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Münchner Kammerspiele
Affentheater

Anta Helena Recke, der Shootingstar der deutschen Theaterszene, holt für "Die Kränkung der Menschheit" Schauspieler als Affen auf die Bühne. Die engsten Verwandten des Homo sapiens und das Publikum starren einander an. Ein spielerischer Abend, der nach der angemessenen Perspektive fragt.

Von Sven Ricklefs | 27.09.2019
mehrere Schauspieler agieren in einem leicht erhöt stehenden, gläsernen Kubus, nur mit hautfarbenen Hosen bekleidet, wie Affen in einem Käfig.
Sicher hinter Glas: die menschliche Affenhorde auf der Bühne der Münchner Kammerspiele (Gabriela Neeb / Münchener Kammerspiele)
Die Darwin’sche Entdeckung, dass der Mensch vom Affen abstammt, bezeichnete Sigmund Freud als eine der Kränkungen, die der "naive menschliche Narzissmus" durch den wissenschaftlichen Fortschritt erlitten habe. Daneben stellte er die Erkenntnis des Kopernikus, dass nicht die Erde und damit auch nicht der Mensch das Zentrum des Alls sei, sondern die Sonne. Um dann – wie auch sonst – als dritte menschliche Kränkung das von ihm selbst definierte Unbewusste anzuführen, über dessen Triebe der Mensch keine Gewalt hat.
In Anta Helena Reckes "Kränkungen der Menschheit" nun erobert sich zunächst eine kleine Horde Affen den Bühnenraum. Oder besser gesagt: Sechs Darsteller in hautfarbener Unterwäsche hoppeln kreischend herum, kratzen sich überall, wo es notwendig ist, und geben dem Affen Zucker. Schließlich bevölkern sie auch den kleinen Kubus, der wie eine Art Vitrine in der Mitte der Bühne steht. Ein Mann im hellen Kittel bändigt sie dort mit sanfter Geste zum Affenstillleben.
Vom Käfig ins Museum
Doch bald schon sind sie wieder unterwegs. Und da ist noch jene andere Gruppe, die sich wie westlich moderne Museumsbesucher durch den Raum bewegt, imaginäre Kunstwerke betrachtet, dabei zwar der sie umhopsenden Affen gar nicht gewahr wird, sich dafür aber ein Bild erklären lässt, auf dem ausgerechnet Affen die Hauptrolle spielen: Gabriel Cornelius von Max‘ "Affen als Kunstrichter" von 1889:
"Zu sehen sind 13 Affen, die sich auf einer Holzkiste sitzend, wiederum auch vor einem Gemälde versammelt haben. Die Holzkiste füllt den unteren rechten Teil des Bildes, das Gemälde befindet sich am linken äußeren Bildrand."
Es ist ein Abend der sich überlagernden Bilder, den Anta Helena Recke da mit ihren "Kränkungen der Menschheit" auf die Bühne installiert. Während die Zuschauer die Darwin’schen Affen auf der Bühne betrachten, blicken diese schließlich aus der Vitrine zurück. Und während die Museumsbesucher sich die "Affen als Kunstrichter" erklären lassen, schauen wir ihnen vermeintlich kunstrichtend zu. Wer wen aus welcher Perspektive und mit welchen vorgefassten Urteilen in den Blick nimmt oder aber auch nicht, wird immer wieder verschoben. Besonders deutlich wird das, als die Gruppe der Museumsbesucher über eine Videoinstallation diskutiert, in der thailändische Reisbauern einen van Gogh betrachten und dabei in alle Fettnäpfchen westlich-bürgerlichen Überheblichkeitsgebarens stapft:
"Das ist ja auch egal, vielleicht geht’s auch einfach nur um: Hey, das ist das, was bei uns 100 Millionen Euro kostet! Und für die ist das einfach nur ein Bild. Die schauen sich das an, labern sich einen ab und lachen. Und das hat einfach nicht denselben Wert dann. Und das ist einfach nur total angenehm, da zuzugucken, wie die da vor dem Bild sitzen und beschreiben, was sie sehen, was sie denken. Ich mag einfach, das anzugucken. Ich finde, das muss man auch gar nicht großartig werten."
Weiße, männlich, christlich, europäische Perspektive
Mit ihrem Konzepttheater geht Recke von der Definition einer weiteren Kränkung aus: derjenigen nämlich, dass all jene so schön von Freud apostrophierten Kränkungen einzig aus einer weißen, männlich, christlich, europäischen Perspektive heraus formuliert sind, in der der große Rest der Welt in all seinen Nuancen schlichtweg nicht vorkommt.
Bei Anta Helena Recke kommt dieser Rest vor, zumindest ein selbstbewusster Teil davon. Am Schluss der knapp einstündigen Performance bevölkern zwei Dutzend "Women of Color" und Frauen mit Kopftuch in farbiger Ethnokleidung die Bühne: zunächst als Museumsgrüppchen, später dann in einer Art zeitlupenhaft durcheinanderschreitenden Prozession, die diesem sonst so spielerischen Abend einen fast pathetischen Nachdruck verleiht.