"Ich kenn keine Bierbikes in Frankfurt …. Was sind Bierbikes …?"
Prof. Martina Löw lehrt in Darmstadt Soziologie, wohnt in Frankfurt und - kennt keine Bierbikes. In Köln wiederum, der Heimat des Deutschlandfunks, sieht man sie ständig im Zentrum: diese rollenden Kneipen, auf denen bis zu 16 Menschen rund um eine Theke sitzen und zugleich in die Pedale treten, gelenkt von einem Steuermann. Passanten wie Autofahrer verdrehen genervt die Augen angesichts dieser Großfahrräder, von denen meistens noch Musik schallt und die zudem den Verkehr aufhalten. Köln ist eine der Hauptstädte des Bierbikes. Ob Offenbacher Junggesellenabschiede, Andernacher Kegelclubs, Koblenzer Betriebsausflüge – sie alle wollen nach Köln – aufs Bierbike. Denn Köln ist die Spaßstadt! In Köln - ist immer Karneval!
"Sie haben den Karneval, … und den Kölner Klüngel. Aber ich glaube, am Wichtigsten ist, dass es auf der Alltagsebene Unterschiede gibt. Z.B. gibt es Lieder über Köln, aber es gibt ganz wenige Lieder über Frankfurt, es gibt eigentlich keine Liedkultur. Und an solchen Dingen merken Sie, dass die Städte so eine Art Eigenleben entwickeln, wir sprechen von der Eigenlogik der Städte. Und das bedeutet, dass es Routinen gibt, die spezifisch sind für diese Städte. "
Martina Löw ist Koordinatorin des Forschungsschwerpunkts "Eigenlogik der Städte" an der Technischen Universität Darmstadt. Das interdisziplinäre Projekt erforscht, was Städte jeweils charakterisiert – und voneinander unterscheidet. Prof. Helmuth Berking, ebenfalls Mitglied im Forschungsverbund:
"Eigenlogik, … das schließt an unser selbstverständliches Alltagswissen an, dass Hamburg nicht München ist, das wissen wir … Warum weiß das die Wissenschaft nicht? Warum interessiert sich die Stadtforschung nicht?"
Gewöhnlich untersucht man Städte, um etwas über ihre Geschichte, ihre Politik oder ihr ökonomisches Potenzial herauszufinden. Martina Löw hingegen interessiert sich für die Stadt selbst. Wie "tickt" eine Stadt und wie prägen ihre Eigenschaften die Bewohner?
"Wenn Sie sich die Christopher Street Parade ansehen in Frankfurt, Berlin, in Köln. In Köln wird wieder Karneval gefeiert, in Frankfurt ist es relativ ernst, … mit viel politischer Diskussion, mit sehr starken Akzenten auch, Platz schaffen für Trauer für die Toten durch Aids. Und in Berlin ist es eine sehr stark an konsumorientierte Parade, die ja auch gerade den Kudamm nutzt als ne Folie, um zu feiern. "
Schafft jede Stadt mit ihren historischen, baulichen und sozialen Besonderheiten ein je eigenes kulturelles Klima? Ein Klima, von dem Arm und Reich, aber auch Alteingesessene wie Neuzugezogene gleichermaßen erfasst werden?
"Könnte es sein, dass Armut in München anders gelebt wird als in Hamburg, dass all die großen Kategorien lokalspezifisch eingefärbt werden? … Also verkehrstechnische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Geschwindigkeit in verschiedenen Städten unterschiedlich ist. Man geht in Braunschweig schneller als in Stuttgart, in Hamburg schneller als in Saarbrücken. Was bedeutet das? Die Herzinfarktrate ist in Stuttgart am höchsten und es gibt Städte, da ist sie vernachlässigungsfähig. Heißt das was?"
