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Müde Fußballerköpfe

Niemand zweifelt daran, dass Schalke 04 und Werder Bremen eigentlich ins obere Tabellendrittel der Bundesliga gehören. Doch irgendetwas läuft schief. Es ist ein mentales Problem, meinen viele Experten, denn körperliche Defizite sollten auch nach einem WM-Sommer längst aufgeholt sein.

Von Daniel Theweleit |
    Doch das Jahr voller Höhepunkte hat Spuren hinterlassen bei den Stars, sie sind geistig erschöpft Der Glaube, dass die Millionäre doch gefälligst motiviert sein sollen bei ihrem Einkommen, ist immer noch weit verbreitet. Doch selbst die zuverlässigsten Fußballer sind manchmal hilflos, wenn Körper und Geist einfach nicht in Gang kommen.
    Philipp Lahm war der erste, der sich zu Saisonbeginn meldete. In einem großen Zeitungsinterview berichtete der Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft von einer enormen "psychischen Erschöpfung", die auch nach dem Urlaub nicht verflogen war. Lahm sprach von "Antriebslosigkeit", vom einem Gefühl der "Leere". Der Körper war da längst regeneriert. Auch den Geist nach einem Höhepunkt wie der WM wieder in einen Zustand zu versetzen, der regelmäßige Höchstleistungen ermöglicht, ist ungleich schwerer, glaubt Felix Magath, der Trainer von Schalke 04:

    "Es ist immer eine Angelegenheit der Köpfe und trotzdem werden Sie dagegen nichts machen können, dass eine besondere Situation gegenüber einer normalen Situation wie ein Meisterschaftsspiel, heraus ragt. Und das werden Sie bei Ihren Bekannten, bei Ihren Kindern oder Cousinen erleben, dass besondere Vorkommnissen mehr Aufmerksamkeit bekommen, als die Regeltätigkeiten."

    Im Gegensatz zu Turnern oder Schwimmern, die sich auf klar definierte Höhepunkte vorbereiten, sind Fußballer permanent gefordert. Ein Saisonbeginn ist zwar weniger spektakulär als die Schlussphase, in der es um Titel geht. Schwächen am Anfang können jedoch Dynamiken auslösen, die ein ganzes Jahr zerstören. Auch Nationaltorhüter René Adler lernt erst nach und nach, mit dem Phänomen umzugehen:

    "Da ist es in der Tat anders als bei Turnern, die auf ein Event hinarbeiten und total fokussiert sind. Wir sind ein Wochenbetrieb, da geht es darum Woche für Woche die Leistung abzurufen. Das richtige Verhältnis zwischen Anspannung und Entspannung, das entwickelt ein Spieler. Das ist das Geheimnis, das einen großen Spieler ausmacht, der schafft es wirklich, immer wieder in diesem Rhythmus, und das über Jahre, sich immer wieder Top zu Motivieren, immer wieder die Bereitschaft zu haben, ans Limit zu gehen."

    Es ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens, dass ein gesunder Profi problemlos drei mal die Woche 90 Minuten Fußballspielen kann. Wäre da nicht die psychische Komponente. Die enorme emotionale Investition, die Topstars in die großen Momente ihrer Karriere stecken, sind eben nicht permanent abrufbar. Doch genau das wird oftmals erwartet. International geforderte Stars stehen hier vor einer kaum zu bewältigenden Aufgabe. Das jedenfalls meint Jürgen Freiwald, ein Trainingswissenschaftler von der Bergischen Universität Wuppertal, der seit Jahren mit Profisportlern arbeitet und zum Mitarbeiterstab von Trainer Mirko Slomka, bei Trainer Hannover 96 gehört:

    "Wenn man genau dieses Spielerpotenzial hat, dann muss man sagen, dann ist eigentlich in der Woche mit Doppel- und Dreifachbelastung die psychische Belastung eher höher einzuschätzen, als die Physische. Sie hangeln sich von Spiel zu Spiel, von Regeneration zu Regeneration."

    Um den Körper wieder in Gang zu kriegen, werden traditionelle Methoden aus aller Welt angewendet. In vielen Trainingszentren kommen hoch komplexe Technologien zum Einsatz, und René Adler glaubt, dass es bald auch sehr viel mehr Angebote zur Erholung des Geistes geben wird:

    "Man forscht, man hat Höhenkammern, man hat Kältekammern, insofern, alles, was um den Bereich FB passiert entwickelt sich immer schneller und rasanter. Und man hat erkannt, dass im Kopf mittlerweile noch die größte Reserve liegt, die Sportler haben. Insofern glaube ich schon, dass das es nur eine Sache der Zeit gibt, bis das noch mehr Raum gewinnt."

    Längst gibt es Methoden, mit denen die geistige Erschöpfung nachgewiesen werden kann, gibt es bereits. Und das ist oft auch notwendig, denn viele Spieler wollen die eigene Müdigkeit nicht akzeptieren. Ein erschöpfter Kopf gilt noch immer als wenig überzeugende Erklärung für schwache Leistungen:

    "Wenn wir zum Beispiel Blutwerte nehmen, dann können wir sehr genau differenzieren, in eine körperliche Über- oder Fehlbelastung, und wenn ein Spieler trotzdem den Eindruck von Müdigkeit und Antriebslosigkeit macht, und die Blutwerte keinen Anhaltspunkt geben, dann gehen wir eher Richtung psychologischer Aspekte."

    Doch hier beginnt das Problem. Jeder Spieler braucht andere Maßnahmen für seine psychische Erholung, manche Trainer gewähren erschöpften Profis freie Tage oder sogar einen Sonderurlaub. In einigen Klubs werden Gespräche mit Psychologen empfohlen, es gibt Angebote wie eine Lichttherapie, und eine Menge Dinge, die eher eine Sache des Glaubens sind. Klare Strukturen entstehen aber gerade erst. Und fast jeder Trainer glaubt andere Lösungen zu kennen. Das einzige, was definitiv helfen würde ist: Erholung. Doch seit der vorigen Saison verzichtet die Liga freiwillig auf eine ausgedehnte Winterpause. An müde Köpfe hat bei dieser Entscheidung niemand gedacht, räumt Felix Magath ein:

    "Die Bundesliga hatte aus meiner Sicht einen Vorteil, dass wir in der Vergangenheit eine längere Winterpause hatten, so dass diese Phasen gerade für Nationalspieler besser waren sich zu erholen. Jetzt, diese verkürzte Pause, seit letzter Saison bietet aus meiner Sicht diese Möglichkeiten nicht. Acht Tage reichen aus meiner Sicht nicht aus, um sich wirklich richtig erholen zu können. Aber wir haben das alles so beschlossen, ich war da auch dabei, und damit müssen wir jetzt leben."