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Mozarts Scheitern

1783 scheiterte das Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart. Die Oper "L’Oca del Cairo" (Die Gans von Kairo) blieb unvollendet. Zum Mozartjahr stellt sie die Deutsche Oper Berlin in den Mittelpunkt ihrer "Fragmente", um so die andere Seite des Jubilars zu zeigen. Es bleibt beim Experiment.

Von Georg Friedrich Kühn | 17.04.2006
    Die Aufführung beginnt schon draußen vor der Tür, an der "Steinschlagmauer" der Deutschen Oper. Fassadenkletterer hangeln sich an der Kieswand empor. Drinnen in der Eingangshalle, in den Foyers, sitzen, stehen, wandeln kleine Grüppchen von Musikern, "möblieren" à la Satie mit Mozartischem die Räume.

    "Fragmente" heißt der Abend. Statt einer geplanten "Finta Giardiniera" hat man – keine schlechte Idee – ihn als Beitrag zum Mozartjahr ins Programm gerückt. Im Zentrum: "L’Oca del Cairo" (Die Gans von Kairo), eine Buffa, an die Mozart 1783 sich machte. Mit der "Entführung" hatte er sich auf dem "freien Markt" in Wien etabliert. Nun musste er die Theatermaschinerie füttern.

    Dutzende Libretti durchforstete er. Beim ihm vom "Idomeneo"-Librettisten Giambattista Varesco gereichten griff er zu. Aber das Federvieh blieb ihm im Halse stecken. Kaum mehr als den ersten Akt bettete er in Musik.

    Die Gans-Geschichte ist eine jener zeittypischen Komödien, in denen ein adliger Vater seine Tochter standesgemäß verheiraten will. Die aber hat sich längst einen Liebhaber ihres Herzens gewählt. Mit samt ihrer Gouvernante, auf die Don Pippo selbst ein Auge geworfen hat, wird sie in einen Turm gesperrt.

    Die Liebhaber der beiden Frauen versuchen, mit dem Bau einer Brücke sie zu befreien. Aber es klappt nicht. Erst mittels einer Wunder-Riesen-Gans als sozusagen Trojanischem Pferd wird es gelingen – aber das hat Mozart, der diese Art von Frauen-Befreiung ja schon in der "Entführung" durchgekaut hatte, nicht mehr interessiert.

    Der Regisseur Roland Schwab, sein Dramaturg Christian Baier und der Dirigent Johannes Debus haben das Material, angereichert mit anderen Fundstücken, zu einem Abend verarbeitet, der Mozart einmal nicht als den ingeniösen Strahlemann zeigen will, sondern in seinem Scheitern.

    Die Ausstatterin Karin Fritz hat für das Projekt eine Bühne entworfen wie einen katakombenartigen Friedhof. Nach hinten abgeschlossen wird er durch eine Rampe, an der eine andere Bühnencrew in prächtigen Kostümen der Zeit minutenlangen Applaus auf sich – und das Publikum im Saal – prasseln lässt.

    Mit dem Schließen des eisernen Vorhangs hinten steigen die vergessenen, weil nicht vollendeten Figuren in mumienartigen Unterkleidern empor. Aus der Seitenwand schiebt sich ein Steg wie ein Brückenkopf, der "Turm", mit den beiden jungen Frauen. An den schrägen Wellblechwänden gegenüber sieht man wieder Kraxler und dann auch eine Figur, die eine Kerze entzünden will.

    ""Eigentlich bedienen die auch den Gedanken, dass verlorene Gestalten ans Licht wollen. Die wollen herauf aus der Vergessenheit an die Oberfläche, wo sie wahrgenommen werden","

    so der Regisseur. Dramaturgisch ist das interessant gedacht. Nur – ein interessanter Bühnenabend wird daraus nicht. Im Unterschied zu der psychologisch so differenzierten Mozart-Musik bleibt das Bewegungsrepertoire, das Schwab seinen Figuren vorgibt, im Klischeehaften.

    Es ist viel Gerudere auf der Bühne, das aber nichts erzählt. Es fehlt ein ausgeprägtes Gefühl für Timing. Kein Funke springt über – außer von der Musik, etwa den Ensembles oder zumal der wunderbaren Arie der Tochter Celidora, der Erika Miklósa, ihre schlanke Stimme gibt.

    An den Schluss hat man den "Introitus" aus dem wohl berühmtesten Mozart-Fragment, dem "Requiem", gestellt, um sozusagen ein "lux aeterna", ein ewiges Licht, auch für diese Fragmente zu entzünden. Aber der tiefe Eindruck, den das hinterlassen könnte, wird sogleich wieder verwischt durch ein angehängtes Klavierfragment, das nun aus der Unterbühne erklingt, während eine schwarze Frau als gleichsam Totengeist über die Bühne huscht.

    Das Publikum applaudierte am Ende der hundertminütigen Veranstaltung dankbar. Das Inszenierungsteam bekam auch einige Buhs. Als Experiment war das Ganze gemeint und die Mozartsche Musik des Gedenkens durchaus wert. Letztlich freilich bleibt es, freundlich gesagt, Papier-Theater. Jedenfalls keine Basis, auf der sich Perspektiven entwickeln lassen.