Friedbert Meurer: Im Auftrag der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und des Vereins Deutscher Ingenieure, VDI, hat der Stuttgarter Soziologieprofessor Ortwin Renn 13.000 Schüler, Studierende und berufstätige Ingenieure befragt. Guten Morgen, Herr Renn!
Ortwin Renn: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Um mit den Frauen zu beginnen: Studieren immer noch viel zu wenige Frauen Ingenieurwissenschaften?
Renn: So ist es. Also da ist Deutschland in Europa fast Schlusslicht. Das heißt, wir haben wesentlich weniger Frauen in Ingenieurstudien als auch in Ingenieurberufen als nahezu alle anderen europäischen Länder, vom anderen Ausland mal ganz abgesehen.
Meurer: An den Schulen sind die Mädchen doch sonst so erfolgreich und haben die Jungens teilweise abgehängt. Warum machen sie einen Bogen um das Ingenieursstudium?
Renn: Nun, da gibt es eine Reihe von Gründen. Der eine Grund ist einfach, dass viele Mädchen zwar glauben, dass sie die Fächer ganz gut können, auch wenn sie gut in der Physik oder in der Mathematik sind, sich aber ein technisches Fach häufig selbst nicht zutrauen.
Wir haben also deutlich gesehen in unserer Umfrage: Wenn wir jemand fragen, sagen wir mal, der mit eins oder zwei in den Fächern Physik und Mathematik ist, dann sagen die Jungen sehr viel häufiger als die Mädchen, ich glaube, ich kann damit sehr gut ein naturwissenschaftliches oder auch ein technisches Fach studieren. Die Mädchen sind da etwas unsicherer.
Meurer: Wieso sind die unsicherer und trauen es sich nicht zu?
Renn: Also ich denke, teilweise sind da noch die alten Vorurteile da, und was wir interessant und auch etwas beunruhigend fanden, war, je technisch interessierter Jungen sind, desto eher haben sie das Vorurteil, dass Technik nichts für Mädchen ist. Also insgesamt hat sich das Vorurteil etwas gebessert. Also wenn wir insgesamt die Schüler und Schülerinnen befragen, sagen die: Nö, nö, Technik ist auch was für Mädchen.
Meurer: Also die Jungens drängen die Mädchen ab?
Renn: Drängen oder sind zumindest davon überzeugt, dass sie, wenn sie technisch selber begabt sind, es die Mädchen nicht sind. Es ist gerade so, dass diejenigen, die dann später Ingenieurwissenschaften studieren, diese Jungen am ehesten Vorurteile gegenüber den Mädchen haben.
Meurer: Studienanfänger unterschätzen den Schrecken des Studiums - ist das ein Fazit Ihrer Studie?
Renn: Ja, es ist in jedem Falle so, man kann es in zwei Seiten hin auslegen: Die eine Seite ist, dass Studienanfänger, vor allem Dingen in Ingenieurwissenschaften, relativ hohe und auch sehr positive Erwartungen an das Studium haben, die aber im Verlaufe der ersten drei bis vier Semester immer mehr zurückgehen; und dass doch viele sagen, dass sie erstens Dinge lernen, von den sie glauben, dass sie die im späteren Beruf nicht unbedingt brauchen, dass das Studium ihnen sehr viel abverlangt, mehr als sie ursprünglich erwartet hatten, und dass sie leiden auch unter Prüfungsstress und unter einer Abstraktheit der Lehre, die ihnen häufig nicht mit dem übereinzustimmen scheint, was sie sich eigentlich von ihrem Beruf versprechen.
Meurer: Das hört man auch von anderen Studienfächern, dass da unnötiger Ballast drin sei. Was ist das Besondere bei den Ingenieuren?
Renn: Also ich denke, wer Ingenieurwissenschaften studiert - und nicht Naturwissenschaften beispielsweise - möchte eigentlich schon von Beginn an eine gewisse Form von praktischer Erfahrung miterleben und auch daran teilhaben.
Der klassische Ingenieurberufsausbildungsweg in Deutschland ist aber so, dass man in den ersten Semestern erst mal die gesamte Mathematik, die gesamte Grundlage vielleicht auch der Physik legen will, und dass man von daher für viele die Attraktivität eines solchen Studiums gegenüber den Naturwissenschaften gar nicht mehr aufkommt.
Das heißt, letztendlich haben sie erwartet, man würde in den ersten Semestern sehr viel auch schon Praktischeres oder auch, ich sag mal, Handfesteres lernen. Dies ist aber nicht der Fall, und da ist die Enttäuschung vorprogrammiert.
