Jorge Saez war 21 Jahre alt, Student und Kommunist, als er 1974, wenige Monate nach dem Putsch rechter Militärs in Chile, verhaftet wurde. Zwei Jahre verbrachte er im Gefängnis, wurde gefoltert, später ging er ins Exil in die Bundesrepublik Deutschland. Seit Ende der achtziger Jahre lebt Jorge Saez wieder in Chile, im vergangenen Jahr sagte er erstmals über seine zwei Jahre dauernde politische Haft aus.
"Ich habe erzählt, wie und wo ich verhaftet wurde, und was für Polizisten mich festgenommen haben. Außerdem konnte ich durch Papiere nachweisen, dass ich im Gefängnis war."
Die von Chiles Präsident Ricardo Lagos eingesetzte "Nationale Kommission für Politische Haft und Folter" erkannte Jorge Saez als ehemaligen politischen Gefangenen und Folteropfer an. Er erhält nun eine kleine monatliche Rente in Höhe von umgerechnet etwa 133 Euro, ist krankenversichert und darf – mit 52 Jahren – umsonst eine Universität besuchen. Von den rund 36.000 Chilenen, die aussagten, haben knapp 28.000 Anspruch auf diese Entschädigung. Der über tausend Seiten dicke Abschlussbericht der Kommission informiert detailliert über Methoden und Orte der Folter und Gefangenschaft während der Pinochet-Diktatur.
"Zum ersten Mal werden die politischen Gefangenen der Diktatur offiziell erwähnt. Denn obwohl doch jeder wusste, dass es in Chile politische Häftlinge gab, wurde das vom Staat nie anerkannt. Dass sich das jetzt geändert hat, ist für uns sehr wichtig."
Doch für Jorge Saez, der Sprecher einer Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge ist, hat der Bericht vor allem ein großes Manko: Er nennt die Opfer beim Namen, nicht aber die Täter. Er selbst weiß zwar nicht, von wem er gefoltert wurde, doch andere haben die Namen ihrer Peiniger der Nationalen Kommission mitgeteilt. Diese Namen müssten öffentlich gemacht und der Justiz zur Verfügung gestellt werden, fordert Jorge Saez. Das habe aber nicht zum Auftrag der Kommission gehört, verteidigt die stellvertretende Vorsitzende Maria Luisa Sepulveda Edwards ihre Arbeit:
"Es ist nicht richtig, dass die Kommission ihre Arbeit nur zur Hälfte erledigt hat. Die Identifizierung der Täter gehörte nicht zu unseren Aufgaben. Wir wollten uns auch nicht über den Rechtsstaat erheben. Es schien uns legitim, den Opfern zu bescheinigen, dass sie Opfer waren. Aber wir meinen, dass es Aufgabe der Gerichte ist, die Täter zu benennen."
Bisher hat in Chile kaum eine juristische Aufarbeitung der Folter stattgefunden. Doch wegen anderer Diktatur-Verbrechen wurden in den letzten Jahren Prozesse gegen immerhin rund 400 Militärs eröffnet. Ein paar Dutzend sind bisher verurteilt worden, darunter der Chef der ehemaligen Geheimpolizei DINA, Manuel Contreras, der eine zwölfjährige Haftstrafe verbüßt. Die DINA wird für das Verschwinden lassen von etwa 3000 Menschen und für die Misshandlung von Zehntausenden verantwortlich gemacht. Viviana Diaz leitet die Vereinigung der Angehörigen verschwundener Häftlinge. Ihr eigener Vater, ein Kommunistenführer, verschwand 1976. 2001 gaben die chilenischen Streitkräfte zu, er und andere Regimegegner seien verschleppt, ermordet und ins Meer geworfen worden. Viviana Diaz kämpft weiter – für die ganze Wahrheit, und für Gerechtigkeit.
"Wir haben Fortschritte gemacht bei unserer Suche nach der Wahrheit und den Verantwortlichen. Doch nur in zwei Fällen hat es wegen des Verschwinden lassens von Menschen tatsächlich Verurteilungen gegeben. Zum Teil gelangen die Richter zu der Überzeugung, dass die Verschwundenen tot sind. Mord kann aber nach 15 Jahren verjähren. Einige Richter urteilen daher in erster Instanz, dass das Verbrechen verjährt ist."
Der ehemalige Diktator Augusto Pinochet hat die Verantwortung für die Menschenrechts-verletzungen stets zurückgewiesen. 2001 und Anfang dieses Jahres wurde er wegen Diktatur-Verbrechen angeklagt – beide Prozesse stellte die Justiz wegen angeblicher Verhandlungs-unfähigkeit des mittlerweile 90-Jährigen ein. In der vergangenen Woche ist Pinochet nun erneut unter Anklage gestellt worden – und das gleich zweimal. Einerseits geht es um seine Mitverantwortung für die so genannte Operation Colombo, bei der in den siebziger Jahren linke Oppositionelle verschleppt und vermutlich ermordet wurden. In dem anderen Verfahren wird dem Ex-Diktator Steuerhinterziehung vorgeworfen. Als die Chilenen von Pinochets Millionenkonten im Ausland erfuhren, wandten sich sogar ehemalige Anhänger von ihm ab. Viviana Diaz von der Vereinigung der Angehörigen verschwundener Häftlinge:
"Unsere Landsleute stört es mehr, dass Pinochet ein Dieb ist, als dass er Menschenrechte verletzt hat. Das finden wir unglaublich. Keinem hier ist gleichgültig, dass Pinochet Steuern hinterzogen hat, und dass er Millionen auf Konten im Ausland gelagert hat. Auf seine Verbrechen haben die Leute nicht in vergleichbarer Weise reagiert. Das ist schwer zu verstehen, wo doch der Wert eines Menschenlebens unermesslich ist."
