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Morddrohungen an hessische Politiker
"Hier hat kein Mensch Verständnis für solch eine Aktion"

In Hessen haben Lokalpolitiker Morddrohungen bekommen, weil sie sich für Muslime engagieren. Einer davon ist Herbert Hunkel, Bürgermeister von Neu-Isenburg. Er werde sich nicht einschüchtern lassen, sagte Hunkel im Deutschlandfunk. Hier habe jemand versucht, wegen der Flüchtlingspolitik Ängste zu schüren. Dadurch fühle er sich allerdings noch mehr motiviert, Menschen in Not zu helfen.

Herbert Hunkel im Gespräch mit Sarah Zerback | 16.03.2016
    Herbert Hunkel, Bürgermeister von Neu-Isenburg, bei einer Mahnwache nach Schüssen auf ein Asylbewerberheim in Dreieich.
    Herbert Hunkel, Bürgermeister von Neu-Isenburg, bei einer Mahnwache nach Schüssen auf ein Asylbewerberheim in Dreieich. (imago/Hartenfelser)
    Sarah Zerback: Sich für andere Menschen einsetzen, die bei uns Schutz suchen vor Krieg, vor Gewalt, dass jemand etwas dagegen haben könnte, das ist schwer nachvollziehbar. Und doch gibt es immer wieder Personen aus Politik und Zivilgesellschaft, die genau dafür angefeindet oder sogar bedroht werden - aktuell geschehen in Hessen. Dort haben Lokalpolitiker in Neu-Isenburg und Dreieich im Kreis Offenbach fast wortgleiche Drohbriefe erhalten. Darin werden sie aufgefordert, sich nicht weiter für Muslime einzusetzen. Ansonsten würden Menschen sterben. Einer dieser Briefe ist auf dem Schreibtisch von Herbert Hunkel gelandet. Er ist Bürgermeister von Neu-Isenburg und setzt sich persönlich engagiert für Flüchtlinge ein. Guten Tag nach Neu-Isenburg.
    Herbert Hunkel: Guten Tag, Frau Zerback.
    Zerback: Eine Morddrohung auf Ihrem Schreibtisch, adressiert an Sie, in dem aber verschiedene Parteien im Stadtparlament angesprochen werden. Wie war da Ihre erste Reaktion?
    Hunkel: Die erste Reaktion war, dass ich diesen Brief mit großer Abscheu gelesen habe, und mir war klar, dass hier jemand versucht, zu verunsichern und Ängste zu schüren hier in Neu-Isenburg. Deswegen hat uns dieser Brief eigentlich noch mehr motiviert, uns in unseren Bemühungen, weiterhin für die Menschen, die in Not sind, zu engagieren.
    "Wir dürfen uns von solchen Menschen nicht leiten lassen"
    Zerback: Er hat sein Ziel nicht erreicht, hat Sie nicht verunsichert, sondern Sie sogar motiviert, sagen Sie?
    Hunkel: Ja, weil wir solche Briefe erstens sehr selten bekommen, und zweitens, weil wir diese Briefe wirklich nicht zum Anlass nehmen können, unser soziales Handeln, unser christliches Handeln auch zu überdenken.
    Zerback: Jetzt haben Sie das Schreiben ja an die Polizei weitergeleitet. Mittlerweile ermittelt auch die Polizei. Der Staatsschutz sieht da aber tatsächlich keine akute Bedrohung. Teilen Sie diese Einschätzung denn, dass tatsächlich keine Bedrohung davon ausgeht, oder wie schätzen Sie die Lage ein?
    Hunkel: Ich sehe das genauso. Das war auch die erste Reaktion, als ich diesen Brief sah. Und ich denke, wir dürfen uns von solchen Menschen nicht leiten lassen und nicht in unserem täglichen Tun und Handeln beeinträchtigen lassen. Das ist ja das, was die genau erreichen wollen, und das wäre für uns alle eine ganz schlimme Lösung, wenn wir uns von solchen Menschen, die verwirrt sind und scheinbar den Bezug auch zur Menschlichkeit, zur Würde des Menschen verloren haben, wenn wir uns von solchen Menschen dann unser Tun bestimmen lassen.