Meurer: Werden von den Professoren an den Unis und Fachhochschulen absichtlich am Anfang des Studiums die Hürden so hoch gelegt, dass schon eine ganze Menge von Studierenden ausgesiebt werden?
Renn: Also ich glaube, man ist sich dieser Sache bewusst inzwischen und viele Hochschulen versuchen, dem auch gegenzusteuern. Aber das ist natürlich die klassische Form gewesen. Weil in den meisten Hochschulen zumindest kein Numerus clausus für Technik besteht, sind die ersten Semester im Wesentlichen Aussiebungssemester, um zu sehen, ist er überhaupt geeignet oder nicht geeignet.
Das ist auch im spezifischen Fall nicht immer das Schlechteste, weil es natürlich Leute gibt, die wirklich nicht geeignet sind. Ich glaube aber aufgrund auch der Studienergebnisse, dass teilweise die Falschen ausgesiebt werden, dass Personen ausgesiebt werden, die eigentlich sehr gut sind. Das können wir auch daran erkennen, dass fertige Ingenieure, die erfolgreich waren - die haben wir ja auch befragt -, nicht unbedingt die besten Noten beispielsweise in Mathematik hatten, eher durchschnittliche Noten, und dass, wenn man dann natürlich die Mathematikhürden zu hoch nimmt in den ersten Semestern, man vielleicht Personen, ja, tatsächlich aussortiert, die später in einem klassischen oder auch in einem weniger klassischen Ingenieurberuf sehr wohl ihre Frau und ihren Mann stehen können.
Meurer: Fehlt, Herr Renn, den Ingenieurprofessoren noch mehr als anderen Hochschullehrern das pädagogische und didaktische Händchen?
Renn: Also das würde ich so nicht sagen. Also ich glaube, dass gerade auch jetzt in den Ingenieurwissenschaften Formen der Pädagogik und Didaktik hoch geschätzt werden. Ich denke, es ist erstens eine Frage des Curriculums. Das Zweite ist, dass die sogenannten fachfremden Fächer wie Mathematik, zum Teil auch Physik, dann von den jeweiligen Kollegen der Fächer gehalten werden, die natürlich einen ganz anderen Anspruch an ihr eigenes Fach haben und diese Hilfswissenschaft für die Ingenieurwissenschaften nicht so sehen - also das ist da ein strukturelles Problem.
Und ich denke, es ist natürlich auch ein Problem, dass wir immer noch sehr viele Studierende pro Professor haben. Das ist selbst bei den jüngeren Zahlen Ingenieurwissenschaften der Fall. Darunter leiden auch teilweise die Studierenden. Das ist an der Fachhochschule etwas besser. Aber insgesamt gesehen glaube ich nicht mal so sehr, dass es in der Hochschule ein Didaktikproblem ist. Das ist mehr in der Schule.
Meurer: Noch ganz kurz: Was muss anders werden, außer weniger höhere Mathematik am Anfang des Studiums?
Renn: Also ich denke, im Studium selber sind für mich wesentliche Dinge, die schon vorher beginnen, nämlich dass erstens die Studien- und Berufsberatung bei Schülern besser wird. Da hat sich gezeigt, dass sie auf falsche Erwartungen hin programmiert werden.
Zweiter wesentlicher Gesichtspunkt ist: Wir brauchen sinnvollen Technikunterricht in der Schule, der kontinuierlich ist, damit einerseits die Begabungen erkannt und andererseits aber auch sozusagen die theoretische Fundierung wirklich auch von vornherein gesehen wird als notwendig.
Das Dritte ist, dass im Grundstudium, also in den ersten Studien - es gibt ja kein Grundstudium mehr im Bachelor, aber den ersten Studiensemestern - auch schon praktische Erfahrungen sehr viel stärker im Vordergrund stehen.
Und ich denke viertens, hier kommen wir noch auf den Anfang zurück, für die Mädchen ist es ganz, ganz wichtig, dass sie Vorbilder haben; und wir denken, so was wie ein Mentorinnenprogramm wäre hier sehr gut, denn sie fühlen sich immer noch in dem Universitätsbetrieb isoliert im ingenieurwissenschaftlichen Bereich und sie brauchen alle Rückendeckung, die sie bekommen können.
Meurer: Der Stuttgarter Soziologieprofessor Ortwin Renn hat ein sogenanntes Nachwuchsbarometer erforscht und dazu 13.000 Schüler, Studierende und berufstätige Ingenieure befragt. Danke, Herr Renn, und auf Wiederhören!
