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Morde an türkischen Christen

In den Jahren 2006 und 2007 schockierte eine Mordserie an Christen die Öffentlichkeit. Die Täter waren jedes Mal schnell gefasst: sehr junge Männer, aufgehetzt und nationalistisch verblendet, "verwirrte Einzeltäter" hieß es schnell. Aber beim aktuellen Prozess in Malatya werden - wieder -Verbindungen zu höchsten Militärkreisen offenbar.

Von Gunnar Köhne | 04.04.2011
    Seit vier Jahren vertritt Erdal Dogan gemeinsam mit neun weiteren Kollegen die Hinterbliebenen der ermordeten Christen von Malatya. Fünf Jugendliche hatten die drei Protestanten, darunter den deutschen Missionar Tillmann Geske, in einem Bibelverlag überfallen und die Kehlen durchtrennt. Jahrelang versuchten Gericht und Staatsanwaltschaft in Malatya die Angeklagten als Einzeltäter darzustellen, Akten und Videobeweise verschwanden, den Anwälten wurden Vernehmungsprotokolle vorenthalten. Erdal Dogan und seine Kollegen blieben aber hartnäckig, und nun, sagt der Istanbuler Anwalt zufrieden, stehe der wahre Hergang des Verbrechens mehr oder weniger fest:

    "2003 erklärte ein dem Militär nahestehender Rat für Nationale Sicherheit christliche Missionare zu einer Gefahr für das Land. Danach begannen auf verschiedenen Ebenen Kampagnen gegen vermeintliche Missionare. Einige islamische Theologen brachten Bücher heraus, in denen genauso wie in einigen Medien gegen die Christen Stimmung gemacht wurde. Über die Gefahr ausländischer Missionare wurden Vorträge vor Soldaten und Geheimdienstmitarbeitern gehalten. Nachdem diese allgemeine Atmosphäre der Bedrohung geschaffen worden war, trat ein Kommandant der Militärgendarmerie auf und gab einem Geheimdienstmitarbeiter den Auftrag, unter arbeitslosen Jugendlichen in Malatya Kandidaten zu finden, die bereit wären, für das Vaterland einen solchen Auftrag auszuführen."

    Vergangene Woche ließ der für das Verfahren gegen das rechtsnationale Netzwerk Ergenekon zuständige Staatsanwalt die Ermittlungen auf die Morde von Malatya ausweiten. Die bereits in Untersuchungshaft sitzenden Ex-Generäle Hursit Tolun und Levent Ersöz wirft er nun auch Anstiftung zum Mord vor – Tolun soll am Mordtag in Malatya gewesen sein. Bei mehreren islamischen Theologen und einem rechten Politikinstitut gab es Hausdurchsuchungen.

    Die Morde an den drei Missionaren, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, gehörten zu den Umsturzplänen der Ergenekon-Gruppe. Mit solchen Anschlägen sollten die politischen Spannungen im Land erhöht und die Regierung Erdogan in Verruf gebracht werden. Gestützt werden die neuen Erkenntnisse auf die Aussagen eines Zeugen, der im Auftrag des militärischen Geheimdienstes die Christen in Malatya unterwandert hatte und dafür auch regelmäßig bezahlt worden war. Den Ermittlern konnte er nicht nur die Auszahlungsbelege vorlegen. Seine Aussagen lassen offenbar wenig Zweifel an der Beteiligung von einzelnen Geheimdienstmitarbeitern und Offizieren an dem Verbrechen. Für die Hinterbliebenen der Ermordeten ist diese Wende im Prozess gegen die Täter nach 31 qualvollen Verhandlungstagen eine kleine Genugtuung. Die Witwe Susanne Geske äußerte schon zum Prozessauftakt vor drei Jahren ihre Hoffnung auf eine umfassende Aufklärung der Tat:

    "Wenn die türkische Regierung das wirklich möchte, dann könnte sie zeigen: Wir können nach unseren Gesetzen handeln. Wir können die Leute rausfinden und nicht dieses Gemauschel weitermachen und die Leute decken. Sondern wirklich aufzudecken. Und wir beten auch regelmäßig für die türkische Regierung, dass sie wirklich den Mut hat, das Ganze aufzudecken."

    Susanne Geske wohnt weiterhin mit ihren drei Kindern in Malatya – weil sie selbst in ihrem Schmerz die kleine Schar türkischer Christen in der Stadt nicht allein lassen will. Denn zum Christentum übergetretene Türken sind bei den Nationalisten besonders verhasst. Sie werden als Gefahr für Staat und Religion dargestellt und sind darum in besonderer Weise gefährdet – auch heute noch, meint Rechtsanwalt Erdal Dogan. Es brauche darum mehr als nur eine juristische Aufarbeitung solcher Verbrechen:

    "Die Regierung muss endlich ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen und ein Gesetz gegen Rassismus und Diskriminierung verabschieden. Ob Kurden, Aleviten, Armenier, Andersgläubige, Atheisten – Angehörige dieser Gruppen müssen vor Erniedrigungen und Diskriminierungen stärker geschützt werden – in Medien, Behörden und in der Justiz. Solange das nicht durchgesetzt ist, bleibt es für Christen in der Türkei gefährlich."