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Mousonturm Frankfurt
Revolutionsreise als Performance

Der in Deutschland und Frankreich lebende Theatermacher Stéphane Bittoun sucht nach neuen dramatischen Erzählformen. Er verbindet in seiner Frankfurter Uraufführung unter dem Titel "Nach dem Zorn" Reales und Fiktives, tatsächliche Revolutionshelden mit skurrilen Begegnungen.

Von Michael Laages | 06.12.2013
    Wer die eigene Meinung jemals lautstark auf die Straße trug, und wer eventuell gar gewalttätige Auseinandersetzungen mit irgendeiner Staatsmacht erlebt hat wie gerade etwa die Oppositionen in der Ukraine, Thailand und Ägypten oder Anfang Juni in Frankfurt die Straßenschlachten zwischen Polizei und "Bloccupy", der weiß, was "Nach dem Zorn" fast zwangsläufig folgt: Enttäuschung bis Depression, weil zu wenig, vielleicht gar nichts bewirkt werden konnte. So geht es den fünf anonymen Widerständlern am Beginn des Stücks von Stephane Bittoun:
    "Sie nehmen zunächst mal das Publikum in Geiselhaft und suchen nach dem großen Coup, der Idee, die die still vor sich hindösende Gesellschaft wirklich aufrütteln wird – und schaffen es mit der schließlich bis in die "Tagesschau"."
    Im nicht immer ganz leicht durchschaubaren Gefüge aus Gegenwart, Rückblende und Träumerei beschwört Stephane Bittoun als Autor und Regisseur (auf der Bühne und in Film-Szenen) eine Weltverschwörung der Befreiungskämpferei – Fidel Castro hat den Prozess gegen "Pussy Riot" im Fernsehen verfolgt und sich in Nadeshda Tolokonnikowa verliebt; so heftig, dass er ihr unter Che Guevaras Namen Liebesbriefe schreibt und die Befreiung der erträumten Heldin aus dem Straflagerknast betreibt – erfolgreich mit einem schwerbewaffneten Kommando-Unternehmen. Wie früher eben.
    Aun San Suu Kyi hingegen schämt sich für ihre einstige Exil-Heimat Großbritannien und befreit Julian Assange völlig unblutig aus der ecuadorianischen Botschaft in London. Das Helden-Quintett ist also komplett, denn der tote Che bleibt als Ikone immer dabei. Derweil haben sich die frustrierten Bloccupy-Kämpfer vom Beginn auf ein Terror-Ausbildungslager in der afrikanischen Wüste eingelassen, wie die Kinder der Rote-Armee-Fraktion unselig … ein Horror-Trip mit Stundenplan:
    Aber nicht nur diese überforderten Wohlstandskinder robben durch die Wüste, auch Castros Befreiungs-Kommando, immer mit dem tödlich verwundeten Castro-Bruder Raul im Gepäck, stapft bald darauf (und aus unerfindlichen Gründen) durch tiefen Sand; und trifft dort Suu Kyi und Assange. Der bringt auch noch Lawrence von Arabien mit, als kriegerischen Geist des Kontinents. Das muss wahrscheinlich alles so krude zusammen gestoppelt sein, um irgendwie die ganze Welt unter einen dramaturgischen Hut zu zwingen … wirr genug jedenfalls ist Bittouns Fabel.
    Und da das Quintett der Darsteller auf der Bühne wie im dahinter laufenden Film ein Vielfaches an Rollen bewältigen muss, gerät alles noch ein wenig mehr Durcheinander. Das ist aber nicht schlimm; im Gegenteil – wären die einzelnen Teile der Fabel wirklich ernst zu nehmen, würde die luftige Szenenfolge schnell an Charme verlieren. Und gerade dass die Behauptungen im Stück so offenkundig absurd geraten, lässt gelegentliche Schwächen im Dialog genau so leicht überhören wie das zuweilen ziemlich holzgeschnitzte Spiel im Ensemble.
    Gegen Ende wird’s immer verrückter – Fidel, immer in einer Art Roll-Thron (nicht –stuhl!) unterwegs, wird in ein Computerspiel gebeamt und sammelt dort Zigarren und gegnerische Skalps; und auch die etwas hirnrissige Idee von der Geiselnahme des Publikums wird noch mal kurz aufgewärmt – um dann vergessen zu werden. Schließlich wird Assange, der Medien-Stratege, eine Doku-Fiction aus all dem stricken: einen Film; Titel: "Z", wie "Zorn", oder "Er lebt", wie im legendären Film von Costa-Gavras.
    Er lebt, der Zorn. Und das ist es ja, was bleibt, wenn der Frust verfliegt nach erfolglosen Demos – bei Stephane Bittoun hat es für eine ebenso hanebüchene wie amüsante Kolportage der Revolte gereicht.