Donnerstag, 28. März 2024

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Mozart nach dem Bit-Zerfall

Urgroßmutter blickt stets schwarz-weiß aus dem Familienalbum, aber immerhin: Sie blickt. Wenn die farbenprächtigen digitalen Bilder von heute mal so alt sind wie Urgroßmutters Bilder, ist keineswegs sicher, dass die digitalen Daten nicht längst zerfallen, unlesbar geworden sind.

Von Mathias Schulenburg | 08.07.2007
    Kellner: " Und noch die Cola für die junge Dame. [Eisklingel, Braus] "

    Mutter: " Ist der Blick nicht schön? Heißt ja auch "Schauinsland". Also gut: Lange angekündigt, endlich da, dein Familienalbum. Prost! [Kling] Wir haben alle guten Bilder noch mal auf Spezial-Fotopapier machen lassen. "

    Tochter: " Warum das denn? "

    Mutter: " Such mal nach Fotos, wo deine Mutter um die 20 war. Da wirst du kaum was finden. "

    Tochter: " Warum das denn nicht? "

    Mutter: " Na ja, wir haben zwar damals jede Menge Bilder gemacht, und die haben wir auch auf CD gebrannt. "

    Tochter: " CD? Diese Silberscheiben? "

    Mutter: " Genau, da hat man die Bilder drauf abgespeichert. Und wenn man sich die ansehen wollte, hat man die in so ein Abspieldings getan, meistens im Computer, und sich das am Bildschirm angesehen. Und einen Teil haben wir auch ausgedruckt. "

    Tochter: " Und? Dann? "

    Mutter: " Die selbstgebrannten CDs fingen nach fünf Jahren an, kaputt zu gehen. Wir haben das zu spät gemerkt, war wohl auch billiges Zeug. "

    Tochter: " Und die ausgedruckten Fotos? "

    Mutter: " Verblichen. Die Farben waren nicht stabil. "

    Tochter: " Willst du wirklich sagen, du hast keine Bilder von der Zeit, als du 20 warst? "

    Nein, Mama hat keine Bilder mehr von der Zeit, als sie 20 war - das kann durchaus so kommen. Selbstgebrannte CDs und DVDs sind nicht beständig, jedenfalls die normalen nicht, was derzeit viele Konsumenten der digitalen Technologie schmerzlich erfahren müssen. Noch schmerzhafter dürften die Erfahrungen mancher Behörden werden, die Dokumente wie Grundbücher, Verträge und Ähnliches digitalen Medien anvertraut haben. Der Spitze des Staatswesens dagegen, einem seiner Zweige zumindest, dürfte das Gröbste erspart bleiben, jedenfalls für die nächsten 500 Jahre, es hat seine heiligen Dokumente in einem Berg versenkt: Kafkas Briefe, die Krönungsurkunde Otto des Großen von 936, die Drohung Papst Leo X gegen Martin Luther, er werde ihn in Bann schlagen, den Vertragstext des Westfälischen Friedens vom 24. Oktober 1648 - alles auf dauerhaftem Mikrofilm, mit einem einfachen Mikroskop für jedermann lesbar, versenkt im granitenen Herzen eben des uralten Schauinsland nahe Freiburg im Breisgau, 600 Meter unter dem Restaurant.

    Mutter: " Ich hätte dann gerne gezahlt. "

    Kellner: " Komme sofort! "

    Mit dem Fahrstuhl kommt man da nicht hin, wohl aber mit dem Auto, über eine öffentliche Straße.

    Der Berg Schauinsland entstand vor rund 300 Millionen Jahren im Zuge der sogenannten variskischen Faltung, als große plattentektonische Kräfte neben anderen Gebirgen auch den Schwarzwald aufpressten. Dabei wurde das Gestein des Berges unter hohem Druck von heißem, salzigem Wasser durchströmt, das unter diesen Umständen ein gutes Lösungsmittel auch für Metalle wie Silber ist. Das Silber schied sich an kühleren Stellen wieder ab, gelegentlich in solchen Mengen, dass dreihundert Millionen Jahre später Menschen zur Hacke griffen, um es abzubauen. Der Barbara-Stollen ist ein Versorgungsstollen für ein solches Silberbergwerk, das lange schon mangels Masse still liegt. In ihm befindet sich das, was Deutschlands Bürokratie für langfristig überlebenswert hält. Das sind vornehmlich Akten, was auch die offizielle Bezeichnung des Arche-Noah-Archivs vermuten lässt: "Zentraler Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland".

