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München
Street-Art "Positive Propaganda"

Von Andi Hörmann | 04.08.2014
    "Was bin ich? Ich bin naiv. Nein, ich bin ein Schöngeist. Nein, Idealist. Nein, ich glaube, ich bin einfach nur einer von vielen, der aus einem Traum die Realität machen will."
    Ein Träumer, ein künstlerischer Seiltänzer, der auf dem Boden der Tatsachen bleibt. Doch bei der Frage nach seiner Berufsbezeichnung tut sich der 30-jährige Sebastian Pohl schwer, greift an seine Schiebermütze und fixiert mit dem Blick seine faire-trade Sneakers.
    "Kurator oder Projektmanager. Vielleicht sogar Künstler, indem wie man an die Sache ran geht. Architekt, Städteplaner, Marketingexperte. Kunsthistoriker, mit dem was ich in diesem Genre erlebt habe."
    Street-Art ist als Genrebezeichnung fast etwas irreführend für das, was Sebastian Pohl mit seinem Verein "Positive Propaganda" im Münchner Stadtraum umsetzt.
    "Das, was andere Länder, andere Städte, im Museum zeigen, das möchten wir nach München bringen."
    Und zwar in den Öffentlichen Raum - zugänglich für alle, sichtbar für jeden. Keine knall-bunten Graffitis in tristen Bahnunterführungen, keine illegalen Nacht-und-Nebel-Aktionen, keine schrille Kunst aus der Sprühdose in schummrigen Hinterhöfen.
    "In München sehen wir überall Herzchen und Liebe. Das ist unser Hauptproblem, weil wir alles andere vor lauter emotionaler Verblendung irgendwie ausgeblendet haben."
    Das Guerilla Marketing der Industrie-Konzerne, der Hype um Banksy & Co. und der absurd kommerzielle Kunstmarkt haben der Street-Art schwer zugesetzt: Credibility war gestern, heute regiert der Ausverkauf! Kunst im öffentlichen Raum verkommt unter dem Deckmäntelchen der Werbewirtschaft, Discounter, Tabak- und Spirituosenhersteller: Danke, nein!
    "Kunst sollte Inspiration sein, und nicht Dekoration. Wie auch unser Name 'Positive Propaganda' sagt: bei uns geht es auch um Inhalte. Wir sind nicht die Dekorateure von... Ja, das darf ich jetzt nicht sagen von wem, aber da hätte ich ein ganz gutes Beispiel in München. Uns geht es nicht darum, eine Stadt zu dekorieren, sondern es geht uns darum, Kunst und Inhalte in den öffentlichen Raum zu bringen."
    Juli 2014, ein dreistöckiger Sozialbau, Bergmannstraße, München-Westend. 500 Quadratmeter Hausfassade. Der raue Außenputz wird zur Leinwand. Von einer hydraulischen Hebebühne aus verpasst das Künstler-Duo "Cyrcle." aus Los Angeles dem Wohnblock einen neuen Anstrich, verwandelt das Gebäude in ein Gemälde. Leuchtendes Orange, dumpfes Grau - gepinselt, gestrichen, gesprüht. Zehn Tage lang, bei Regen und bei Sonnenschein - nachts im Flutlicht. Die Jugendlichen, die in diesen Sozialwohnungen leben, vertreiben sich am Hauseingang die Zeit mit Games auf ihren Smartphones - sie finden die Street-Art cool:
    "So etwas sieht man nicht alle Tage. Sieht super aus! Viele Leute bleiben stehen, schauen sich das an. Jedes Mal wenn man hinschaut, denkt man gleich: Wow, wer hat das gemalt?"
    Ikonographische Heiligenbilder in Siebdruck-Optik, überlebensgroße Machtsymboliken der europäischen Kultur - auf den Kopf gestellt, mit einer dicken, horizontalen Spiegelachse in der Körpermitte. "Pursue", "Persecute", "Truth" steht unter den drei Figuren: ein Ziel verfolgen, jemanden verfolgen, die Wahrheit finden. Street-Art als unbequeme Ästhetik im sozialen Brennpunkt, an der Fassade eines Sozialbaus in München-Westend, einem ehemaligen Arbeiterviertel mitten im Prozess der Gentrifizierung. Die Message ist subtil, aber stark: Hinterfrage die Situation, gehe deinen eigenen Weg!
    "Das ist Street Art - gewesen. Vielleicht ist es Street Activism - politischer, sozial-politischer Aktivismus durch Kunst auf die Straße gebracht."
    "Positive Propaganda" heißt eben auch, mit wenig viel bewirken, den Glauben an seine Träume nicht verlieren und der oftmals bitteren Realität ein Schnippchen schlagen. Mit Fördergeldern holt Sebastian Pohl seit 2013 international agierende Street-Art-Künstler nach München, finanziert die Projekte mit nur etwa einem Zehntel des realistischen Budgets. Vor "Cyrcle." aus Los Angeles haben schon Marc Jenkins aus Washington D.C., Kripoe aus Berlin und Aryz aus Barcelona riesige, triste Hausfassaden in sozial-politische Street-Art-Kunst verwandelt. Ein Projekt mit Shepard Fairey in München ist in Planung - bekannt für seine Hope-Plakat-Kampagne zum Obama-Wahlkampf.
    Und man fragt sich: wie gelingt es Sebastian Pohl nur, mit seinem Verein "Positive Propaganda" diese Künstler für das Street-Art-Niemandsland München zu begeistern?
    "Ich rufe sie an und sage: Hey, ich habe eine Idee, es klingt verrück, ich weiß, jeder erzählt euch was von Non-Profit, aber ich meine es ernst. Ich glaube die Leute lernen mich kennen und sie vertrauen mir einfach. Das ist ein schönes Gefühl."