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Mügeln und sein zaghafter Kampf gegen Rechts

Im sächsischen Mügeln eskalierte vor zwei Jahren eine Tanzbodenrangelei zu einer Hatz auf Inder, die in Panik in einer Pizzeria Schutz suchten. Ausländerfeindliche Parolen wurden ihnen entgegengebrüllt. Ausnahme oder Grundhaltung? Eine Gruppe gegen Rechts befürchtet Letzteres.

Von Christian Werner |
    "Also es war meistens so, dass eben so gegen zwei Uhr nachts kamen dann eben Leute her. Den einen Abend waren so 30, 40 Mann vor dem Haus, mit Elektroschockern bewaffnet, haben dann Flaschen ans Haus geschmissen, Böller und ja so 'Sieg Heil, Heil Hitler'-Rufe. Ja, dann waren eben immer wieder Fensterscheiben eingeschmissen, es wurde versucht, die Tür einzutreten."

    Tine sitzt im Vereinshaus von "Vive le Courage". Das Haus wirkt wenig einladend. Die Räume sind unfertig, müssten dringend renoviert werden. Im Aufenthaltsraum gruppieren sich durchgesessene und abgewetzte Sessel und Sofas um einen wackligen Holztisch. Die Fenster sind mit Spanplatten vernagelt, weil ja die Scheiben eingeworfen wurden. Die Vordertür ist verbarrikadiert. Die Leute vom Verein können das Haus nur über den Hintereingang betreten, der durch eine schwere Metalltür gesichert ist. Doch selbst die ist verzogen, weil eines Nachts einige junge Männer mehrfach dagegen traten. In dem Haus herrscht eine Bunkeratmosphäre.
    Eigentlich wollten die Vereinsmitglieder das Haus ausbauen. Doch seit einigen Wochen fürchten sie um ihre Sicherheit. Vier Wochenenden in Folge wurden sie bedroht. Bisher bekamen sie von der Stadt keinerlei Unterstützung. Im Gegenteil. Die Schuld für die Randale wird dem Verein zugeschoben. Die 23-jährige Tine kann das nicht verstehen. Die Sozialpädagogikstudentin und ihre Mitstreiter vom Verein wollen etwas gegen Rechtsextremismus und Rassismus unternehmen. Jetzt finden sie sich am Pranger wieder.

    "Also viele Leute sagen jetzt eben, dass nicht die Rechten das Problem sind, sondern wir. Aber ich denke, dass es erst durch uns so sichtbar oder auffällig wird, weil sie sonst keine Gegenwehr oder so was haben und deswegen durch uns das Problem erst sichtbar wird, und es aber definitiv ein rechtes Problem gibt, und ich meine, wie kann es denn sein, dass bei sämtlichen Dorffesten dann immer Leute da stehen und Hitlergruß zeigen und 'Sieg heil' rufen und wir eben angegriffen werden, nur weil wir einen alternativen Jugendtreffpunkt aufbauen wollen."

    Die jungen Leute machen genau das, was Politiker immer wieder von der Jugend einfordern: Sie engagieren sich. Nach der Hetzjagd auf einige indische Pizzeriabesitzer bei einem Volksfest in Mügeln gründeten die jungen Leute "Vive le Courage". Nachdem die Kamerateams und Reporter aus ganz Deutschland und dem Ausland abgezogen waren, wollten die meisten Mügelner - allen voran der Bürgermeister, wieder zur Normalität zurückkehren, sagt Roman Becker, Gründungsmitglied von "Vive le Courage" und Vereinsvorsitzender. Es sollte Ruhe einkehren und keine Debatten über die tieferen Ursachen dieses schweren Übergriffs geführt werden. Genau aber das will der Verein. Miteinander reden. Doch bisher gibt es viel Gegeneinander, so Becker.

    "Vorgeworfen wird uns immer, dass wir nicht auf die Stadt zugegangen sind, uns dem Stadtrat nicht vorgestellt haben. Allerdings wussten wir auch nicht, dass wir das können. Deshalb haben wir letztes Jahr im November eine Vereinsvorstellung in einer Kneipe hier in Mügeln oder Gaststätte und haben dort alle Stadträte und Bürgermeister und auch Stadtangestellte und Kirchenvertreter eingeladen. Gekommen ist davon niemand, bis auf ein paar Stadtangestellte. Drei Stadträte haben abgesagt, der Rest war auch nicht."

