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München ohne Stolpersteine

Michael Köhler: In mehrere deutschen Städten hat der Künstler und Bildhauer Gunter Demnig Steine oder kleine Metallplatten in den Gehsteig eingelassen. Das Besondere daran ist: die Steine tragen Namen und Lebensdaten im Krieg deportierter Menschen, zumeist Juden. Sie werden vor den ehemaligen Wohnhäusern in das Straßenpflaster eingelassen. Diese Stolpersteine, wie sie heißen, sind schmucklos, messen 10 cm mal 10 cm und auf der Oberfläche steht etwa: "Hier wohnte Siegfried Jordan, Jahrgang 1889, deportiert 1941, ermordet 25.11.1941". Der Münchener Stadtrat hat sich gegen die Verlegung der Steine entschieden und beschlossen, zwei solcher Steine wieder entfernen zu lassen. Der Vorgang ist rechtsstaatlich ganz in Ordnung. Ich habe den künstlerischen Urheber Gunter Demnig gefragt, ob er Verständnis für diese Aktion hat.

Der Künstler Gunter Demnig im Gespräch |
    Gunter Demnig: Also es ist nicht das erste Mal. Auch die Stadt Leipzig hat zum Beispiel das Projekt abgelehnt, und zwar kam da die Begründung, das wäre ja formal und inhaltlich dasselbe wie der Hollywood-Boulevard in Los Angeles. In München kam ein anderes Argument, was ich schon oft gehört habe: es könnten Neonazis mit Springerstiefeln drauf rumtrampeln. Gut, Neonazis können auch auf den jüdischen Friedhof gehen und Hakenkreuze sprühen. Das ist für mich kein Argument.

    Köhler: Es gab noch weitere Argumente. Josef Schuster beispielsweise, Präsident der israelischen Kultusgemeinde, hat gesagt, das Projekt ist hervorragend, weil Menschen im Vorübergehen mit diesem Teil der deutschen Geschichte konfrontiert werden. Es gibt Mitglieder aber in der jüdischen Gemeinde München, die das Andenken der Ermordeten durch Ihre Stolpersteine mit Füßen getreten sehen. Der Bürgermeister sagt hinzu, bei 4.500 deportierten Münchener Juden falle die Auswahl schwer und zudem gebe es bereits ausreichende Erinnerungsorte und man solle dem nicht noch mehr hinzufügen.

    Demnig: Also ich kann nur sagen, Protest. Erstens sind diese Stolpersteine etwas ganz anderes als zentrale Denkmale. Zentrale Denkmale, wie sie existieren, waren für mich ein Grund, die Steine zu machen. Ein zentrales Denkmal, da kann man einen großen Bogen drum machen, man kann es auch schänden. Die meisten Steine sind für jüdische Bürger, es sind aber auch welche für Schwule, Euthanasie-Opfer, also es wird damit an alle Opfer gedacht. Sie werden dort hingelegt, wo diese Menschen zu Hause gewesen sind. Die Zahl finde ich nicht so wichtig. Ich denke, es kann nur symbolisch sein, dass vor einigen Häusern dieses Andenken immer wieder kommt. Ich meine, sonst müsste ich eben sechs Millionen machen.

    Köhler: Sie kommen aber erst in den Boden, wenn es die Zustimmung der Angehörigen und der Eigentümer gibt. Es ist ja ein öffentlicher Weg, und die Stadt muss auch zustimmen. Das war in München nicht der Fall.

    Demnig: In München war es nicht der Fall. In anderen Städten war es auch so, zum Beispiel in Freiburg, und ich habe trotzdem verlegt auf Wunsch von Angehörigen, die gesagt haben, wir möchten das aber haben. Ich habe einen Stein verlegt, und nach einer Woche waren 60 Patenschaften zusammen. In München habe ich verlegt auf Wunsch des Sohnes der getöteten Menschen, und diese Steine liegen jetzt - das halte ich für ganz absurd - auf dem jüdischen Friedhof mit dieser Inschrift, "hier wohnte...". Ich meine, das ist eine doppelte Deportation. Das ist für mich das Schlimmste, was eigentlich passieren kann.

    Köhler: In anderen Städten ist Ihr Projekt anders aufgenommen worden. Ich war im Glauben, Berlin sei Spitzenreiter, was die Verlegung der Steine angeht - Kreuzberg, 350 Steine. Sie wissen es besser.

    Demnig: In Köln liegen über 1.400. Hamburg kommt danach mit 830 Steinen, dann Berlin. Es gibt aber auch Städte wie zum Beispiel Neustadt an der Weinstraße, wo 169 Steine liegen, aber damit sind alle jüdischen Opfer verlegt.

    Köhler: Sie beugen sich aber dem Urteil des Stadtrates der Stadt München?

    Demnig: Was München anbelangt, werde ich mich nicht beugen, dass die Steine jetzt auf den jüdischen Friedhof verlegt worden sind, denn das ist eine Ignoranz gegenüber dem Projekt, und es ist eigentlich unmöglich, so etwas zu machen. Ich werde weiter dranbleiben, und ich werde vor allen Dingen mit anderen Leuten sprechen, die eben ihre Meinung dazu äußern. Es hat ja auch schon der Vorstand der israelischen Gemeinde Bayern gesagt, wir möchten das Projekt aber.

    Köhler: Die Münchener aber nicht.

    Demnig: Die Münchener erst mal nicht, aber ich denke, München wird eingekreist. In der Umgebung von München liegen ja bereits Steine, und es kommen noch mehr dazu.

    Köhler: Also Sie haben Anfragen und Wünsche aus zahlreichen Kommunen des Landes Bayern?

    Demnig: Also es ist jetzt im Augenblick so, dass ich wirklich mal sagen muss, im Jahr 2005 gebe ich mir Mühe, die Steine zu verlegen.

    Köhler: Sie kommen mit der Produktion nicht nach?

    Demnig: Ich will es auch alleine machen. Es ist mein künstlerisches Projekt, und ich will keine Fabrik draus machen. Ein Argument, was vielleicht kommt, ist, du triffst eine Auswahl. Hier in Köln in Zusammenarbeit mit dem NS-Dokumentationszentrum EL-DE-Haus haben wir auch überlegt, wir müssten eigentlich 9.000 Steine legen. Das ist völlig unmöglich. Also kann man nur symbolisch in jeder Straße ein Haus als Symbol raussuchen. Ich denke, der Symbolcharakter ist dabei wichtig.