Renn: Auf Wiederhören, Herr Meurer!
Ortwin Renn: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Um mit den Frauen zu beginnen: Studieren immer noch viel zu wenige Frauen Ingenieurwissenschaften?
Renn: So ist es. Also da ist Deutschland in Europa fast Schlusslicht. Das heißt, wir haben wesentlich weniger Frauen in Ingenieurstudien als auch in Ingenieurberufen als nahezu alle anderen europäischen Länder, vom anderen Ausland mal ganz abgesehen.
Meurer: An den Schulen sind die Mädchen doch sonst so erfolgreich und haben die Jungens teilweise abgehängt. Warum machen sie einen Bogen um das Ingenieursstudium?
Renn: Nun, da gibt es eine Reihe von Gründen. Der eine Grund ist einfach, dass viele Mädchen zwar glauben, dass sie die Fächer ganz gut können, auch wenn sie gut in der Physik oder in der Mathematik sind, sich aber ein technisches Fach häufig selbst nicht zutrauen.
Wir haben also deutlich gesehen in unserer Umfrage: Wenn wir jemand fragen, sagen wir mal, der mit eins oder zwei in den Fächern Physik und Mathematik ist, dann sagen die Jungen sehr viel häufiger als die Mädchen, ich glaube, ich kann damit sehr gut ein naturwissenschaftliches oder auch ein technisches Fach studieren. Die Mädchen sind da etwas unsicherer.
Meurer: Wieso sind die unsicherer und trauen es sich nicht zu?
Renn: Also ich denke, teilweise sind da noch die alten Vorurteile da, und was wir interessant und auch etwas beunruhigend fanden, war, je technisch interessierter Jungen sind, desto eher haben sie das Vorurteil, dass Technik nichts für Mädchen ist. Also insgesamt hat sich das Vorurteil etwas gebessert. Also wenn wir insgesamt die Schüler und Schülerinnen befragen, sagen die: Nö, nö, Technik ist auch was für Mädchen.
Meurer: Also die Jungens drängen die Mädchen ab?
Renn: Drängen oder sind zumindest davon überzeugt, dass sie, wenn sie technisch selber begabt sind, es die Mädchen nicht sind. Es ist gerade so, dass diejenigen, die dann später Ingenieurwissenschaften studieren, diese Jungen am ehesten Vorurteile gegenüber den Mädchen haben.
Meurer: Studienanfänger unterschätzen den Schrecken des Studiums - ist das ein Fazit Ihrer Studie?
Renn: Ja, es ist in jedem Falle so, man kann es in zwei Seiten hin auslegen: Die eine Seite ist, dass Studienanfänger, vor allem Dingen in Ingenieurwissenschaften, relativ hohe und auch sehr positive Erwartungen an das Studium haben, die aber im Verlaufe der ersten drei bis vier Semester immer mehr zurückgehen; und dass doch viele sagen, dass sie erstens Dinge lernen, von den sie glauben, dass sie die im späteren Beruf nicht unbedingt brauchen, dass das Studium ihnen sehr viel abverlangt, mehr als sie ursprünglich erwartet hatten, und dass sie leiden auch unter Prüfungsstress und unter einer Abstraktheit der Lehre, die ihnen häufig nicht mit dem übereinzustimmen scheint, was sie sich eigentlich von ihrem Beruf versprechen.
Meurer: Das hört man auch von anderen Studienfächern, dass da unnötiger Ballast drin sei. Was ist das Besondere bei den Ingenieuren?
Renn: Also ich denke, wer Ingenieurwissenschaften studiert - und nicht Naturwissenschaften beispielsweise - möchte eigentlich schon von Beginn an eine gewisse Form von praktischer Erfahrung miterleben und auch daran teilhaben.
Der klassische Ingenieurberufsausbildungsweg in Deutschland ist aber so, dass man in den ersten Semestern erst mal die gesamte Mathematik, die gesamte Grundlage vielleicht auch der Physik legen will, und dass man von daher für viele die Attraktivität eines solchen Studiums gegenüber den Naturwissenschaften gar nicht mehr aufkommt.
Das heißt, letztendlich haben sie erwartet, man würde in den ersten Semestern sehr viel auch schon Praktischeres oder auch, ich sag mal, Handfesteres lernen. Dies ist aber nicht der Fall, und da ist die Enttäuschung vorprogrammiert.