    Der Eingang ist enttäuschend nüchtern: Ein massives graues Stahlgittertor, darüber ein halbrundes Wellblech, wie der Schirm einer Baseballmütze. Einzig drei eigentümliche Zeichen auf Blechschildern hinter dem Gitter - blau-weiße Rauten bzw. Quadrate - lassen ahnen, dass hier etwas Besonderes zu finden ist. Die Zeichen besagen, dass sich hier nach den Regeln der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut etwas äußerst Schützenswertes befindet. Zum Vergleich: Der Kölner Dom hat nur ein Schutzzeichen.

    Bis zum eigentlichen "Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland" muss man einen halben Kilometer in den Berg hinein gehen. Der Stollen ist aus technischen Gründen mit Beton ausgekleidet, wir müssen die fehlende Romantik mit Fachwissen ausgleichen:

    Als der Schauinsland vor 300 Millionen Jahren hoch wuchs, sang noch kein Vogel, allenfalls schwirrten Libellen durch die Luft - 70 Zentimeter. Über den Boden krochen Tausendfüßler dick wie ein Oberschenkel, zwei Meter lang. Die Pflanzen waren primitiv, streckenweise aber so zahlreich, dass ihre Verwesung unter Luftabschluss die gegenwärtigen Kohlevorkommen hervor brachte.

    Alles sehr trist aus heutiger Sicht - keine Blume, keine Biene -, dagegen wirkt der erleuchtete Betonstollen geradezu beseelt, trotz seiner konstant kühlen 10 Grad Celsius.

    Die Führung macht Ursula Fuchs, Pressesprecherin des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, begleitet von Björn Matzken, der den Stollen sicherheitstechnisch managet.

    " Wir sind auf knapp 400 m Höhe und der Gipfel vom Schauinsland, unter den wir nicht ganz drunter kommen, liegt bei 1243, also haben wir um die sechs, sieben hundert Meter über uns. "

    Fels genug, auch einer Atombombe standzuhalten. Aber wer würde Atombomben auf einen Aktenberg werfen wollen?

    " Dann sind wir jetzt im Zugang, wir haben zu beiden Seiten den ausgebauten Stollen, wobei im Moment nur dieser Part rechts tatsächlich auch mit Behältern, die mit Filmen gefüllt sind, benutzt wird, der linke, da sind leere Behälter drin, Arbeitsmaterial und so weiter und sofort, steht aber auch noch zur Verfügung. Sie sehen aber, seit 74 sind hier 1203 Behälter eingelagert mit mittlerweile 36.000 km Film, und er ist noch lange nicht gefüllt. Das heißt, wir haben noch viel Platz, und eben auch die nächsten Jahrzehnte noch Sicherungsverfilmung voranzutreiben. "

    Ursula Fuchs macht jetzt für uns ein Fass auf.

    Es ist eine Filmrolle drin, nur mal um zu zeigen, wie das in den Fässern aussieht. Es sind übrigens modifizierte Bierfässer aus Edelstahl; das Versiegelungsverfahren mit Kupferringen stammt aus der Ultrahochvakuumtechnik - alles vom Feinsten.

    " In der Klimakammer werden die Behälter geschlossen unter großem Druck, wobei dieser Kupferring das Ganze auch verschließt, dann kommen die Schrauben rein, und dann ist alles vorbereitet, um die Filme 500 Jahre zu lagern "

    Über alledem signalisieren wieder drei blau-weiße Symbolbleche, dass hier ein schweres Tabu der Vereinten Nationen wirkt.

    Einen ähnlichen Schutzstatus hat sonst nur noch der Vatikan und das Reichsmuseum in Amsterdam. Beide haben freilich andere Prioritäten gesetzt, wie Christoph Unger in der "Süddeutschen" einräumt, Präsident des Bundesamtes für Katastrophenhilfe und Bevölkerungsschutz und damit der oberste Dienstherr des Barbara-Stollens.

    "Die Italiener schützen ihre Kirchengüter, die Holländer ihre Bilder, und die Deutschen schützen ihre Akten."