    Zerback: Nun haben Sie ja in Ihrem Ort - 36.000 Einwohner ungefähr - eine Erstaufnahme-Einrichtung für bis zu tausend Flüchtlinge seit 2015. Haben Sie seitdem Veränderungen bemerkt in Ihrer Stadt?
    Hunkel: Wir haben eine große Welle der Hilfsbereitschaft und eine vorbildliche und vorzügliche Willkommenskultur hier in Neu-Isenburg. Neu-Isenburg ist eine Hugenotten-Stadt, wurde von Flüchtlingen gegründet und über 500 Menschen haben sich sofort nach der Errichtung der Erstaufnahme-Einrichtung bereit erklärt, den Flüchtlingen zu helfen, und das passiert hier jeden Tag. Auch heute kriegen wir immer weitere Hilfsangebote. Ob das jetzt Unternehmen sind oder die Kirchen oder die Bürger, Vereine, alle helfen mit, dass diesen Menschen, die zu uns gekommen sind, die von Not, Krieg und Elend bedroht sind, ein menschenwürdiges Dasein hier ermöglicht wird. Wir sind sehr stolz auf diese großartige Willkommenskultur hier in Neu-Isenburg und wir lassen uns von einzelnen Wirrköpfen nicht beeinträchtigen.
    Zerback: Wie erklären Sie sich denn persönlich, dass das nun trotzdem passiert ist?
    "Ich gehe jedem Gerücht nach bis ins letzte Fach"
    Hunkel: Das kann ich mir nicht erklären. Ich habe keine Erklärung dafür. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wenn jemand so etwas schreibt. Das sind Menschen, die nutzen vielleicht auch die große Politik, die Diskussion im Land, die ja natürlich auch schon unterschiedliche Meinungen produziert, und die nutzen dann solche Möglichkeiten oder solche Stimmungen, um sich da einzubringen, um uns noch weiter zu verwirren, um der schweigenden Mehrheit vielleicht auch zu vermitteln, ihr seid die Verlierer und eine gewisse Richtung sind die einzigen, die euch retten.
    Zerback: Jetzt haben Sie gerade das große Engagement bei sich im Ort schon angesprochen. Wie waren denn die Reaktionen von den Bürgerinnen und Bürgern von Neu-Isenburg auf die Morddrohung? Was ist Ihnen da persönlich begegnet?
    Hunkel: Eine große Welle der Solidarität. Überall bekomme ich Zuspruch und Unterstützung und das zeigt wirklich wieder mal, wie die Isenburger tatsächlich sind, wie sie denken. Da hat kein Mensch Verständnis für solch eine Aktion und wir erleben hier eine große Welle der Solidarität.
    Zerback: Trotzdem müssen ja auch Sie sich immer wieder damit auseinandersetzen, dass unter anderem in den sozialen Netzwerken versucht wird, gegen Flüchtlinge Stimmung zu machen, dass da Gerüchte gestreut werden. Was tun Sie denn als Bürgermeister, um Gerüchte und Ressentiments zu entschärfen?
    Hunkel: Diesen Gerüchten nachzugehen. Ich mache das sehr intensiv. Ich gehe jedem Gerücht nach bis ins letzte Fach. Ich möchte wissen, was da Sache ist, dass Ross und Reiter genannt werden, dass man den Dingen nachgehen kann. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, dann muss das natürlich auch in Ordnung gebracht werden. Bisher hat sich herausgestellt, dass die Gerüchte Gerüchte sind oder waren, aber ich werde jedem einzelnen Gerücht nachgehen und werde die Bürgerinnen und Bürger und die Öffentlichkeit aufklären über das Ergebnis der Recherchen.
    Zerback: In Hessen haben Lokalpolitiker Morddrohungen bekommen, weil sie sich für Muslime engagieren. Darüber habe ich gesprochen mit Herbert Hunkel, Bürgermeister von Neu-Isenburg, der einen dieser Drohbriefe bekommen hat. Besten Dank, Herr Hunkel.
    Hunkel: Ja, vielen Dank, Frau Zerback. Alles Gute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.