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Mr. President, Kampusch und eine Invasion

Während Sherry Hormanns Inszenierung der Kampusch-Geschichte unter die Haut geht, bleibt Bill Murray als US-Präsident eher harmlos. Die ungebetenen Gäste in "Die Invasion" erleben jedoch ein blutiges Wunder.

Von Hartwig Tegeler |
    "Hudson am Hyde Park" von Roger Michell

    Tja, es gibt wohl auch vor Bill Clinton - Nr. 42 - Womanizer in der US-Präsidenten-Schar: Nr. 32 beispielsweise:

    "[Queen:] Sieh mal, da. - [King:] Die Sekretärin. Sie ist auch seine Geliebte. Zumindest laut Cameron. - Dazu brauchen wir nicht Cameron. - Er meint, dass es noch eine gibt. - Noch eine! - Die verheiratet ist."

    Ja, so ist, besser war er, der Franklin D. Roosevelt. - 1936 in den USA: King George VI - "Bertie, der Stotternde" aus "The King's Speech" - reist in Roger Mitchells Film "Hyde Park am Hudson" in die USA. Samt Gattin Elizabeth, der Mutter der jetzigen Elizabeth. England steht kurz vor dem Krieg mit den Nazis und deswegen, händeringend um einen kooperativen Kriegseinsatz bittend, ist George beim US-Präsidenten auf dem Landsitz. Ein Wochenende. Da wird dann klar, dass der im Rollstuhl sitzende Präsident Roosevelt wie eben gehört ein veritabler Schwerenöter ist, aber ein sympathischer. Wie könnte es auch anders sein, weil, ihn spielt ja Bill Murray. Also, King und Mr. President werden Kumpels:

    "[King:] Offen gesagt hätte ich doch gerne einen Cocktail. - [Mr. President:] Ein Mann ganz nach meinem Herzen."

    Weltgeschichte wabert im Hintergrund, wenn Briten und US-Amerikaner, sprich eitle Tradition und leicht dumpfer Pragmatismus aufeinandertreffen. Am Ende haben sich alle lieb. Und niemandem wurde weg getan!

    "Hudson am Hyde Park" von Roger Michell - stört nicht, schadet nicht, kurzum: annehmbar.

    "3096 Tage" von Sherry Hormann

    Realität tritt auf Film. Ganz anders. Um es im Genrebegriff zu sagen: ein Horrorfilm. Die Geschichte von Natascha Kampusch.

    "Hilfe, Hilfe."

    Natascha, zehn Jahre alt, entführt in Wien; der Entführer will kein Geld, er will das Mädchen besitzen. Ein Raum, kleiner als sechs Quadratmeter, […]

    "Hilfe, Hilfe."

    […] jahrelang ist er ihr Gefängnis.

    "Bitte, ich will jetzt was zu essen. Ich warte jetzt schon vier Tage. Willst du mich hier verhungern lassen?"

    2006, nach achteinhalb Jahren - 3096 Tage, so auch der Titel von Sherry Hormanns Film - kann Natascha entfliehen; die Kampusch-Medienstory beginnt. Doch Kino kann mehr erzählen als Talkshows oder Betroffenheit-Dokus.


    Der Sog, in den Sherry Hormann uns zu ziehen vermag, wird dann spürbar, wenn wir das kleine Mädchen, später die junge Frau, in diesem Verließ - fensterloser Raum unter der Erde - sehen und wir wegschauen wollen. In dem klaustrophobischen Bild verdichtet sich das Schicksal dieses Mädchen, das Sklave eines Mannes wird, der Gott spielt, sie demütigt, ihr, auch sexuell, Gewalt antut. Sherry Hormann nimmt uns in ihrem Film leider immer wieder zu schnell die Entscheidung ab, ob wir diese Intensität aushalten wollen, indem sie uns mit einem Filmschnitt erlöst und uns - natürlich nicht Natascha - nach draußen lässt. Hätte Sherry Hormann "3096 Tage" als Kammerspiel zwischen dem eingesperrten Mädchen und dem Entführer durchgehalten, was hätte dies für ein Film werden können. Sherry Hormann sagt:

    "Vielleicht kann der Film auch wieder auf diesen Urkern, diese Einmaligkeit zurückkehren."

    Ja, das stimmt. Manchmal gelingt das. Aber in den stärksten Momenten dieses Films verwandelt sich diese einmalige Geschichte über die mit zehn Jahren entführte Natascha in eine universelle. Verlässt den Kampusch-Bezug und erzählt, wie der nahezu unfassbare Lebenswille, einer, den wir wohl nicht verstehen können, über die Totalität der Erniedrigung siegt.

    "3096 Tage" von Sherry Hormann - empfehlenswert

    "Die Invasion" von Dito Tsindadze

    "Hört endlich auf mit diesem Blödsinn. Ich möchte, dass ihr so schnell wie möglich mein Haus verlasst, ich will mir euer dummes Gerede nicht länger anhören."

    Doch Josef wird diese Eindringlinge, die seine vorgebliche Nichte in sein Refugium, die alte Villa, mitbrachte, nicht los.

    "Bist du dir auch wirklich sicher, dass du das willst. - Ja, da bin ich mir sicher."

    Dito Tsindadzes Film "Invasion" handelt von einem Mann, der um seinen Sohn und seine Frau trauert und deswegen vorhatte, sich vor der Welt zu verkriechen. Doch daraus wird nichts. Regisseur Tsindadze lässt den Mann in seinen 60ern in ein neues Leben, nun ja, mehr oder wenig hineinstolpern und sich die Eindringlinge auf eine Weise vom Hals schaffen, die ziemlich bösartig ist. Satire-Faktor eingeschlossen. Denn so ganz unrecht hat Konstantin, der Chef der Eindringlinge, ja nun wirklich nicht mit seinem Einwand:

    "Josef, was ist eigentlich los mit euch in diesem Land. Ihr habt völlig vergessen, dass es unzählig Vieles gibt, das Freude macht."

    Der Chef der Eindringlinge wird sein blutrotes Wunder erleben, wenn Burghart Klaußner als Josef verkniffen zwar, aber nichtsdestotrotz ziemlich rabiat archaische Energien in sich belebt, von deren Existenz er wohl selber am wenigsten eine Ahnung hatte. Dafür gibt´s dann mit diesem Satz dann die Belohnung:

    "Bist du allein. - Ja, wir sind allein."

    Denn wie einst der Ritter, so bekommt auch Spießer Josef am Ende die holde Schöne. Und wenn sie nicht ... eben!

    "Die Invasion" von Dito Tsindadze - herrlich abgründig und empfehlenswert