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Müde plappern schlapper

Psychologie. - Müde Menschen sprechen leiser, langsamer und nachlässiger. Diese Alltagsbeobachtung haben australische Wissenschaftler zum Anlass genommen, den Zusammenhang zwischen Müdigkeit und Sprache einmal systematisch zu untersuchen – und zwar in einem Experiment, das buchstäblich ermüdend war.

Von Frank Grotelüschen | 14.01.2011
    "Ahhhhh!"

    Nein, das ist kein Besuch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Sondern Teil eines hochwissenschaftlichen Experiments, das unlängst an der Universität Melbourne in Australien stattfand.

    "Mit unserem Experiment wollten wir herausfinden, inwieweit sich Müdigkeit auf das Sprechen auswirkt. Also haben wir eine Gruppe von Freiwilligen 24 Stunden lang wach gehalten und analysiert, inwieweit sich ihr Sprechen verändert und damit die Leistung ihres Gehirns","

    sagt Projektleiter Adam Vogel. 18 Studenten hatte er vor einiger Zeit in sein Labor geladen, und zwar um acht Uhr morgens. Dann hieß es: 24 Stunden irgendwie wach bleiben und in schöner Regelmäßigkeit immer dieselben Texte ins Mikrofon sprechen, zum Beispiel:

    ""Monday, Tuesday..."

    Wochentage vorbeten,

    "15, 16, 17, 18, 19, 20!"

    bis 20 zählen, oder

    "Ahhhhh!"

    einen Vokal eine bestimmte Zeit lang halten. Adam Vogel:

    "Diese Sprechproben nahmen wir alle zwei Stunden auf, den ganzen Tag und die ganze Nacht lang. Das war zwar alles andere als spaßig, weder für die Studenten noch für uns. Doch am Ende haben wir es hinbekommen. Und die Ergebnisse sind fantastisch."

    "Monday, Tuesday.., Sunday."

    Mit einer Spezialsoftware analysierte Vogel die Aufnahmen im Detail. Und konnte so genauestens quantifizieren, was eigentlich schon beim ersten Zuhören auffällt: Müde Probanden sprechen deutlich langsamer als wache. Und zwar nicht nur beim Vorlesen von Wochentagen, sondern auch beim Zählen in später Nacht.

    "15, 16, 17, 18, 19, 20."

    Wie schwungvoll hatte sich dasselbe noch am Morgen zuvor angehört, zu Beginn des Experiments.

    "15, 16, 17, 18, 19, 20!"

    Auch die Übung mit dem Vokal veränderte sich hörbar. Aus dem frischen

    "Ahhhhh!"

    am Morgen wurde des Nachts ein schlappes

    "Ahhhhh"

    mit hörbar erniedrigter Tonhöhe. Vogel:

    "Unsere Probanden hatten um acht Uhr morgens angefangen. Die ersten Veränderungen in ihren Stimmen zeigten sich aber erst um zehn Uhr abends, 14 Stunden nach Beginn des Experiments. Das ist nicht weiter überraschend, denn um diese Zeit gehen die Leute für gewöhnlich ins Bett. Danach wurde der Einfluss der Müdigkeit immer größer. Der Tiefpunkt war um sechs Uhr morgens erreicht, 22 Stunden nach Versuchsbeginn. Als dann die Sonne aufging, wurden die Leute wieder munterer, und damit auch ihre Aussprache."

    Die Resultate, meint Adam Vogel, sind nicht nur von akademischem Interesse. Denkbar ist auch eine praktische Anwendung – eine Software, die automatisch Stimmen analysiert und Alarm gibt, sobald sie auf Anzeichen starker Müdigkeit stößt.

    "Es gibt einen großen Bedarf an Methoden, mit denen sich objektiv messen lässt, ob ein Arbeiter zu müde ist, um eine Maschine zu bedienen. Im australischen Bergbau zum Beispiel werden lange Schichten gefahren. Da wäre es sinnvoll, die Arbeiter zu überwachen und wenn nötig jemanden, der zu müde ist, aus der Schicht zu nehmen und dadurch womöglich einen Unfall zu vermeiden."

    Und das nächste Projekt von Adam Vogel? Er will den Zusammenhang aufklären zwischen Alkohol und Sprache. Nun ja – wie sich ein Betrunkener anhört...

    "Excuse me, Ma'am, but could you spare 5 Dollars for alcohol research?"

    ... weiß man eigentlich. Doch inwieweit sich das Lallen in objektive Zahlen fassen lässt, ist bislang noch ungeklärt. Grund genug für ein neues Experiment in Melbourne. Adam Vogel:

    "Wir werden unseren Probanden nacheinander vier Wodka verabreichen. Das entspricht einem Alkohohlgehalt im Blut von einem Promille – doppelt so viel, wie im Straßenverkehr erlaubt ist und für einen Arbeiter definitiv zu viel, um noch eine schwere Maschine bedienen zu können. Das verspricht, ein interessantes Experiment zu werden!"

    "Excuse me, sir, would you spare 5 dollars for alcohol research?"