Karin Fischer: Das Geschichtsbild Martin Mosebachs und wie er es anlässlich seiner Büchnerpreisrede aus "Dantons Tod" herausgelesen hat, haben wir gestern in aller Kürze analysiert. Was heute noch offen ist, ist die Frage, ob Mosebach seinem Subjekt, also Büchner selbst, gerecht wird. Denn während der Dichter Büchner sich in seine Figuren spaltend durchaus antagonistische Meinungen vertreten darf, soll der echte Büchner laut Martin Mosebach nicht nur ein absoluter Verächter des Bürgertums, sondern ein radikaler Frühkommunist gewesen sein, der über Leichen ging, zumindest die Katastrophe ersehnte. Die Frage geht an Burghard Dedner von der Forschungsstelle Georg Büchner an der Universität Marburg. Stimmt dieses Büchnerbild denn mit dem von der Wissenschaft erarbeiteten überein, oder was macht Mosebach da?
Burghard Dedner: Mosebach macht, was jeder historische Dichter macht, also Dichter von historischen Werken macht: Er nimmt Versatzstücke aus der Wirklichkeit heraus und baut die in ein Bild ein, das dann aber sein eigenes ist, das eigentlich ein fiktives Bild ist. Also es ist zum Beispiel wahrscheinlich richtig, dass Büchner Frühkommunist war. Es ist auch richtig, dass es einen Brief gibt, zwei Briefe sogar, wo vom Hanf die Rede ist, an das man Aristokraten hängen könnte. Aber diese Briefe zum Beispiel sind bitter ironisch geschrieben, waren in dieser Zeit auch veröffentlichbar, also die Leute haben die Ironie, die dahinter steckte, gemerkt. Mosebach nimmt solche Teile heraus und baut sich aus ihnen ein Bild von einem, wie mir scheint, jetzt wirklich blutrünstigen Büchner zusammen, den man eigentlich dann wirklich hätte einsperren sollen.
Fischer: Büchner war ja auch Naturwissenschaftler. Aber hat er an die Revolution als eine katastrophische Kraft tatsächlich so geglaubt, wie Mosebach das mit seinem Saint-Just-Zitat insinuiert? Es lautet sinngemäß: Warum sollen Menschen nicht von einer Revolution hinweggefegt werden wie von einem Erdbeben oder Vulkanausbruch. Und mit dieser Art von naturalistischen Geschichtsauffassungen ließe sich dann ja vermutlich wirklich Massenmord egal von welcher Seite rechtfertigen.
Dedner: Büchner hat sein Saint-Just-Bild aus einer deutschen Quelle genommen, die gerade Saint-Just und auch den anderen Jakobinern solche Menschheitsphantasien zuschreibt. Also man kann dem Text von Büchner entnehmen, dass er Saint-Just wahrscheinlich denunziatorisch behandelt, also zeigt, wie hier eine Allmachtsphantasie sich verselbständigt und dann tatsächlich zu grässlichen Konsequenzen führen würde. Es gibt eine Stelle dabei, die das relativ deutlich zeigt. Saint-Just gebraucht ein Bild von der Revolution als dem großen Kessel, aus dem die Menschheit verjüngt heraussteigen soll. Dieser Mythos ist zweimal überliefert in der griechischen Geschichte, einmal gelingt es, einmal nicht. Und Büchners Saint-Just nimmt den falschen Mythos, nämlich den Mythos, wo das Experiment nicht gelingt. Das ist so ein Beispiel für eigentlich denunziatorisches Vorführen einer Person.
Fischer: Ein Punkt ist bei Mosebach ja auch ein sehr zentraler, nämlich der Satz von Lucile Desmoulins am Ende des Dramas: "Es lebe der König." Es gibt ja eine ganz einfache historische Erklärung für diesen Satz.
Dedner: Ja, die einfache historische Erklärung nennt ja Mosebach selbst. Nämlich es wird berichtet, dass Witwen vor allen Dingen, die ihrem Gatten in den Tod folgen wollten, nicht genug Veronal hatten oder nicht Veronal nehmen wollten, sondern statt dessen gerufen hätten: "Es lebe der König", und dann seien sie verhaftet und guillotiniert worden. Das ist also die einfache Erklärung. Und ich denke, man kann es bei dieser Erklärung auch noch lassen. Dieser Satz bei Büchner hat seinen guten Grund, denn der Königshasser Desmoulins tritt zu Anfang des Dramas auf und phantasiert von einer künftigen, schönen Republik. Und am Ende haben wir die absolute Desillusionierung, die jetzt sich in diesem Ruf von Lucile noch einmal besonders ausdrückt.
Fischer: Martin Mosebach nimmt diesen Satz aber nun her, um aus ihm eine Art Geschichtsphilosophie zu filtern, die lautet: Nach dem Idealismus, der in die Revolution mündet, folgt das Scheitern, und daraus ein Nihilismus, über den man das einzig denkbare handelnde Subjekt, den König nämlich, schon wieder fordern könnte.
Dedner: Ja, die erste Geschichtskonstruktion kenne ich aus Büchnerdarstellungen der 1950er Jahre. Da hat der katholisch-konservative Teil der Republik sich gefragt, wie konnte es denn zu Hitler kommen. Und dann wird Hitler irgendwie aus der Französischen Revolution und folgendem Nihilismus hergeleitet. Das ist also nicht besonders originell, sondern von daher bekannt. Die Variante mit, dass daraus sich eine neue Königsmystik ergeben würde, die ist neu. Und die würde ich jetzt doch eher Mosebachs eigener Phantasie zuschreiben. Bei Büchner gibt es dafür - also ich wüsste keinen Beleg dafür, der das nahe legt.
