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Mozart im Dreierpack

Zum auslaufenden Mozartjahr hat sich Amsterdam noch mal mächtig ins Zeug gelegt und in den vergangenen drei Tagen drei Mozart-Opern auf die Bühne gebracht. Es waren die Opern, die Mozart mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte zusammen schuf: "Le nozze di Figaro", "Don Giovanni" und "Cosí fan tutte". Jossi Wieler hat alle drei Opern inszeniert, dabei aber weniger Zusammenhänge als Kontraste herausgearbeitet.

Von Frieder Reininghaus | 20.11.2006
    Die Amsterdamer da-Ponte-Trilogie von Ingo Metzmacher und Jossi Wieler kam mit der "Hochzeit des Figaro" zu einem vergleichsweise glücklichen Ende. Dahingehend unterscheidet sich schon das Werk vom "Don Giovanni" (wo der Titelheld zur Hölle fährt) und von "Così fan tutte", wo nach dem doppelten Partnerwechsel der Schwestern und Freunde schlußendlich nicht absehbar ist, ob überhaupt und wenn ja, in welchen Formationen die Paarungen weitergehen. Doch auch das belebte Sprudeln des musikalischen Flusses, das Metzmacher mit bloßen Händen intendierte, stellte sich in der nächtlichen Parkszene des "Figaro" endlich durchgehend ein – gelassen und engagiert geriet die Musik (je nach Bedarf der Text- und Stimmungslage). Nach einigen anfänglichen Mühen mit dem nicht zu den europäischen Spitzenensembles gehörenden Nederlands Kamerorkest floß die Musik auf beglückend leichte Weise, unbeschwert und unaufdringlich. Es wurde im Dialog zwischen dem Graben und dem Ensemble um Luca Pisaroni, Danielle de Niese und Garry Magee auf der Bühne emphatisch musiziert.

    Die aufwendigen Video-Kommentare zur Gartenszene zeigten – ausgehend von den exponierten optischen Mitteln – minutiös, was die Darstellung der singenden Akteure aussparte: Verkleidung und Verstellung, die zu Verwechslung, Täuschung, Enttäuschung, Bestürzung, Entschuldigung und – zumindest oberflächlicher – Versöhnung führt. Im Widerstreit und in Wechselwirkung zwischen dem Virtuellen auf der Projektionsfläche und der tatenlos herumstehenden Sängern deutete sich an, wie sehr es in diesem Werk von da Ponte und Mozart um Wünsche und Projektionen geht – und wie zeitlos diese sein mögen.

    Ingo Metzmacher und Jossi Wieler haben die drei da-Ponte-Opern Mozarts gegen die Chronologie angeordnet: sie begannen mit der zuletzt entstandenen und zeigten "Così fan tutte" wie im Schullandheim – ziemlich narrativ (und leider nicht frei von musikalischem Makel). Mit "Don Giovanni", der (wie einst der "Sommernachtstraum" von Robert Carsen) in eine Bettenlandschaft versetzt wurde, in der lauter autistische Menschen die Unfähigkeit zu Lieben vorführen – mit diesem radikal intendierten Kammerspiel wagte das Produktionsteam gleichsam einen "Ausbruch" – und ist damit eingebrochen.

    Wieder an die Erzählweise ihrer "Così fan tutte" anknüpfend, freilich ohne deutliche Verweise zu stiften, rundeten Wieler und Morabito mit "Figaro" den großen Zusammenhang der unzusammenhängenden erotischen Geschichten. "Almaviva", der Name des Grafen, avancierte zu einer Automarke. Groß prangt ihr Signet, welches an das der Hells Angels erinnerte, auf der Wand des kleinen Kabuffs auf der Brücke, die sich wie in einem noblen Automobilhaus über den Verkaufsbereich hinweg zu den Werkstätten erstreckt.

    Im Parterre aber zeigt sich ein nobler Autosalon, in dessen Mitte ein froschgrüner Sportwagen im gewaltigen Blumenkübel die erotische Verheißung schlechthin darstellt (er wird als Stimulanz, Prothese und Örtchen der raschen sexuellen Notdurft dann durchaus in Betrieb genommen). Der Figaro als Bräutigam fingert auf dem Laptop herum (wie vor einem Jahrzehnt in einer Leipziger Inszenierung von John Dew). Bei Anna Viehbrock entlehnt scheinen die Aufzüge, welche die Installation vitalisieren. Von Christoph Marthaler ererbt ist die Verfremdung der Rezitative – dies Stilmittel zog sich als dünner roter Faden durch die drei Amsterdamer Neuproduktionen: Bei "Così" stellt eine Wanderklampfe die Stützakkorde zu Verfügung, beim "Don Giovanni" ist es ein auf der Bühnenbettlandschaft eingelagertes Virginal – und beim "Figaro" der Synthesizer, den der Dirigent Metzmacher eigenhändig nebenbei bedient. So anti-pathetisch und auf Erfrischung, frisches Spiel und Hören hin angelegt, wie die ganze Musik-Komponente der Produktion. In denkwürdigem Kontrast dazu steht der Second-Hand-Markt, den das halbe Dutzend Leute bereitstellte, das für Bebilderung und Bewegung der Handlung Geld bekommen hat, als hätte es etwas Authentisches angeboten.