    Aber was soll man auf Schwarz-Weiß-Mikrofilm auch ablegen außer Akten. Doch bei Schwarz-Weiß muss es nicht bleiben, farbenfrohe Abhilfe wird schon auf der Kölner Photokina präsentiert:

    " Ilford hat einen Film, der von der Haltbarkeit her alles schlägt, was auf dem Markt ist, unabhängige Institute haben ihm eine Haltbarkeit von 500 Jahren und mehr bescheinigt. Die Problematik heute ist ja die, dass immer mehr digital aufgenommen wird, auch digital gespeichert wird. Die digitalen Speichermedien halten nun mal nicht mehr solange, 10 Jahre, aber die Problematik ist nicht nur die Haltbarkeit dieser Speichermedien, die Problematik ist auch, dass die Lesegeräte oder die Wiedergabegeräte dieser Speicherkarten einfach in 10 Jahren nicht mehr existent sind, das heißt, es wird eben eine Zeit geben, wo die ganzen Aufnahmen, die Bilder, die Sie heute gemacht haben, eben nicht mehr existent sind. "

    Sagt Christian Neumann, Verkaufsleiter der Ilford Imaging GmbH, Schweiz, die sich unter anderem auch mit Langzeitarchivierung befasst. Ein Bild einfach nur als analoge Replik abzuspeichern kann tatsächlich Sinn machen, immerhin wäre zur Betrachtung eines Mikrofilmbildes in fünfhundert Jahren gerade mal eine starke Lupe, höchstens ein Mikroskop ausreichend - Hilfsmittel, die unseren vom Klimawandel gebeutelten Nachfahren noch zur Verfügung stehen sollten. Ein aktuelles Beispiel: Das Stadtarchiv Mainz hat alte, erhaltenswerte Festungspläne, die allmählich verrotten und eigentlich restauriert werden müssten, nur:

    " Zu den Kosten ist zu sagen, dass einen Plan zu restaurieren ungefähr zwischen fünf und 800 Euro kostet, die Stadt Mainz hat zweieinhalbtausend Pläne, das ist eine Unsumme, die die Stadt Mainz nicht aufbringen kann. Wir haben dort ein Projekt gestartet, dort wurden über einen Scanner diese Pläne gescannt, das war ein spezieller Scanner, der auch großformatige Pläne aufnehmen kann, sehr hoch auflöst, diese Pläne würden dann gespeichert, sicher, in diesem Fall auf eine DVD, aber dann sofort ausbelichtet auf einen Mikrofilm, ja, und jetzt kostet ein Bild nur noch zwischen acht und um 16 Euro. "

    Der schon seit 1973 verfügbare Film hat Nachteile, die seinen Einsatz früher problematisch machten. So liegt seine Empfindlichkeit bei nur einem ASA, was sehr lange Belichtungszeiten erforderte, was unter anderem Farbverschiebungen zur Folge hatte, die aufwändig korrigiert werden mussten. Mittlerweile gibt es digital gesteuerte Laserbelichter, die die korrekte Belichtung zu einem kurzen Prozess machen. Danach wird der Film nasschemisch entwickelt und fixiert, etwas einerseits archaisch anmutet, aber:

    " Eine Technik ist ja deswegen nicht als alte Technik zu bezeichnen, nur weil sie auf Verfahren zurückgreift, die lange bekannt sind, man hätte das sicher nicht machen können, wenn die Lasertechnik und Digitalisierung nicht fortgeschritten wäre, man könnte diese Pläne sicher nicht Kontaktkopieren das wäre unsinnig, aber durch die Möglichkeit der hochauflösenden Digitalisierung, durch die Möglichkeit, mittels eines Lasers so feine Linien , so feine Punkte zu schreiben, und das dritte Bindeglied mit diesem Film zusammen, das gibt die Zukunft und ermöglicht, dass wertvolle Kulturgüter für die Zukunft erhalten bleiben können. "

    Damit ein Laserbelichter etwas belichten kann, muss er einen digitalen Datensatz des abzubildenden Objektes haben. Den in höchster Qualität zu beschaffen, ist das Geschäft von Martin Langfeld von der Münchener Anagramm Gesellschaft für elektronische Systeme mbH. Langfeld bietet unter anderem Scanner-Rückteile für Hochleistungskameras an, die mit dicht bestückten Diodenzeilen - eine für jede Farbe - das vom Kameraobjektiv erzeugte Bild in der Abbildungsebene abfahren.