Fischer: Herzlichen Dank an Burghard Dedner von der Forschungsstelle Georg Büchner der Universität Marburg. Dort wird auch die Akademieausgabe der Werke Büchners erarbeitet.
Burghard Dedner: Mosebach macht, was jeder historische Dichter macht, also Dichter von historischen Werken macht: Er nimmt Versatzstücke aus der Wirklichkeit heraus und baut die in ein Bild ein, das dann aber sein eigenes ist, das eigentlich ein fiktives Bild ist. Also es ist zum Beispiel wahrscheinlich richtig, dass Büchner Frühkommunist war. Es ist auch richtig, dass es einen Brief gibt, zwei Briefe sogar, wo vom Hanf die Rede ist, an das man Aristokraten hängen könnte. Aber diese Briefe zum Beispiel sind bitter ironisch geschrieben, waren in dieser Zeit auch veröffentlichbar, also die Leute haben die Ironie, die dahinter steckte, gemerkt. Mosebach nimmt solche Teile heraus und baut sich aus ihnen ein Bild von einem, wie mir scheint, jetzt wirklich blutrünstigen Büchner zusammen, den man eigentlich dann wirklich hätte einsperren sollen.
Fischer: Büchner war ja auch Naturwissenschaftler. Aber hat er an die Revolution als eine katastrophische Kraft tatsächlich so geglaubt, wie Mosebach das mit seinem Saint-Just-Zitat insinuiert? Es lautet sinngemäß: Warum sollen Menschen nicht von einer Revolution hinweggefegt werden wie von einem Erdbeben oder Vulkanausbruch. Und mit dieser Art von naturalistischen Geschichtsauffassungen ließe sich dann ja vermutlich wirklich Massenmord egal von welcher Seite rechtfertigen.
Dedner: Büchner hat sein Saint-Just-Bild aus einer deutschen Quelle genommen, die gerade Saint-Just und auch den anderen Jakobinern solche Menschheitsphantasien zuschreibt. Also man kann dem Text von Büchner entnehmen, dass er Saint-Just wahrscheinlich denunziatorisch behandelt, also zeigt, wie hier eine Allmachtsphantasie sich verselbständigt und dann tatsächlich zu grässlichen Konsequenzen führen würde. Es gibt eine Stelle dabei, die das relativ deutlich zeigt. Saint-Just gebraucht ein Bild von der Revolution als dem großen Kessel, aus dem die Menschheit verjüngt heraussteigen soll. Dieser Mythos ist zweimal überliefert in der griechischen Geschichte, einmal gelingt es, einmal nicht. Und Büchners Saint-Just nimmt den falschen Mythos, nämlich den Mythos, wo das Experiment nicht gelingt. Das ist so ein Beispiel für eigentlich denunziatorisches Vorführen einer Person.
Fischer: Ein Punkt ist bei Mosebach ja auch ein sehr zentraler, nämlich der Satz von Lucile Desmoulins am Ende des Dramas: "Es lebe der König." Es gibt ja eine ganz einfache historische Erklärung für diesen Satz.
Dedner: Ja, die einfache historische Erklärung nennt ja Mosebach selbst. Nämlich es wird berichtet, dass Witwen vor allen Dingen, die ihrem Gatten in den Tod folgen wollten, nicht genug Veronal hatten oder nicht Veronal nehmen wollten, sondern statt dessen gerufen hätten: "Es lebe der König", und dann seien sie verhaftet und guillotiniert worden. Das ist also die einfache Erklärung. Und ich denke, man kann es bei dieser Erklärung auch noch lassen. Dieser Satz bei Büchner hat seinen guten Grund, denn der Königshasser Desmoulins tritt zu Anfang des Dramas auf und phantasiert von einer künftigen, schönen Republik. Und am Ende haben wir die absolute Desillusionierung, die jetzt sich in diesem Ruf von Lucile noch einmal besonders ausdrückt.
Fischer: Martin Mosebach nimmt diesen Satz aber nun her, um aus ihm eine Art Geschichtsphilosophie zu filtern, die lautet: Nach dem Idealismus, der in die Revolution mündet, folgt das Scheitern, und daraus ein Nihilismus, über den man das einzig denkbare handelnde Subjekt, den König nämlich, schon wieder fordern könnte.
Dedner: Ja, die erste Geschichtskonstruktion kenne ich aus Büchnerdarstellungen der 1950er Jahre. Da hat der katholisch-konservative Teil der Republik sich gefragt, wie konnte es denn zu Hitler kommen. Und dann wird Hitler irgendwie aus der Französischen Revolution und folgendem Nihilismus hergeleitet. Das ist also nicht besonders originell, sondern von daher bekannt. Die Variante mit, dass daraus sich eine neue Königsmystik ergeben würde, die ist neu. Und die würde ich jetzt doch eher Mosebachs eigener Phantasie zuschreiben. Bei Büchner gibt es dafür - also ich wüsste keinen Beleg dafür, der das nahe legt.
Fischer: Herzlichen Dank an Burghard Dedner von der Forschungsstelle Georg Büchner der Universität Marburg. Dort wird auch die Akademieausgabe der Werke Büchners erarbeitet.