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Moskau nach den Milizübergriffen

Nach den gewalttätigen Ausschreitungen vom Wochenende in Moskau und St. Petersburg sind deutsche Bundestagsangehörige zu Besuch in Russland. Das rabiate Vorgehen gegen Demonstranten und Journalisten war immer wieder Thema bei den Treffen mit russischen Kollegen. Ein Beitrag von Robert Baag.

    Blass und abgehetzt eilt Wladimir Ryshkov den sonnendurchfluteten Korridor der Duma entlang. "Wie?", bleibt er abrupt stehen, "Bundestagsabgeordnete sind im Haus?" - Denen würde der junge, unabhängige Abgeordnete dann doch gerne etwas mit auf den Weg geben, nach den Gewaltorgien vom Wochenende, als Miliz und OMON-Sonderpolizei in Moskau und St.Petersburg friedliche Demonstranten, unbeteiligte Passanten niederknüppelten und in- und ausländische Journalisten rabiat festnahmen:

    "Ich appelliere an meine deutschen Bundestagskollegen, dies offen anzusprechen, und ihre russischen Kollegen zu fragen, wie das denn möglich ist, dass ein Land, das sich demokratisch nennt und Mitglied des Europarats ist, solch massenhafte Menschrechtsverletzungen zulässt."

    Kurz darauf, acht Stockwerke höher im so genannten Nussbaum-Saal der Duma: Knapp zehn Minuten warten die deutschen Bundestagsabgeordneten bereits, bis der russische Parlamentspräsident Boris Gryslov in Begleitung russischer Parlamentarier erscheint, um die Gäste aus dem fernen Berlin offiziell zu begrüßen. - Zeit genug für das deutsche Grüppchen, sich über die Eindrücke vom Wochenende auszutauschen, und wie ihre russischen Gesprächspartner bisher reagiert haben. Alle deutschen Kollegen seien sich einig gewesen, dass hier unverhältnismäßig Gewalt angewendet worden sei. Und dies habe man auch so weitergegeben, erzählt Marie-Luise Beck von der Grünen-Bundestags-Fraktion:

    "Das haben wir im Austausch mit unseren Kollegen eben noch einmal sehr deutlich gemacht, dass dieses Missverhältnis Botschaften aus Russland nach außen sendet."

    Und ihr CDU-Kollege Karl-Georg Wellmann vom Auswärtigen Ausschuss des Bundestages kann auch gar nicht verstehen, weshalb sich ihre russischen Kollegen über ein vermeintlich negatives Russlandbild der in Moskau stationierten deutschen Auslandkorrespondenten aufregen. Denn, so habe man den Duma-Kollegen klar gesagt:

    "Sie dürfen sich nicht wundern, wenn sie das ARD-Team hier verprügeln lassen von der OMON, dass die entsprechend berichten darüber. Und da haben sie auch genickt und wir haben ihnen dringend geraten, das abzustellen."

    Ein wenig diplomatischer formuliert es wenig später hingegen der Delegationsleiter der deutschen Parlamentariergruppe, der SPD-Bundestagsabgeordnete Gert Weiskirchen:

    "Also, als wir in der gemeinsamen Parlamentariergruppe darüber gesprochen haben: Großes Verständnis!"
    "Aber es wurde nichts konkret zugesagt, dass man einwirken möchte?"
    "So ist es. - Aber immerhin, es ist gesagt worden, und ich glaube, ich hoffe, dass es zum Nachdenken geführt hat und führt."

    Die junge Duma-Abgeordnete Aleksandra Burataeva von der Putin-nahen Partei "Geeintes Russland" kann bei dieser Gesprächsrunde allerdings kaum dabei gewesen sein. Ausgerechnet sie soll später die gemeinsame deutsch-russische Sitzung leiten, bei der es um den Abbau gegenseitiger Negativ-Stereotypen gehen wird. Sie, eine ehemalige Star-Nachrichtenmoderatorin im russischen ersten Fernsehkanal gibt sich - auf das vergangene Wochenende und auf ihren Kommentar dazu angesprochen - ausgesprochen überrascht, lächelt allerdings strahlend dabei:

    "Ich habe doch überhaupt erst heute davon erfahren, morgens in der Duma... Samstags und sonntags schaue ich nämlich kein Fernsehen und höre fast kein Radio. Ist doch Wochenende..."

    So, auch Rentner und alte Frauen seien von der Miliz verprügelt worden? - "Ach wissen Sie", wehrt Burataeva ab, "bei uns gibt es Großmütterchen, die nicht einmal davor zurückschrecken, selbst auf OMON-Polizisten einschlagen."

    Auch für Gerd Weisskirchen hat das russische Wochenende in Moskau und St. Petersburg durchaus Facetten. Schließlich, sagt er, fast schon auf dem Weg zur nächsten Gruppensitzung, müsse man angesichts der russischen Opposition und Gari Kasparov, deren Frontfigur gegen Putin, auch bedenken:

    "Wenn Herr Kasparov von ganz links bis ganz rechts eine sehr bunt schillernde Koalition schmiedet, die nicht zu einander gehört, dann ist das natürlich auch etwas, was politisch bewertet werden muss!"

    Wladimir Ryshkov, der letzte unabhängige Duma-Oppositionelle, wirkt ein wenig resigniert, ein wenig erschöpft. Viele seiner außerparlamentarischen Freunde und Sympathisanten werfen dem Westen Feigheit vor der russischen Führung vor - "Das ist auch meine Ansicht", bestätigt er, "viele europäische Staatsführer verraten das russische Volk und dessen Rechte."