    " Der entscheidende Vorteil ist, sie haben sehr hohe Auflösung, unser Standardgerät hat jetzt eine Zeile mit 8000 Pixeln, also dreimal 8000 Pixel, für jede Farbe, wir halten dann eine Auflösung von z.B. 8000 mal 13.000 Pixel, was, wenn man es jetzt mit einem Chip vergleichen würde, etwa 300 Megapixel sind. "

    Das ist eine reichlich abstrakte Größe,

    " Deswegen zeigen wir auf der Photokina das Panoramabild, das in München von einem Kirchturm aus gemacht worden ist, dann sieht man eine unglaubliche Detailtreue, man sieht in 10 km Entfernung jedes Segment von dem Fußballstadion, also das ist eine Qualität, die mit einem Film gar nicht mehr möglich ist. Und das ist eigentlich der entscheidende Vorteil von dem System, Sie sehen jeden Uhrzeiger, die Blumen in einem Fenster ist wirklich fantastisch. "

    Der Experte für Laserfilmbelichter schlechthin ist Wolfgang Riedel, Physiker und am Freiburger Fraunhofer Institut für Physikalische Messtechnik Projektleiter für Laserbelichtungssysteme. Riedel führt eine Karte von Ostpreußen vor, auf ein Einzelbild eines Dokumentenfilms laserbelichtet, unter einem Mikroskop betrachtbar, farbig und mit bestechender Schärfe:

    " Königsberg, das ist das faszinierende an der Sache, wir können farbrichtig darstellen, und eine Farbtreue auch dadurch garantieren für lange Zeit, dass wir eine Farbtafel praktisch auf dem Film ausbelichten können, so dass man also immer beim Wiedereinlesen dieses Films weiß, welche Farbe genau wie heißt "

    Die Freiburger Laserbelichter leiten auch das Langzeitarchivierungsprojekt ARCHE, ein Gemeinschaftsunternehmen des Landesarchivs Baden-Württemberg, der Universitätsbibliothek Stuttgart und mehrerer Industriepartner. Ihr Know-how hat mittlerweile wohl jeder einmal im Alltag zu sehen bekommen, Kinofilme wie "Herr der Ringe" oder "Ice Age", die Mehrheit der modernen Filme, sind in der optischen Perfektion erst durch Wolfgang Riedel und Kollegen zustande gekommen:

    " Die Filme werden digitalisiert, werden dann digital bearbeitet, Lichtbestimmung, alles das wird gemacht, dann müssen sie zum Schluss wieder auf den Film ausbelichtet werden, das geschieht mit der Maschine, das ist der Arrilaser, ist heutzutage der Standard in der Kinowelt. Und Arri und wir sind damit ausgezeichnet worden, dass wir einen technischen Oscar in Los Angeles bekommen haben. "

    Während man sich die Langzeitarchivierung von Bildern analog auf Film noch gut vorstellen kann, erscheint bei der Tonkonservierung der vereinzelt vorgeschlagene Rückgriff auf analoge Techniken nach Art des Tonbandes oder der Vinyl-Platte als barbarischer Rückschritt. Die Schweizer Mädchen stimmen sich in Salzburg auf einen Chorwettbewerb ein; der Fiaker fährt an einem Café vorbei, das Mozart - nach Auskunft des Betreibers - einst gerne frequentiert haben soll. Beides mit einer digitalen Ausrüstung festgehalten, die 150 Gramm wiegt und in jede Hemdtasche passt, die Mikrofone inbegriffen.

    Vergleichbare Qualitäten waren vor 20 Jahren nur von viele Kilo schweren Maschinen im Schuhschachtelformat, zu haben, die überdies kaum bezahlbar waren. Die digitale Ablösung geht für rund dreihundert Euro über den Ladentisch.

    60 Gulden in bar soll Mozart noch besessen haben, als er in Wien in die Grube fuhr. Heute werden in Mozarts Namen jährlich fünf Milliarden Dollar umgesetzt. Durch sein Geburtshaus in Salzburg wälzen sich Menschen in so großer Zahl, dass eine aufwändige Klimaanlage den Schweiß absaugen muss, anderenfalls der Bau samt Inventar verrotten müsste. Dem Zauber tut das keinen Abbruch. Wenn aus den kleinen Lautsprechern neben den Exponaten Mozarts Musik kommt, werden auch laute Jugendliche leise.

