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Mozart in Paris

In einer Kritikerumfrage wurde Christof Loy im letzten Herbst bereits zum zweiten mal zum Opernregisseur des Jahres gewählt. Die Tendenz zum Mainstream, die man ihm nachsagen könnte, weist Loy zurück: Sein Konzept sei eher altmodisch. Jetzt hat er in Stuttgart eine Musik-Collage rund um Mozarts Leben inszeniert, basierend auf Briefen des herangewachsenen Wunderknaben.

Von Christian Gampert |
    Mozarts Reise nach Paris ist eine Bewerbungs-Tour, im doppelten Sinne: als der 21jährige im Herbst 1777 mit seiner Mutter Salzburg verlässt, um über München, Augsburg und Mannheim - diese Aufenthalte dauern insgesamt ein halbes Jahr - nach Paris zu fahren, da will er sich als Komponist zeigen und hofft auf größere Bekanntheit, er will konzertieren und komponieren und Connections machen, wie man heute sagen würde; wer in Paris etwas ist, dem steht die Welt offen.

    Aber es stellt sich schnell heraus, dass, zweitens, diese Bewerbungsfahrt auch eine erotische Entdeckungsreise ist, ein erstes Kennenlernen der Frauen: zuerst die Cousine, das "Bäsle" in Augsburg, dann die Sängerin Aloysia Weber in Mannheim, deren Vater Mozart die Noten schreibt und deren Schwester er später heiraten wird.

    Die Reise endet im Desaster: "Paris ist ein unbeschreiblicher Dreck", die Mutter wird im kalten Hotelzimmer krank und stirbt. Aus der Ferne gibt Mozarts tyrannischer Vater immer wieder seine Anweisungen, und ihm kann der große Verdränger Mozart den Tod der Mutter zunächst gar nicht mitteilen – er schreibt, indirekt, an einen Freund.

    Die Briefe, die die Familie Mozart hin- und herschickte, hat der Regisseur Christof Loy nun zu einem veritablen Briefroman zusammengefügt, der auch ein Entwicklungsroman ist: sie zeigt die langsame Emanzipation eines hochbegabten, aber eben auch etwas vulgären, unsicheren und kindischen Menschen von der übermächtigen Vaterfigur; und sie zeigt auch das sexuelle Erwachsenwerden, das freilich nicht ganz gelingen will, das immer wieder in Enttäuschung und Konfusion mündet.

    Diese erotischen Verwirrungen hat Christof Loy nun konsequent in Opernszenen projiziert, gespiegelt; konsequenterweise beginnt er mit dem Briefduett aus "Figaros Hochzeit" und greift dann immer wieder auf "Così fan tutte" zurück, zum Beispiel auf die Szene, in der die beiden doch ziemlich verführbaren Bräute dem Bildnis der Verlobten ewige Liebe schwören:

    Der sehr schöne lyrische Sopran der Desirée Brodka übernimmt die Rollen der sexualisierten Frauen, der Mezzo der Itziar Lesaka hat schauspielerisch die Parts der etwas verlässlicheren Schwester und der späteren Ehefrau. Die Annahme, dass Mozart seine inneren Konflikte später in Opernform quasi direkt abarbeitete, scheint etwas gewagt; die Themen der Auftragswerke waren ja vorgegeben.

    Aber gegen Milos Formans Film, der mit seinem kichernd durch Wien taumelnden Kindskopf leider das biographische Mozart-Bild des Massenpublikums geprägt hat, ist Christof Loys Brief-Musik-Collage ein Muster an Respekt und Präzision, Theater als Sing-Spiel. Anfangs werden leider die Buffa- gegenüber den Seria-Elemente etwas überbetont, Mozart darf in Unterhosen ausgiebig furzen, später geht er den rocklupfenden Damen schwer an die Wäsche, und Sängerinnen sind in solcher Lage manchmal etwas unbeholfen.

    Andererseits wird der wüste Vater Leopold Mozart, den man eher als steinernen Gast erwartet, als sehr deutscher Commedia-Hanswurst gezeigt; ausgerechnet der Haustyrann singt "das Lied der Freiheit", und der Bariton Ludwig Grabmeier bekommt auch schauspielerisch eine barocke Despoten-Studie hin: der Papa kommt gleich nach Gott.

    Leere Bühne, Schiebewände, Spiegel, ein Klavier. Christof Loy, dessen große Stärke seine Klarheit in der Personenführung ist, hat den Abend fein eingeteilt: zuerst ein Marivauxsches Liebesgetändel, dann, in Paris, Tschechowsche Düsternis, als die Mutter stirbt.

    Der Mozart des famosen Philipp Otto ist eine unsichere, auf positive Weise realitätsentrückte Gestalt, vertrauensselig, naiv, der um seine Begabung weiß, aber die girrende Königin der Nacht nicht erreichen kann. Immerhin wird er am Ende der Reise dem Vater Paroli bieten und sich mit Clownsnase in die Kunst verabschieden: Er, der große Verdränger, kann es halt nur mit Tönen sagen, die wenigstens partiell die Ambivalenzen versöhnen.

    Ein erstaunlicher, ein toller Abend und ein schönes Abschiedsgeschenk für den Stuttgarter Schauspiel-Intendanten Friedel Schirmer, der in der nächsten Spielzeit nach Hamburg wechselt.