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Müde ''Mutter Courage''

Der Krieg schafft Ordnung und die Menschen lernen sich durch ihn selber kennen, sagt gleich zu Beginn ein Feldwebel, bevor er der Marketenderin Anna Fierling, wegen ihres Mutes "Mutter Courage" genannt, einen ihrer beiden Söhne zum Militär wegfängt. In Brechts "Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg" zieht eine Frau mit ihren drei Kindern zwölf Kriegsjahre lang durch die Lande. Der Krieg ist der Marktplatz, auf dem die Marketenderin den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder verdient, er ist aber auch der Kampfplatz, auf dem sie alle ihre Kinder verliert. Daran leidet sie, aber daraus lernt sie nicht. Zum Schluss zieht sie ihren Wagen allein den Soldaten hinterher. Lernen soll der Zuschauer, weshalb Brechts Parabel in didaktischen Erklär-Schritten zeigt, wie Menschen vom Krieg zugleich ernährt wie verschlungen werden. Sie alle sterben: der draufgängerisch gewalttätige Sohn Eilif, der bis zur Selbstzerstörung redliche Sohn Schweizerkas und die stumme, sich vergeblich nach einem Mann und einem Kind sehnende Tochter Kattrin. Drei unterschiedliche Verhaltensweisen, doch ein Schicksal.

Hartmut Krug berichtet |
    Was Kriege mit Menschen anrichten, und wer an ihnen verdient, das muss man den Menschen in unserer vom Kampf um den sicheren Zugriff aufs Öl geprägten Zeit nicht mehr ausführlich erklären. Weshalb Regisseur Peter Zadek keine Kriegsgreuel oder mordende Soldateska ausstellt, sondern normale Menschen zeigt, die nun mal in Kriegszeiten leben müssen. Man richtet sich ein und akzeptiert die Verhaltensregeln, die der Krieg mit sich bringt. So wird ein jeder zum Mitmacher, - nicht nur Mutter Courage. Zadek hat Brechts aufgereckten Zeigefinger in seine offene Regiehand hinuntergebogen und breitet nun menschliche Alltäglichkeit in Kriegszeiten auf der Bühne aus.

    Mit Angela Winkler besitzt Zadek eine Mutter Courage, die vor Lebenslust schier birst. Keine sackleinene, proletarische Mama ist das, sondern eine schöne, recht junge Frau mit bunter Weste überm Blumenrock, die ihr Auftrittslied vom kommenden Frühjahr mit mädchenhaft heller und hoher Stimme aus vollem Herzen singt. Wenn diese Frau mit ihrem zigeunerhaftem Charme und ihrer kräftigen Ausstrahlung auf die Bühne kommt, bleibt fast nichts neben ihr bestehen. Kaum können sich die anderen Schauspieler behaupten, und sogar das Elend des Krieges scheint anfangs kaum vorhanden. Warum allerdings diese Frau ihre unscheinbare Tochter vor den Soldaten zu verstecken sucht statt sich selber, das bleibt unverständlich. Denn Angela Winkler gibt die Marketenderin auch als eine Frau, die in dieser kriegerischen Männerwelt eine sexuelle Attraktion ist. So ist diese Hauptdarstellerin gleichermaßen das Glück und das Pech dieser Inszenierung. Denn sie gibt ihr Kraft und nimmt sie ihr zugleich.

    Regisseur Peter Zadek versucht vor allem mit realistischer Detailpinselei, psychologische Entwicklungsgeschichten von Menschen zu komponieren, statt wie Brecht einfach nur eine lehrhafte Geschichte zu erzählen. Auf Karl Kneidls weitgehend leerer Bühne gibt es neben dem Müllberg im Hintergrund immer wieder so kleinpusselige wie überflüssige zusätzliche Aktionen zwischen den Menschen. Die Szene mit dem alten Obristen ufert sogar zu langwierigem, slapstickhaften Commedia-dell-Arte-Spiel aus. Insgesamt wirkt die Inszenierung, als habe der Zadek dem Brecht ein wenig Tschechow-Atmosphäre implantieren wollen. Was dazu führt, dass die Spannung oft deutlich durchhängt. Keine Figur ist einfach nur wie bei Brecht da und verhält sich, sondern jede muss sich erst groß vorstellen und mächtig ausspielen. Besonders deutlich wird das bei der sonst so grandiosen Susanne Lothar, die ihre Figur der Hure Yvette unter einer Nummernrevue der illustrierenden Haltungen und aufgeplusterten Ausdrucksformen begräbt. Und wenn Frau Lothar so schräg wie bewusst falsch singt, haben wir zwar die Absicht schnell verstanden, doch deshalb können wir das schrecklich Aufgesetzte ihrer Darstellung noch immer nicht goutieren.

    Es ist ein sicher auch immens teurer Irr- und Unsinn, dass Regisseur Peter Zadek seinen privaten Schauspielerzirkus mit an ein Deutsches Theater nehmen durfte, das in seinem Ensemble für jede Rolle eine treffende und treffliche Besetzung vorzuweisen hätte. Wenn der steife Vadim Glowna den Koch nur als einen heiseren Pfeifenraucher spielt, ohne der damit blassen Figur einen besonderen Ausdruck zu verleihen, oder wenn Friedrich-Karl Praetorius den Feldprediger mit all den wirkungssicheren, öligen Manierismen ausstattet, die dieser Schauspieler seit Jahren kultiviert, dann ist das im ersten Fall nur langweilig und im zweiten Fall wenigstens oberflächlich unterhaltsam. Und dass eine so großartige Schauspielerin wie Jutta Wachowiak in eine Loge gesetzt wird, von der aus sie nur die Szenentitel einsprechen darf, bevor sie zum Schluss ein wenig Entsetzen als drangsalierte Bäuerin mimen muss, dann stellt das wahrlich eine Verschleuderung schauspielerischen Potentials dar.

    Die jungen Darsteller immerhin sind eine wahre Freude. Judith Strößenreuter gibt die Sehnsucht der stummen Kattrin mit solch mimisch-gestischer Ausdruckskraft, dass sie sich neben Angela Winkler ins Zentrum spielt, und Achim Schelhas und Ronald Zehrfeld machen aus den Rollen der beiden Söhne zwei intensive Porträts jungmännlichen Verhaltens.

    Insgesamt aber war diese Inszenierung, obwohl als Event geplant, eher ein Flop. Nicht, weil sie neben der Erinnerung an die legendäre Inszenierung mit Helene Weigel und Ernst Busch nicht zu bestehen vermöchte, sondern weil sie letztlich keine überzeugende eigene Haltung zu Brechts Text gefunden hat. Da reicht es nicht, dass grundsätzliche Gedanken der Figuren zum Krieg zuweilen direkt ins Publikum gesprochen werden und dass Angela Winklers Courage sogar vor die erste Parkettreihe hinabsteigt. Weil Zadek seinen Brecht mit falschen Mitteln verbessern will. Zadek zeigt ausgemaltes Erklärtheater, das auf keinen Fall didaktisch sein will.

    So farbenfroh farblos war die Inszenierung dann auch.

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