Meurer: Werden von den Professoren an den Unis und Fachhochschulen absichtlich am Anfang des Studiums die Hürden so hoch gelegt, dass schon eine ganze Menge von Studierenden ausgesiebt werden?
Renn: Also ich glaube, man ist sich dieser Sache bewusst inzwischen und viele Hochschulen versuchen, dem auch gegenzusteuern. Aber das ist natürlich die klassische Form gewesen. Weil in den meisten Hochschulen zumindest kein Numerus clausus für Technik besteht, sind die ersten Semester im Wesentlichen Aussiebungssemester, um zu sehen, ist er überhaupt geeignet oder nicht geeignet.
Das ist auch im spezifischen Fall nicht immer das Schlechteste, weil es natürlich Leute gibt, die wirklich nicht geeignet sind. Ich glaube aber aufgrund auch der Studienergebnisse, dass teilweise die Falschen ausgesiebt werden, dass Personen ausgesiebt werden, die eigentlich sehr gut sind. Das können wir auch daran erkennen, dass fertige Ingenieure, die erfolgreich waren - die haben wir ja auch befragt -, nicht unbedingt die besten Noten beispielsweise in Mathematik hatten, eher durchschnittliche Noten, und dass, wenn man dann natürlich die Mathematikhürden zu hoch nimmt in den ersten Semestern, man vielleicht Personen, ja, tatsächlich aussortiert, die später in einem klassischen oder auch in einem weniger klassischen Ingenieurberuf sehr wohl ihre Frau und ihren Mann stehen können.
Meurer: Fehlt, Herr Renn, den Ingenieurprofessoren noch mehr als anderen Hochschullehrern das pädagogische und didaktische Händchen?
Renn: Also das würde ich so nicht sagen. Also ich glaube, dass gerade auch jetzt in den Ingenieurwissenschaften Formen der Pädagogik und Didaktik hoch geschätzt werden. Ich denke, es ist erstens eine Frage des Curriculums. Das Zweite ist, dass die sogenannten fachfremden Fächer wie Mathematik, zum Teil auch Physik, dann von den jeweiligen Kollegen der Fächer gehalten werden, die natürlich einen ganz anderen Anspruch an ihr eigenes Fach haben und diese Hilfswissenschaft für die Ingenieurwissenschaften nicht so sehen - also das ist da ein strukturelles Problem.
Und ich denke, es ist natürlich auch ein Problem, dass wir immer noch sehr viele Studierende pro Professor haben. Das ist selbst bei den jüngeren Zahlen Ingenieurwissenschaften der Fall. Darunter leiden auch teilweise die Studierenden. Das ist an der Fachhochschule etwas besser. Aber insgesamt gesehen glaube ich nicht mal so sehr, dass es in der Hochschule ein Didaktikproblem ist. Das ist mehr in der Schule.
Meurer: Noch ganz kurz: Was muss anders werden, außer weniger höhere Mathematik am Anfang des Studiums?
Renn: Also ich denke, im Studium selber sind für mich wesentliche Dinge, die schon vorher beginnen, nämlich dass erstens die Studien- und Berufsberatung bei Schülern besser wird. Da hat sich gezeigt, dass sie auf falsche Erwartungen hin programmiert werden.
Zweiter wesentlicher Gesichtspunkt ist: Wir brauchen sinnvollen Technikunterricht in der Schule, der kontinuierlich ist, damit einerseits die Begabungen erkannt und andererseits aber auch sozusagen die theoretische Fundierung wirklich auch von vornherein gesehen wird als notwendig.
Das Dritte ist, dass im Grundstudium, also in den ersten Studien - es gibt ja kein Grundstudium mehr im Bachelor, aber den ersten Studiensemestern - auch schon praktische Erfahrungen sehr viel stärker im Vordergrund stehen.
Und ich denke viertens, hier kommen wir noch auf den Anfang zurück, für die Mädchen ist es ganz, ganz wichtig, dass sie Vorbilder haben; und wir denken, so was wie ein Mentorinnenprogramm wäre hier sehr gut, denn sie fühlen sich immer noch in dem Universitätsbetrieb isoliert im ingenieurwissenschaftlichen Bereich und sie brauchen alle Rückendeckung, die sie bekommen können.
Meurer: Der Stuttgarter Soziologieprofessor Ortwin Renn hat ein sogenanntes Nachwuchsbarometer erforscht und dazu 13.000 Schüler, Studierende und berufstätige Ingenieure befragt. Danke, Herr Renn, und auf Wiederhören!
Renn: Auf Wiederhören, Herr Meurer!
