei etwa 90 Prozent.

    Aber was passiert mit Menschen, wenn Sie das Todestabu einmal durchbrochen haben? Was passiert mit Soldaten, wenn sie nach dem Einsatz wieder nach Hause kommen? Berichtet wird häufig von traumatisierten Menschen, die von ihren Taten belastet nicht mehr in den normalen Alltag zurück finden. Das aber stimme offenbar nicht, meint Hajo Eickhoff und verweist auf den amerikanischen Psychologen David Großman.

    "David Großman hat sich mit der Frage beschäftigt, wie kann man die Schwelle zum Töten erleichtern oder erschweren, was passiert dazu. Er geht davon, aus dass man als Mensch einen Widerstand gegen das Töten hat. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass Soldaten anschließend nicht gewalttätiger sind, sondern die Statistiken zeigen, dass Kriegsveteranen weniger Straftaten begehen als die anderen Zivilisten."

    Diese Konditionierung funktioniert offenbar fast immer. Die Vorstellung, dass Menschen, die getötet oder gemordet haben, von ihrem Gewissen geplagt werden, ist weit verbreitet. Die Realität sieht oft aber wohl anders aus.

    Da ist es beruhigend, dass zumindest in Deutschland die Zahlen von Mord und Totschlag seit Jahren kontinuierlich zurückgehen. Wurden 1993 noch weit über 4200 Fälle registriert, waren es 2009 nur noch knapp 2300. Ein übrigens sehr männliches Delikt. Nur 13 Prozent der Mörder sind Frauen und wenn sie es tun, dann still leise und vorzugsweise mit Gift. Männer wollen auch im letzten Moment noch die Dominanz, ganz anders Frauen, meint Hajo Eickhoff.

    "Frauen müssen sich nicht beweisen, wenn sie töten sondern sie machen das aus der Distanz heraus. Sie müssen auch nicht dabei sein wenn jemand stirbt. Ich denke für den Mann ist interessanter, dieser Machtwille, dass heißt die Macht steckt eher dahinter."