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Münchner Metropoltheater
Komödiantentum mit inhaltlicher Tiefe

Jochen Schölch inszeniert nach einem Drehbuch von Jacques Prévert "Kinder des Olymp". Das bunte Treiben wird begleitet von zwei Live-Musikern mit Klarinette und Akkordeon, was die atmosphärische Dichte noch mal verstärkt und das Spieltempo anheizt. Nur sieben Schauspieler müssen, insgesamt 22 Rollen spielen, was sie, fulminant mit Verve und Spielfreude bewältigen.

Von Rosemarie Bölts | 12.07.2014
    Ein roter Theatervorhang
    Es ist bis zum Tumult viel los vor und hinter den Kulissen, was hier heißt, vor und hinter dem weinroten Samtvorhang. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Eigentlich hätte das Spektakel ja im Park stattfinden sollen. "Kinder des Olymp" unter freiem Himmel, wie in Marcel Carnés Film von 1945. Aber das Wetter - kalt und nass - machte einen Strich durch die Rechnung, sodass die erste "Open-Air-Aufführung" des Münchner Metropoltheaters dann doch wieder im kahlen und streng begrenzten, ehemaligen Kinosaal stattfand. Die Bühne, ein dunkles Bretterboden-Podest mit nichts als einem von einer Seite bis zur anderen reichenden, weinroten Samtvorhang, wäre sowieso dieselbe gewesen. Alles andere auch:
    "Kommen Sie und sehen Sie die größte Pantomime, Exotik, Pyrotechnik! Und sehen Sie mich selbst, den einzige...!"
    Und schon, Regisseur Jochen Schölchs bildstarker Inszenierungskunst sei Dank, befindet man sich mitten im Gemenge von Straßentheater und Variété im Paris des 19. Jahrhunderts, von dem das Stück handelt. Teils maßlos übertrieben, immer unterhaltsam und manchmal sehr komisch. Ein Stelzenmann im Harlekinkostüm, der den Conférencier spielt, zwei Statisten als Löwe und Frosch verkleidet, Artisten, ein "Othello" mit pechschwarzer Schuhwichse im Gesicht, Straßenverkäufer, Bettler, Gauner, Adlige und mehr oder weniger frivole "Damen" - es ist bis zum Tumult viel los vor und hinter den Kulissen, was hier heißt, vor und hinter dem weinroten Samtvorhang. Mal wird eine Öffnung gerafft und der Blick frei auf eine Loge. Oder andersrum. Vorn ist die Theaterkulisse, und durch die Vorhangöffnung sieht man auf die imaginäre Bühne, wo sich die Darsteller verbeugen und sich den Applaus aus dem Off abholen:
    Mal lugen über kleinen Blumenkästen schaulustige Anwohner aus den Falten des Vorhangs hervor. Dann ist der Bretterboden Bürgersteig. Mal liegen weiße Laken auf dem Boden. Dann sind das die vermieteten Zimmer der billigen Absteige von „Mme Hermine" im maßlos auf-gepolsterten Fatsuit, und man kann förmlich das Heruntergekommene riechen, wenn sich in den Laken die Paare wälzen. Allein dadurch, dass ein kleiner, rot-weißer Ball unter dem Vorhang nach vorn kullert, hat man die Zeitspanne von sechs Jahren überwunden, in denen ein Kind aufwächst. Das Theater im Theater ist das eine. Das andere ist die immer gleiche Geschichte um Liebe, Glaube, Hoffnung und Enttäuschung, ein Thema so alt, wie das Theater selbst und hier als literarischer Erguss von "Pierre-Francois", im Hauptberuf Mörder und einer von vielen Verehrern von "Garance", von ihr also aus seinem Heft vorgelesen:
    "Du meine Liebe und mein Leben. Du meine ewige Liebe. - Ja. - Seit du von mir gegangen bist, schleppe ich die Last meiner Tage wie der Sträfling seine Ketten"
    Bühnensituation ist minimalistisch karg angelegt
    Das bunte Treiben wird begleitet, kommentiert und pointiert von zwei Live-Musikern mit Klarinette und Akkordeon, was die atmosphärische Dichte noch mal verstärkt und das Spieltempo anheizt. Nicht nur die Bühnensituation ist, wie bei Schölch üblich, minimalistisch karg angelegt. Auch die nur sieben Schauspieler müssen, damals wie heute, mangels finanzieller Möglichkeiten insgesamt 22 Rollen spielen, was sie, wie üblich in diesem Theater, fulminant mit Verve und Spielfreude bewältigen.
    Slapstick-Situationskomik ist angesagt, Slow-Motion-Gags, reines Körpertheater. Zum Schluss gibt es nur Verlierer: die hilflos wild imaginär auf "Baptiste" einschlagende, weil um die Liebe betrogene Ehefrau, die wie eine Blume zusam und von Schuld gepeinigte "Garance", der auf der Stelle ihr Nachlaufende, ihren Namen schreiende "Baptiste". Ein starkes Bild, das sich einbrennt. In dieser Balance zwischen Poesie und Drastik zu schweben und gleichzeitig bei allem Komödiantentum inhaltliche Tiefe aufzuzeigen, ohne seine Protagonisten zu verraten, das ist Jochen Schölch nicht nur gelungen. Das hier ist Spitzenklasse.