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Münchener Diskussion zu "Ausgehetzt"
Was darf Kunst?

Wie sehr dürfen sich Kulturschaffende in die Tagespolitik einmischen? Das war die Frage einer Diskussionsrunde in München, bei der das Verhältnis von Staat und Kunst im Mittelpunkt stand. Anlass war die Demonstration "Ausgehetzt", zu der Volkstheater-Intendant Christian Stückl aufgerufen hatte.

Von Michael Watzke | 22.09.2018
    Teilnehmer der Demonstration "Ausgehetzt - Gemeinsam gegen die Politik der Angst"
    Politische Demonstration oder "theatermäßige" Aktion? Demonstration "Ausgehetzt" in München (imago stock&people)
    Was darf die Kunst? Der Autor und Moderator Gert Heidenreich zitiert zu Beginn der Diskussionsrunde gleich mal Albert Camus. Was die Kunst nicht dürfe, sei: sich raushalten.
    "Es gibt keinen Elfenbeinturm mehr. Wir sind auf die Galeere verpflichtet. Das heißt, wir haben gar keine Wahl. Wir müssen auf die Zustände reagieren."
    Aber das einzige Mal an diesem zweistündigen Abend, als Heidenreich wirklich auf Zustände reagieren muss, da weicht der Moderator aus:
    "So, vielen Dank. Wir haben sicher nachher noch Gelegenheit bei Wein und Brot, darüber zu reden."
    Es ist der Augenblick, in dem ein alter Mann mit zerzaustem Haar, zerschlissenen Hosen und zwei Schildern in der Hand im Publikum aufsteht und auf die Bühne tritt. Er plädiert für ein Kunstverständnis, das sich am Grundgesetz orientieren soll.
    "Am besten ist die verfassungstreue Kunst. Sie ist immer ein willkommenes Geschenk."
    Im Publikum ein Raunen und Kopfschütteln. Diskussions-Teilnehmer Christian Stückl ist ratlos, wie der Volkstheater-Intendant später zugibt.
    "Ich hab es auch nicht verstanden, was das war, die Fahnen."
    Reaktion auf politische Provokation
    Auf die Fahnen hatte der Mann "Kunst" geschrieben und drei schwarze Punkte gemalt. Ist wahre Kunst also blind? Eine spannende Frage, der Gert Heidenreich schnell mit einer Gegenfrage auswich:
    "Gibt es weitere Wortmeldungen aus dem Publikum?"
    Es gab weitere Wortmeldungen aus dem Publikum, aber keine davon trug substantiell zum Thema der Gesprächsrunde bei: Was darf die Kunst? Und was darf der Staat der Kunst verbieten?
    "Der Staat hat nur das Recht - oder der Minister, das Kabinett, das Parlament - eine Auswahl zu treffen, eine Entscheidung zu fällen, und ansonsten die Kunstfreiheit absolut zu akzeptieren und zu lassen."
    Sagt FDP-Politiker Wolfgang Heubisch, der in Bayern mal Kunstminister war. Heubisch meint die politische Entscheidung, einen Intendanten auszuwählen oder abzuberufen. Das Verhältnis von Staat und Kunst stand im Mittelpunkt der Debatte. Vor ein paar Wochen hatten Münchner CSU-Stadträte dem Intendanten des Volkstheaters Christian Stückl gedroht. Der solle in seiner Funktion als Chef einer städtischen Bühne nicht zu einer Demonstration gegen die CSU aufrufen. Titel: "Ausgehetzt". Stückl erklärte auf dem Podium sein Verständnis von Kunstfreiheit.
    "Ich stelle an mich selber schon den Anspruch, dass wenn mich was provoziert, dann muss ich auch irgendwie theatermäßig darauf reagieren."
    Aber ist eine politische Demonstration eine theatermäßige Reaktion? Und welche Provokation rechtfertigt Intervention?
    Schwierige Definition von Anstand
    "Letztens hat ein Münchner Theatermensch gesagt, der Mesut Özil soll doch hoam in die Pampas gehen. Wo ich sag', das geht als Theatermensch auch ned. Auch wir dürfen nicht alle Grenzen überschreiten. Ich glaub', es ist ganz wichtig, dass wir nicht sagen: 'Alles, was wir sagen, ist frei.' Die Politik darf nicht alles, aber wir dürfen alles. Das geht auch ned. Auch wir sind irgendwie an den Anstand gebunden."
    Der Anstand - ist leider nicht ganz einfach zu definieren. Podiums-Teilnehmer Thomas Goppel, einst Kunstminister unter Edmund Stoiber, sah vor Jahren den Anstand verletzt, als die Satirezeitschrift Titanic eine Papst-Karikatur veröffentlichte. Goppel sagte damals, er würde Titanic-Chefredakteur Leo Fischer persönlich "die Lizenz zum Schreiben entziehen" wollen.
    "Würden Sie sagen, dass das damals Zensur war?" "Nein" "Dass sie sagten, sie würden ihm das Schreiben entziehen?" "Das ist keine Zensur, denn ich kann's nicht."
    Goppel argumentierte, er könne und wolle Stückl ja nicht verbieten, seine politische Haltung als Privatmann bei einer Demonstration zu äußern. Er frage sich aber, ob Stückl in seiner Funktion als Intendant des Volkstheaters für sein komplettes Ensemble samt Technikern und Bühnen-Mitarbeitern sprechen könne. Ob er eine politische Entscheidung für andere treffen dürfe. Nämlich die, gegen die CSU und für "Ausgehetzt" zu sein. Stückl sagt:
    "Erstmal würde ich immer versuchen, jemanden von zu überzeugen. Aber ansonsten weiß ich, dass auch in meinem Theater - wir sind ja nicht ein Haufen von ganz Homogenen, die immer einer Meinung sind - es gibt da auch Meinungsvielfalt. Also muss ich als Theaterleiter viele Meinungen zulassen."