    Mozarts Werk ist so umfangreich, dass die Zusammenstellung der vor kurzem abgeschlossenen "Neue Mozart-Ausgabe" durch die Internationale Mozarteum-Stiftung 50 Jahre in Anspruch nahm. Das Mammutwerk ist jetzt unter dme.mozarteum.at für jeden zugänglich. Als die Webseite freigeschaltet wurde, gingen innerhalb von zwölf Stunden 400.000 Suchanfragen aus aller Welt ein. Nach vier Tagen waren auf der Seite über zwölf Millionen Hits zu verzeichnen; ein grandioser Triumph des Komponisten, der Internationalen Mozarteum-Stiftung und - der Digitalisierung.

    Wie wird sich Mozarts Werk in die Zukunft retten lassen? Die "Neue Mozart-Ausgabe" ließe sich natürlich bequem auf Dokumentarfilm ausbelichten, die digitalen Datensätze dazu sind ja da. Und die digitalen Datensätze? Die Schweizer Initiative Distarnet glaubt da, eine originelle Lösung des Problems gefunden zu haben. Zunächst einmal, sagt Rudolf Gschwind, als Professor für Bild- und Medientechnologien an der Universität Basel mit dem Distarnet zur dauerhaften Archivierung von Daten befasst, zunächst einmal müsse man sich fragen, ob digitale Daten überhaupt über wirklich große Zeiträume hinweg stabil bleiben könnten. Die Antwort müsse "Ja" heißen, man fände sie in der Natur:

    " Wir kennen Fälle von lebenden Fossilien, die sechzig Millionen Jahre unverändert die Tiere sich immer wieder repliziert haben, es gibt Bakterien, die sind gegen 1000fache radioaktive Strahlung, wo wir schon längst tot sind, überleben die das, die haben den genetischen Code viermal im Zellkern, um Sicherheit zu machen und das ist natürlich schon ein starker Hinweis darauf, dass die digitale Archivierung, von der Theorie her wenigstens, funktioniert, sonst wären wir nicht da. "

    Natürlich wird man die wachsende Flut digitaler Dokumente nicht biologischen Trägern anvertrauen können, PDFs und DOCs brauchen einen elektronischen Untergrund. Der, sagt Rudolf Gschwind, ist noch nicht einmal so schwankend, wie er immer scheint:

    " Welches System läuft eigentlich in der Computerei seit 20, 30 Jahren immer? Das heißt, man konnte es nie abstellen. Das ist eigentlich das Internet, weil das Internet beruht auf einem Protokoll, dem was man heute technisch TCP/IP-Protokoll nennt, es wurde ja eigentlich gemacht von der amerikanischen Armee um in einem Atomkrieg die Kommunikation aufrecht zu erhalten, und das hat alle technischen Änderungen überstanden. Und da ist die Idee, wir machen ein Archivnetzwerk, das ein Ziel hat: kein Datenverlust. Das ist der Grundgedanke, und wenn ich irgendwie eine Migration machen muss oder irgendeinen Schaden habe, dann soll die Datenmenge, die drauf ist, soll sich automatisch quasi wieder ausgleichen, ich muss gar nicht mich darum kümmern in dem Sinne - habe ich jetzt alles kopiert? Das macht es von allein. "

    Was die Zukunft angeht, spekuliert Rudolf Gschwind augenzwinkernd, könne man die Datensicherung nach dem Vorbild der Natur womöglich weiter perfektionieren, indem man Darwinistische Eigenheiten ins Internet einschleust:

    " Man kann natürlich sagen: Die Natur macht es ja perfekt! Die dupliziert und migriert sich von alleine, da muss ja niemand etwas machen. Und sie macht das einerseits, ja, dass die Lebewesen nicht sterben wollen, das ist der Überlebenswille, und das zweite ist, dass sie natürlich Spaß hat am Weitergeben der Information, also am Sex. Jetzt könnte man fragen: Kann man das übernehmen? Könnte man künstliche Lebewesen haben - Artificial Life -, die im Internet leben? Es gibt ja eines, das das macht, das hasst man, das sind die Computerviren, die bringt man fast nicht weg, die sind genauso gemacht, dass sie sich von alleine weiterverbreiten. Da ist natürlich die Vision: Vielleicht kann man ja positive Viren entwickeln, die gewissermaßen einen Teil Information mit sich tragen und diese Selbstreplikation führen. "

    Die Voraussetzung für digitale Unsterblichkeit im Internet ist natürlich das ewige Fortbestehen der elektronischen Infrastruktur - da ist Dokumentarfilm denn doch verlässlicher.