Zu denen, die seit Jahren versuchen, Pinochet wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen, gehört der Anwalt Eduardo Contreras. Er reichte Anfang 1998 die erste Klage gegen Pinochet ein.
"Dadurch haben wir bewiesen, dass Pinochet nicht unberührbar, nicht unverwundbar ist. Ihm ist die Immunität entzogen worden, erst die Immunität als Senator, dann als ehemaliger Staatschef. Ihm wurde zweimal der Prozess gemacht, und er wurde festgenommen, nicht nur in London, sondern auch in Chile. Ich glaube zwar nicht, dass es uns gelingen wird, dass Pinochet verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wird. Aber unsere Bemühungen waren eine moralische, ethische und politische Lehrstunde, vor allem für die Jugend, für die Leute, die die Schrecken der Diktatur nicht kennen gelernt haben."
Dass Pinochet einer Verurteilung bisher entgangen ist, liegt nach Ansicht des Juristen auch am fehlenden Willen der Concertación, des Mitte-Links-Bündnisses, das Chile seit 1990 regiert. Dieser Meinung ist auch sein Anwaltskollege Roberto Garretón, der nach dem Putsch Opfern der Militärdiktatur half und heute Regionalvertreter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte ist.
"Das Problem der Menschenrechtsverletzungen war für die Regierung immer störend. Die politische Klasse in Chile will das Thema abhaken. Es sind politische Entscheidungen, eine Amnestie auszusprechen, den Tätern zu vergeben, in der Annahme, auf diese Weise Versöhnung zu erreichen. Ich habe das immer verurteilt."
Versöhnung? Für Jorge Saez, den ehemaligen politischen Häftling, ist Chile davon, fünfzehn Jahre nach Ende der Diktatur, noch weit entfernt.
"Solange wir in Chile nicht die ganze Wahrheit kennen, solange nicht völlige Gerechtigkeit herrscht, können wir uns nicht versöhnen. Die Militärs haben keinen Moment lang Reue gezeigt. Das Problem wird nicht dadurch gelöst, dass die Regierung ein paar Entschädigungen zahlt, um uns ruhig zu stellen."
"Ich habe erzählt, wie und wo ich verhaftet wurde, und was für Polizisten mich festgenommen haben. Außerdem konnte ich durch Papiere nachweisen, dass ich im Gefängnis war."
Die von Chiles Präsident Ricardo Lagos eingesetzte "Nationale Kommission für Politische Haft und Folter" erkannte Jorge Saez als ehemaligen politischen Gefangenen und Folteropfer an. Er erhält nun eine kleine monatliche Rente in Höhe von umgerechnet etwa 133 Euro, ist krankenversichert und darf – mit 52 Jahren – umsonst eine Universität besuchen. Von den rund 36.000 Chilenen, die aussagten, haben knapp 28.000 Anspruch auf diese Entschädigung. Der über tausend Seiten dicke Abschlussbericht der Kommission informiert detailliert über Methoden und Orte der Folter und Gefangenschaft während der Pinochet-Diktatur.
"Zum ersten Mal werden die politischen Gefangenen der Diktatur offiziell erwähnt. Denn obwohl doch jeder wusste, dass es in Chile politische Häftlinge gab, wurde das vom Staat nie anerkannt. Dass sich das jetzt geändert hat, ist für uns sehr wichtig."
Doch für Jorge Saez, der Sprecher einer Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge ist, hat der Bericht vor allem ein großes Manko: Er nennt die Opfer beim Namen, nicht aber die Täter. Er selbst weiß zwar nicht, von wem er gefoltert wurde, doch andere haben die Namen ihrer Peiniger der Nationalen Kommission mitgeteilt. Diese Namen müssten öffentlich gemacht und der Justiz zur Verfügung gestellt werden, fordert Jorge Saez. Das habe aber nicht zum Auftrag der Kommission gehört, verteidigt die stellvertretende Vorsitzende Maria Luisa Sepulveda Edwards ihre Arbeit:
"Es ist nicht richtig, dass die Kommission ihre Arbeit nur zur Hälfte erledigt hat. Die Identifizierung der Täter gehörte nicht zu unseren Aufgaben. Wir wollten uns auch nicht über den Rechtsstaat erheben. Es schien uns legitim, den Opfern zu bescheinigen, dass sie Opfer waren. Aber wir meinen, dass es Aufgabe der Gerichte ist, die Täter zu benennen."