    Keiner der Stadträte erklärte sich bereit, in einem Interview Stellung zu den Vorfällen der letzten Wochen zu beziehen. Selbst der Pfarrer lehnte ab. Er sehe kein Problem mit Rechtsextremismus in Mügeln. Dabei stimmten zehn Prozent der wahlberechtigten Mügelner bei der Landtagswahl erneut für die NPD. Es gibt viele Jugendliche, die rechtsextrem orientiert sind. Das bestätigt Friedemann Affolderbach, von der Opferberatungsstelle RAA Sachsen. Es gebe zwar keine organisierte rechte Szene in Form einer Kameradschaft, von Freien Kräften oder einer aktiven NPD,

    "… vielmehr sind das allgemein Haltungen und Einstellungen, die sich dort manifestieren, wo ich schon sagen würde, dass ein Großteil Rassismus eine Rolle spielt, aber es grundsätzlich den Menschen dort schwerfällt andere zu akzeptieren, die einfach anders sind, die eine andere Meinung haben und die ihren Ort mit kritischen Augen betrachten."

    Das bekommt der Verein "Vive le Courage" zu spüren. Er werde von der Stadt kriminalisiert, sagt Friedemann Affolderbach. Jetzt scheinen die Verantwortlichen in Mügeln langsam aufzuwachen. Geweckt wurden sie aber nicht durch die Übergriffe gegen den Verein, sondern vom Landeskriminalamt, das offensichtlich mit Sorge auf die kleine Stadt schaut.
    Mittlerweile ermittelt sogar die Soko Rex, die sächsische Sondereinheit im Kampf gegen Rechtsextremismus. Silvaine Reiche, Pressesprecherin des Landeskriminalamtes Sachsen:

    "Wir nehmen die Lage auch sehr ernst, wir werden mit dem Bürgermeister ins Gespräch kommen, und wir haben auch seit dem 28. August die Ermittlungen wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs und auch des Verdachts des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen und auch gefährlicher Körperverletzung übernommen."

    Derzeit liegen Hinweise auf neun Tatverdächtige vor, und:

    "Ja, die Anzeigen des Verdachts von verfassungsfeindlichen Kennzeichen und auch des Verdachts des Landfriedensbruchs zeigen ja, dass wir schon davon ausgehen, dass eine rechtsextremistische Motivation Hintergrund einiger Straftaten ist."

    Im Mügelner Rathaus geht die Angst um, dass es wieder so wird wie im Sommer 2007. Damals gab der Bürgermeister Gotthard Deuse über zweihundert Interviews, in denen er erklärte, der Übergriff auf die Inder sei ein Einzelfall gewesen – ein Problem mit Rechts habe die Stadt nicht.
    Heute möchte er eigentlich keine Interviews mehr geben. Er fühlt sich anscheinend von den Medien missbraucht und manipuliert. Einige Reporter hätten ihn damals ins offene Messer laufen lassen. Ohnehin werde nur über Randale berichtet. Die friedliche 1025-Jahr-Feier von Mügeln vor einigen Wochen sei kein Thema gewesen, nur das Schlechte werde hervor gekehrt, beschwert er sich. Ende September wird es aber eine Stadtratssitzung geben, sagt Gotthard Deuse schließlich. Zu der werde sowohl die Polizei als auch die Opferberatung RAA Sachsen eingeladen, in einem ersten Schritt.

    "Und wir wollen dann natürlich im zweiten Schritt "Vive le Courage" einladen, wo wird dann ganz gezielt mit diesem Verein über die Probleme sprechen werden. Das soll aber noch nicht das Ende sein. Wir wollen natürlich auch gemeinsam mit den anderen Gruppierungen, die also hier tätig sind, ins Gespräch kommen und das soll dann noch mal der Abschluss sein, wo wir dann gemeinsam eine Presseerklärung geben werden, wie diese Gespräche in Mügeln gelaufen sind."

    Davon wissen die Leute von "Vive le Courage" offiziell noch nichts. Aber sie wollen die Einladung auf jeden Fall annehmen. Schließlich kämpfen sie nicht gegen das Rathaus oder den Bürgermeister, sondern gegen rechte Gewalt und Rassismus in den Köpfen.