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Moritz Beibtreu
"Ich glaube nicht an dieses Prinzip, dass die Menschheit böse ist"

Moritz Bleibtreu spielt in "Die dunkle Seite des Mondes" einen Mann auf Pilz-Drogen, dem sein Leben entgleitet. Bei dem Film gehe es um Emphatie und wie wichtig sie in unserer Sozialgemeinschaft sei, sagte der Schauspieler im DLF. Er wundere sich oft angesichts des Ungleichgewichts von Wohlstand und Armut, "dass wir so gut miteinander klarkommen."

Moritz Bleibtreu im Gespräch mit Eric Leimann | 13.01.2016
    Der Schauspieler Moritz Bleibtreu bei Dreharbeiten des Kinofilms «Die dunkle Seite des Mondes» am 10.12.2014 in Köln (Nordrhein-Westfalen)
    Der Schauspieler Moritz Bleibtreu bei Dreharbeiten des Kinofilms "Die dunkle Seite des Mondes" in Köln. (picture alliance / dpa - Horst Ossinger)
    Eric Leimann: "Die dunkle Seite des Mondes" ist natürlich ein Stoff, wo es ganz stark um Innenwelten geht. Aber um welche Innenwelten geht es denn eigentlich?
    Moritz Bleibtreu: Es geht um Empathie und was Emphatie bedeutet - und wie wichtig Empathie in unserer Sozialgemeinschaft ist. Es wird ja immer gesagt, dass alles so wahnsinnig kalt ist und die Welt so ein Rohr, ein dunkler Platz ist. Ich muss ganz ehrlich sagen, mir geht es oft anders herum. Ich denke mir ganz oft, bei diesem völligen Ungleichgewicht von Wohlstand, dieser ganzen Armut und all diesen Gründen, die es eigentlich gäbe, sich gegenseitig abzuschlachten - ich wundere mich ganz oft, dass wir so gut miteinander klarkommen. Und in dem Film geht es eigentlich nur darum - oder auch in dem Buch - was passiert, wenn diese Verabredung, die wir als Menschen untereinander mal getroffen haben, die Höflichkeit beinhaltet, eine bestimmte soziale Umgangsform, eine Rücksicht und all das, wenn das einfach nicht mehr da ist. Was dann passiert und wie schnell das auch gehen kann, dass das passiert.
    Leimann: Es ist ein Film über einen Mann, der die Kontrolle über sich selbst verliert. Aber es ist auch ein Stoff, der darüber rätselt, oder den Zuschauer, Leser so ein bisschen im Unklaren lässt, woran das eigentlich liegt. Es gibt ja diesen vordergründigen Grund, der Pilz, aber: Welche Gründe könnten da denn noch eine Rolle spielen?
    Bleibtreu: Das ist in dir. Und warum das passiert, bleibt dann aber relativ offen und ist dann natürlich auch eine Metapher dafür, dass es Extremzustände im Leben geben kann, wo du unter Umständen die Kontrolle über dich selbst verlierst. Und das ist eine unheimliche, finde ich, erschreckende Vorstellung. Nicht mehr Herr der eigenen Emotionen und auch der eigenen Taten zu sein. Und ich glaube auch, dass das eben ein sehr schmaler Grat ist. In Japan sagt man, in diesem Samurai-Gedanken, dass du eigentlich dich selbst umbringen musst, um jemand anders umbringen zu können. Das finde ich eine sehr intelligente Herangehensweise. Ich glaube, genau das passiert. Wenn du jemanden das Leben nimmst, dann nimmst du auch dir ein Teil deines Lebens. Oder wie man auch im Koran sagt: Wenn du einen Menschen tötest, tötest du die gesamte Menschheit. Wir leben auch jetzt gerade in einer Zeit, wo das immer schlimmer wird und die Menschen leider Gottes ihre Empathie immer mehr verlieren.
    Leimann: Was fanden Sie schwierig an der Rolle, wenn man jetzt mal so auf einzelne Szenen oder Momente ... diese Figur ist ja in einem, ja, ständigen Wandel oder in einem Prozess drin. Gab's da Szenen, wo Sie sagten: Oh, okay das ist ein Knackpunkt?