Bisher hat in Chile kaum eine juristische Aufarbeitung der Folter stattgefunden. Doch wegen anderer Diktatur-Verbrechen wurden in den letzten Jahren Prozesse gegen immerhin rund 400 Militärs eröffnet. Ein paar Dutzend sind bisher verurteilt worden, darunter der Chef der ehemaligen Geheimpolizei DINA, Manuel Contreras, der eine zwölfjährige Haftstrafe verbüßt. Die DINA wird für das Verschwinden lassen von etwa 3000 Menschen und für die Misshandlung von Zehntausenden verantwortlich gemacht. Viviana Diaz leitet die Vereinigung der Angehörigen verschwundener Häftlinge. Ihr eigener Vater, ein Kommunistenführer, verschwand 1976. 2001 gaben die chilenischen Streitkräfte zu, er und andere Regimegegner seien verschleppt, ermordet und ins Meer geworfen worden. Viviana Diaz kämpft weiter – für die ganze Wahrheit, und für Gerechtigkeit.
"Wir haben Fortschritte gemacht bei unserer Suche nach der Wahrheit und den Verantwortlichen. Doch nur in zwei Fällen hat es wegen des Verschwinden lassens von Menschen tatsächlich Verurteilungen gegeben. Zum Teil gelangen die Richter zu der Überzeugung, dass die Verschwundenen tot sind. Mord kann aber nach 15 Jahren verjähren. Einige Richter urteilen daher in erster Instanz, dass das Verbrechen verjährt ist."
Der ehemalige Diktator Augusto Pinochet hat die Verantwortung für die Menschenrechts-verletzungen stets zurückgewiesen. 2001 und Anfang dieses Jahres wurde er wegen Diktatur-Verbrechen angeklagt – beide Prozesse stellte die Justiz wegen angeblicher Verhandlungs-unfähigkeit des mittlerweile 90-Jährigen ein. In der vergangenen Woche ist Pinochet nun erneut unter Anklage gestellt worden – und das gleich zweimal. Einerseits geht es um seine Mitverantwortung für die so genannte Operation Colombo, bei der in den siebziger Jahren linke Oppositionelle verschleppt und vermutlich ermordet wurden. In dem anderen Verfahren wird dem Ex-Diktator Steuerhinterziehung vorgeworfen. Als die Chilenen von Pinochets Millionenkonten im Ausland erfuhren, wandten sich sogar ehemalige Anhänger von ihm ab. Viviana Diaz von der Vereinigung der Angehörigen verschwundener Häftlinge:
"Unsere Landsleute stört es mehr, dass Pinochet ein Dieb ist, als dass er Menschenrechte verletzt hat. Das finden wir unglaublich. Keinem hier ist gleichgültig, dass Pinochet Steuern hinterzogen hat, und dass er Millionen auf Konten im Ausland gelagert hat. Auf seine Verbrechen haben die Leute nicht in vergleichbarer Weise reagiert. Das ist schwer zu verstehen, wo doch der Wert eines Menschenlebens unermesslich ist."
Zu denen, die seit Jahren versuchen, Pinochet wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen, gehört der Anwalt Eduardo Contreras. Er reichte Anfang 1998 die erste Klage gegen Pinochet ein.
"Dadurch haben wir bewiesen, dass Pinochet nicht unberührbar, nicht unverwundbar ist. Ihm ist die Immunität entzogen worden, erst die Immunität als Senator, dann als ehemaliger Staatschef. Ihm wurde zweimal der Prozess gemacht, und er wurde festgenommen, nicht nur in London, sondern auch in Chile. Ich glaube zwar nicht, dass es uns gelingen wird, dass Pinochet verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wird. Aber unsere Bemühungen waren eine moralische, ethische und politische Lehrstunde, vor allem für die Jugend, für die Leute, die die Schrecken der Diktatur nicht kennen gelernt haben."
Dass Pinochet einer Verurteilung bisher entgangen ist, liegt nach Ansicht des Juristen auch am fehlenden Willen der Concertación, des Mitte-Links-Bündnisses, das Chile seit 1990 regiert. Dieser Meinung ist auch sein Anwaltskollege Roberto Garretón, der nach dem Putsch Opfern der Militärdiktatur half und heute Regionalvertreter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte ist.
"Das Problem der Menschenrechtsverletzungen war für die Regierung immer störend. Die politische Klasse in Chile will das Thema abhaken. Es sind politische Entscheidungen, eine Amnestie auszusprechen, den Tätern zu vergeben, in der Annahme, auf diese Weise Versöhnung zu erreichen. Ich habe das immer verurteilt."
Versöhnung? Für Jorge Saez, den ehemaligen politischen Häftling, ist Chile davon, fünfzehn Jahre nach Ende der Diktatur, noch weit entfernt.
"Solange wir in Chile nicht die ganze Wahrheit kennen, solange nicht völlige Gerechtigkeit herrscht, können wir uns nicht versöhnen. Die Militärs haben keinen Moment lang Reue gezeigt. Das Problem wird nicht dadurch gelöst, dass die Regierung ein paar Entschädigungen zahlt, um uns ruhig zu stellen."