Von Thomas Bernhard sind wir hier natürlich längst weltenweit entfernt, dafür befinden wir uns im Zentrum der Poetologie des Martin Mosebach: In der Moral der Weltbetrachtung liegt für diesen geschliffen formulierenden Literaten und Kritiker "der Glanz und das anziehende Geheimnis der großen epischen Literatur verborgen." Diesem Geheimnis ist der Autor des Essaybandes stets auf der Spur, ob er überraschende Parallelen zwischen den Rüpelszenen aus Shakespeares "Sommernachtstraum" und Kleists "Penthesilea" ausmacht, ob er "Heimito den Großen", also von Doderer zum 100. Geburtstag ehrt oder ob er eine gelungene Ausgabe der Flaubertschen "Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit" rühmt.
Der gewichtigste Aufsatz trägt den schlichten Titel: "Was ist katholische Literatur?" So einfach die Frage klingt, so schwer ist sie zu beantworten, und natürlich sind wir am Ende der Lektüre klüger, aber eine schlüssige Antwort haben wir doch nicht erhalten. "Katholische Literatur ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts" – mit dieser verblüffenden Sentenz fängt es erst einmal an. Mosebach definiert den katholischen Roman als "Unterfall der Gattung der engagierten Kunst", und damit ist auch schon das Dilemma bezeichnet: Denn die engagierte Kunst ist nicht "absichtslos", sie muss sich die Freude an der Absurdität und die Freude am Spiel versagen, mit einem Wort: sie muss humorlos sein. Der Humor ist aber andererseits, und hier beruft Mosebach sich auf den Katholiken Chesterton, den Autor des "Pater Brown", geradezu ein Abzeichen katholischer Weltsicht: es handelt sich um einen gewissermaßen fatalistischen Humor angesichts der Erbsünde, die das Entstehen von Vollkommenheit auf Erden gründlich verhindert. T.S. Eliot spricht von der "großen katholischen Philosophie der Desillusionierung". Damit aber beißt sich die Katze in den Schwanz: Wie soll eine erklärtermaßen humorlose Kunstgattung eine genuin humoristische Weltsicht transportieren?
Mosebach löst den Widerspruch nicht auf. Er selbst gehört natürlich nicht zu denen, die engagierte Kunst hervorbringen, er macht also keine katholische Literatur, wohl aber ist er ein katholischer Schriftsteller, und Humor hat er zweifellos auch. Darin ähnelt er einigen großen Katholiken bzw. Nicht-Katholiken des 20. Jahrhunderts, allen voran den Giganten Proust und Joyce, die zwar vermutlich nicht gläubig waren, aber doch genussvoll aus dem Repertoire der katholischen Kirche schöpften. Auf eine blasphemische Weise tut es der "Ulysses", mit einer halbwegs versteckten und doch deutlichen Anspielung die "Recherche": Aus Brot und Wein, die den Tod Jesu vergegenwärtigen, werden Lindenblütentee und Madeleine, die es dem Erzähler Marcel ermöglichen, die eigene Vergangenheit lebendig werden zu lassen.
Martin Mosebach: Schöne Literatur. Essays. Hanser Verlag, 232 S., 19,90 Euro.