    Was machen die Behörden derzeit? Die meisten speichern permanent um, von Festplatte zu Festplatte - Fortschritt und Preisverfall machen es möglich. Über die Haltbarkeit von Festplatten ist wenig bekannt, eine aktuelle Google-Studie weist 9 Prozent der drei Jahre alten Festplatten des Unternehmens eine Fehlfunktion pro Jahr zu - ein schönes Motiv, auf viele Festplatten umzuspeichern, wieder und wieder.

    Und was kann derweil ein Privathaushalt unternehmen, um seine digitalen Schätze zu sichern? Man kann seine wichtigen Daten auf wirklich langlebige CDs und DVDs brennen. Delkin Devices ist eine von mehreren Firmen, die dauerhafte Speichermedien versprechen. Eric Richter, Marketing-Manager bei Delkin, macht als Ursache für die behauptete Langlebigkeit der Reihe "Archival Gold" zwei Faktoren geltend:

    " Es sind zwei Dinge: zum einen das Gold. Gold ist ein stabiles Element, und das benutzen wir für unsere Reflektionsschicht. Die meisten CDs verwenden Silber. Und Silber oxidiert unter widrigen Umwelteinflüssen wie UV-Licht, Feuchtigkeit usw. Gold wird davon nicht berührt. Der zweite Faktor ist eine patentierte Rezeptur für die Aufzeichnungsschicht, das ist Phtalocyanin-Lack. Die meisten CDs auf dem Markt verwenden als Material Cyanin, der Unterschied zwischen beiden Lacken ist die Stabilität. Die Kombination von Gold und Phtalocyanin gibt uns für die CD eine Lebensdauer von 300 Jahren. Die Lebensdauer üblicher selbst gebrannter Scheiben beträgt vielleicht sechs Monate, ein Jahr, fünf Jahre - es kommt drauf an. Man weiß nicht, wie lange eine solche CD hält, man weiß nicht genau, was die für Material verwendet haben. Wir nehmen dagegen 24-karätiges Gold und Phtalocyanin-Lack. "

    Trotzdem kostet eine Archivierungs-DVD nur um die 1,30 Euro. Die langen Lebensdauern von 100 Jahren für DVDs bzw. sogar 300 Jahren für CDs haben sich natürlich nicht in einem Echtzeit-Test bestimmen lassen, die Scheiben werden stattdessen einem Martyrium ausgesetzt, das eine Hochrechnung erlauben sollte:

    " Es gibt da ganz bestimmte Standards, ISO, die Methoden beschreiben, optische Medien zu testen. Wir verwenden diese Standards, um unsere optischen Medien in einer Klimakammer zu testen. Und da gibt es eine Formel, die sagt, wenn das beschreibbare optische Medium so und so viele Stunden hält, dann hält es im Alltag so und so viele Jahre. "

    Was sagt die Kunst zur Langzeitspeicherung? Im Film "Die Zeitmaschine" muss man nur einen sprechenden Ring zur Drehung bringen und das Ding erzählt einem was:

    " Und die sprechen? Wovon denn? Von Dingen, die niemand von uns verstehen kann. Lassen Sie ihn reden. "Der Krieg zwischen Ost und West, der jetzt 326 Jahre dauert, hat endlich ein Ende gefunden. Nur wenige Menschen sind noch am Leben." "

    Eigentlich gehörte etwas Ähnliches in den Barbara-Stollen im Schauinsland, vielleicht - womöglich irgendwann mit Nanotechnologie machbar - eine monolithische schwarze Scheibe mit einem Piktogramm auf der Rückseite, das fordert, man möge das Ganze ins Sonnenlicht halten. Und wenn man das tut, taut in Schrift, Bild und Ton auf, was aus unserer Zeit berichtenswert schien - Mozart zum Beispiel.