    Bleibtreu: Das war schon insgesamt ziemlich heavy. Also a) ist das ein Film, den wir mit sehr wenig Geld gemacht haben. Das ist ein Low-Budget-Film. Wir haben also lange und viel gearbeitet, es war sehr kalt. So ein Wald ist nach fünf Wochen auch nicht mehr wirklich schön. Es ist hochemotional, es gibt kaum Szenen, die irgendwie ruhig oder gut gelaunt sind. Das war schon auch physisch ziemlich anstrengender Part, muss ich sagen.
    Leimann: Martin Suter ist ja auch so ein Autor, wo man sagt: Eines seiner Grundthemen ist die Orientierungslosigkeit des modernen Menschen in der Gesellschaft. Ist das ein Thema, mit dem Sie etwas anfangen können?
    Bleibtreu: Ja, insofern also Orientierungslosigkeit. Ich nenne es jetzt mal Luxusprobleme. Ja, sicherlich. Das ist von erheblicher Wichtigkeit, vor allem, wenn man das im Vergleich setzt und dann eben schaut, wie klein dieser Teil auf der Welt ist, der die Probleme hat, die wir hier haben. Und wie groß der restliche Teil der Welt ist, der ganz andere Probleme hat. Der sich sicher keine Gedanken darüber macht, ob er zwei Liter Wasser am Tag trinken soll oder muss - oder muss man jetzt wirklich diskutieren, ob Ampelmännchen bald ein anderes Geschlecht haben sollen? Ich weiß das nicht. Ich glaube, wenn man viel reist und viel mitbekommt, was in der Welt so passiert, dann kann man zu gar keinem anderen Schluss kommen als zu sehen, dass so vieles von dem, was uns hier als Problem erscheint, tatsächlich nicht wirklich ein Problem ist.
    "Wir gehen generell gut miteinander um"
    Leimann: Sie haben vorhin gesagt, ich wollte da gern noch mal drauf zurückkommen, dafür, wenn man bedenkt, wie es hier aussieht auf der Welt, gehen wir ganz gut miteinander um. Auf der anderen Seite stimmt das ja global betrachtet nicht. Weil überall Kriege, Konflikte, Flucht. Wo gehen wir eigentlich gut miteinander um?
    Bleibtreu: Wir gehen generell gut miteinander um. Ich glaube, dass die Menschheit gut ist. Ich glaube nicht an dieses Prinzip, dass die Menschheit böse ist - oder überhaupt die Frage als solches zu stellen, ist schon absurd. Weil wenn du täglich durch die Straßen gehst, es kommen ja nicht zehn Barbaren auf die zugelaufen und hacken dir die Hände ab. Im Gegenteil. 90 Prozent der Menschen sind gut. Wir haben gute Herzen. Wir sind emphatische Wesen, wir mögen uns, wir kommen eigentlich total gut miteinander klar. Das Problem ist, dass es diese zehn Prozent gibt, oder vielleicht noch weniger, die das nicht sind. Die halt böse sind, die einfach ein dunkles Herz haben. Und natürlich ist die Energie dieser Leute um Längen größer als die und die Kraft derer, die ein gutes Herz haben. Weil dieser böse Mensch, das hört sich so oberflächlich an, aber das ist eine Tatsache, die Energie dieses Menschen, ist natürlich stärker als die von dem guten, weil er so bereit ist, anderen böses anzutun. Deshalb glaube ich auch nicht daran, die Welt zu verändern. Ich glaube nur daran, mir und meinen Lieben in meinem engsten Umfeld Gutes zu tun. Und ich glaube, wenn man das mehr auf dem Plan hätte als sich darüber Gedanken zu machen, wie wir den Planeten retten, dann würde es uns allen noch viel besser gehen. Aber ich weigere mich auch partout, daran zu glauben, dass Menschen schlecht sind, also nicht gut sind. Das glaub ich nicht. Ich glaube, die meisten sind im Grunde ihres Herzens eigentlich ganz okay.
    Leimann: Aber auch wenn Sie sagen, Sie arbeiten nicht daran, die Welt zu verändern, man hat ja schon als Schauspieler mit einem großen Publikum relativ viel Ausstrahlungskraft. Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie können was erreichen mit dem, was Sie tun?
