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Motor im Ohr

Biologie. - Das Gehör zählt zu den leistungsfähigsten Organen. Schon lange vermuten Wissenschaftler, dass zumindest bei Wirbeltieren und Insekten interne Verstärker eine Rolle spielen, die winzigen molekularen Motoren gleich, das Energiepotenzial akustischer Signale erhöhen. In der aktuellen Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Science" berichten Forscher des Zoologischen Instituts der Universität zu Köln über den Nachweis dieser Verstärker an der Fruchtfliege Drosophila melanogaster.

    Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Laune der Natur: Die Hörorgane so unterschiedlicher Lebewesen wie Wirbeltiere und Insekten funktionieren also nach den gleichen Prinzipien: Mechanischer Schall wird über einen Sensor - das Trommelfell etwa oder, wie bei Insekten, eine Antenne - auf Haarzellen gelenkt, die ihrerseits den Bewegungsreiz in elektrische Signale umwandeln und ins Hirn weiter leiten. Vom riesigen Elefanten bis zur winzigen Fruchtfliege Drosophila gibt es keine Unterschiede. Keine Unterschiede dürfte es zudem in einer grundlegenden Annahme geben: Jedes Gehör kann Schalleindrücke verstärken! Um dieses Konzept zu beweisen - sagte sich der Kölner Zoologe Martin Göpfert - muss man zunächst einmal zeigen, dass im Ohr anscheinend physikalische Prinzipien verletzt werden. Etwa das Gleichgewichtstheorem, nach dem Energie, die einem System zufließt, in gleicher Größe heraus kommt.

    Wir konnten zeigen, dass dieses Gleichgewichtstheorem bei Drosophila, bei diesen Fliegenohren verletzt ist, dadurch eben das die Ohren aktiv Energie zuführen, so dass eben praktisch mehr Energie raus kommt als rein gesteckt wird.

    Mit anderen Worten: Irgendwo im Ohr wird das akustische Signal verstärkt. Dies geschieht - sagt Martin Göpfert vom Zoologischen Institut der Universität zu Köln - durch zusätzliche Bewegungen der Antennen. Als Motor für den Verstärker haben die Wissenschaftler gleich mehrere Kandidaten im Visier. Zum Beispiel Prestin. Göpfert:

    Prestin ist ein Motorprotein, das in den Haarzellen von Säugern vorkommt und dort Bewegungen generieren kann, wir wissen, dass ähnliche Proteine auch bei Drosophila vorkommen, das wäre ein Kandidat für diese Verstärkung.

    Eine entscheidende Rolle spielt dabei Adenosintriphosphat - kurz ATP - der wichtigste Energiespeicher einer jeden Zelle. Wenn ATP sich an das Motorprotein bindet, bewirkt ein Teil seiner Energie, dass sich das Protein auf- und zuklappt. Im Idealfall bis zu 200 Mal pro Sekunde. Neben Prestin verfolgen die Kölner Forscher aber noch ein weitere Spur: Als Motor eigenen sich auch die Abläufe in den Transduktionskanälen. Göpfert:

    Man nimmt an zunächst, dass diese Transduktionskanäle, diese Ionenkanäle im Ohr, die die mechanischen Schwingungen in elektrische Signale umwandeln, dass die geöffnet werden direkt durch den mechanischen Reiz, dann klappt dieser Kanal auf, und anschließend schließt er wieder und dieses Schließen kann aktiv sein, das sind kalziuminitiierte Schließbewegungen, und wenn ich so eine aktive Bewegung mit dem Tor eines Ionenkanals mache, kann ich damit bereits eine Bewegung erzeugen.

    Mit der Arbeit wurde zum ersten Mal überhaupt das Verstärkerprinzip an einem intakten Gehör nachgewiesen, bisher war die Fähigkeit Energie zu erzeugen nur für isolierte Zellen aus dem Ohr von Wirbeltieren belegt. Mit weit reichenden Folgen. So winzig Drosophila auch ist, ihr Gehör ist vergleichbar mit dem Gehör aller Wirbeltiere - inklusive das des Menschen. Göpfert:

    Wir wissen zum Beispiel, dass die Sinneszellen von Drosophila und von Wirbeltieren miteinander verwandt sind, wir wissen, deren Entwicklung wird durch die gleichen Gene gesteuert, wir wissen, dass diese Transduktionsproteine teilweise die selben sind, es ist also durchaus möglich, dass die gleichen Mechanismen bei Wirbeltieren und bei Insekten verwendet werden.

    Ob diese Resultate in neue Therapien bei Schwerhörigkeit einfließen, kann heute niemand sagen. Klar ist aber, dass jetzt auf genetischer Ebene dieser Verstärkungsvorgang untersucht werden kann. Göpfert:

    Wir können jetzt bestimmt Gene manipulieren in den Hörorganen der Fruchtfliege und gucken, was hat das für Konsequenzen für die Energieproduktion im Ohr, welche molekularen Motoren sind beteiligt, welche Proteine spielen bei der Transduktion der mechanischen Reize in elektrische Signale ein Rolle, also das ist jetzt ein ganz tolles System, und Drosophila ist einfach das am besten bekannte genetische Modellsystem, so dass wir hier tolle neue Einblicke erwarten.