    Bleibtreu: Das ist nicht mein Beweggrund. Mein Beweggrund ist ein egoistischer. Ich habe nie gespielt, weil ich sag: Ich mach das für dich oder ich mach das für die anderen. Nein, ich mach das für mich. Und alles andere wäre gelogen. Trotzdem habe ich einen Anspruch an den, was ich tue. Dass ich alles, was ich emotional einer Figur zu geben habe, gebe. Uneitel und mit all meiner Kraft. Und das wird dann angeschaut. Was dann passiert und was das mit den Leuten macht, das entzieht sich meiner Kraft und meinem Einfluss. Die Schauspielerei ist, sicherlich auch für viele Kollegen, sicherlich eine narzisstische Angelegenheit. Das ist es bei mir sicherlich nicht. Aber ich kann nicht sagen, dass ich das für Menschen mache. Das wäre gelogen. Ich mache das für mich und habe das große Glück, dass man mich das lässt, ich auch noch dafür bezahlt werde und teilweise dafür sogar bewundert werde. Das ist für mich auch absurd oft. Weil eigentlich ist die Schauspielerei ein Egotrip.
    Leimann: Aber wenn Sie jetzt mal auf die ja schon sehr lange Liste von Filmen zurückblicken, die Sie gedreht haben, gibt es da irgendwie eine Arbeit, wo man im Nachhinein sagt: "Da habe ich echt was bewegt mit"?
    Bleibtreu: Also, wenn es da irgendwas gibt, dann sind das definitiv keine - wie sagt man - sozialen oder irgendwelche anderen gesellschaftlich relevanten Dinge. Also kleine Sachen. Das ein Mensch da rein geht und das unter Umständen mit ihm was macht. Und dass er vielleicht rauskommt und sagt: Boah, jetzt auf einmal denke ich über Dinge nach, über die ich so jetzt nicht nachgedacht habe oder da ist eine Frage aufgeworfen worden, die ich mir noch nie gestellt habe, die wichtig war und das hat was verändert. Das glaube ich. Aber dasselbe gilt für jede Erfahrung, die du in deinem Leben machen kannst, wenn du mit offenen Augen durchs Leben gehst. Also - wir sind Geschichtenerzähler. Das, was wir machen, ist ein riesiger Kindergarten - und wenn das so passiert und ein Mensch daraus was zieht, was auch immer es ist, was am Ende eine Bereicherung für sein Leben darstellt, dann freue ich mich total darüber. Aber es wäre gelogen zu sagen: Deswegen mache ich es.
    "Wenn du etwas über Geschichte wissen willst, musst du in die Bibliothek"
    Leimann: Werten Sie denn Arbeiten? Dass Sie über so ein Urteil, dass man sagt, der Film ist gelungen oder nicht gelungen und dann abgehakt, dass man auch sagt: Das waren wichtige Filme?
    Bleibtreu: Ich glaube nicht, dass es so etwas gibt wie einen wichtigen Film. Das gibt es nicht - das ist ein Widerspruch in sich. Wichtig sind andere Dinge. Filme sind nicht wichtig. Filme sind schön, Filme sind eine Bereicherung, Filme sind Luxus. Den Anspruch an einen Film zu hegen, er sei wichtig, ist für mich von Grund auf vermessen. Das ist genau wie diese ewige Diskussion über zum Beispiel geschichtliche Genauigkeit oder historische Präzision, wenn es um Filme geht oder so. Wie beim "Untergang" damals oder bei "Jud Süss" oder so, wo dann alle darüber diskutieren: War das so? War das nicht so? Auch das finde ich absurd. Du kannst doch nicht von einem Film erwarten, dass er dir Geschichte vermittelt. Wenn du etwas über Geschichte wissen willst, musst du in die Bibliothek. Du solltest auch nicht bei Wikipedia gucken, sondern gehe in eine Bibliothek, da wo das gesammelte Wissen recherchiert und verbrieft gesammelt und bewahrt wird - und setz dich da hin und studiere - so geht das. Alles andere ist Quatsch. Ich kann doch nicht den Anspruch an einen Film wie den "Baader Meinhof Komplex" hegen, und sagen. Und so, ich guck den Film und jetzt weiß ich, was damals passiert ist. Das wäre doch furchtbar.