Mit Mitarbeitern untersuchte Helmuth Berking die Eigenarten von Bremerhaven und Rostock. Beide Hafenstädte teilen das Schicksal der Deindustrialisierung, gelten als Hochburgen der Rechtsradikalen und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Allerdings: ist es wirklich überraschend, dass beide Städte, so das Forschungsergebnis, verschieden "ticken"? Rostock nämlich, die alte Hansestadt mit ihrem frisch restaurierten mittelalterlichen Stadtkern, das Seebad Warnemünde vor der Tür, gibt sich optimistisch. Als Touristenmagnet! Dagegen Bremerhaven: gegründet 1827 war der vorgelagerte Hafen Bremens immer eine graue Arbeiterstadt. Zwar gibt es auch hier Versuche, sich vor allem für Touristen "neu zu erfinden". Und doch bleibt die Stadt "menschenleer, ausgeblutet" geprägt von Industrieruinen, Brachen, zu groß geratenen Straßen. Der alte Hafen wird nicht mehr von Schiffen angefahren, der gänzlich unromantische Containerhafen dagegen verlagert sich mehr und mehr weg von der Stadt zur Nordsee hin. Dass die Grundstimmung der Stadt hier eher pessimistisch ist – wen wundert’s?
"Sie müssen sich einfach vorstellen, was das für Politikmachen bedeutet, was das für Wirtschaftsentwicklung bedeutet, wenn in Bremerhaven die Grundidee vorherrscht, dass man den wirtschaftlichen Aufschwung nur schaffen kann, wenn man Leute von außen holt, während man in Rostock die Idee hat, dass wirtschaftlicher Aufschwung funktioniert, wenn man lokale Potentiale stärkt. Und … das bedeutet, alle Zukunftsoptionen unterscheiden sich komplett."
Ist es erstaunlich, wie Martina Löw in ihrem Buch "Die Soziologie der Städte" beschrieb, dass Leipzig - als alte Universitätsstadt, Messestadt zu DDR-Zeiten und mit historischer Bausubstanz - Strukturwandel und Schrumpfung besser überstand als Duisburg, das von Eisen- und Stahlindustrie geprägt wurde? Worin also liegt der Erkenntnisgewinn des Projektes?
"Also interessant ist eigentlich nicht der Vergleich zwischen zwei Städten, sondern … wie diese Städte ticken, wie ihr Alltagsleben organisiert ist. Interessant ist, dass unser Alltagsleben von dieser Besonderheit geprägt wird. Also unsere Entwicklungschancen sind in den Städten einfach unterschiedlich. Also, ob Sie in Leipzig aufwachsen oder ob Sie in Dortmund aufwachsen oder in Frankfurt, heißt einfach, dass Lebensbedingungen unterschiedlich geformt sind. Und deswegen sind die Dinge nicht nur auf der Ebene interessant, weiß man ja, ist halt so. Sondern, das zu verstehen."
In mehreren Teilprojekten nähern sich die Darmstädter Wissenschaftler den Eigenarten verschiedener Metropolen. Da wird die Präsentation verschiedener Städte im Kriminalroman untersucht, die Art, wie Städte sich selbst in Szene setzen und vermarkten. Und auch, wie sich die Strukturen von Städten im jeweiligen – Friseurwesen zeigen.
"Wir untersuchen vier Städte, Birmingham, Glasgow, Dortmund und Frankfurt …..Der springende Punkt ist, das systematisch zu erfassen, was für die eine Stadt sich durch alle Bereiche durchzieht und damit so was schafft wie einen Kontext, der bestimmte Handlungen ganz selbstverständlich nahe legt und andere verschließt. Und man in Birmingham dann überhaupt nicht auf die Idee kommt, anders einen Friseursalon zu betreiben als auf die birminghamtypische Art und Weise."
Systematisch werden deshalb alle Friseure einer Stadt erfasst. Und darüber hinaus sitzen die Wissenschaftler dann tagelang in Friseursalons und praktizieren, so der terminus technicus, "teilnehmende Beobachtung":
"Wir versuchen zu verstehen, was genau in der Kundenbetreuung, in der Art wie man einen Salon führt, welche Haarschnitte nachgefragt werden, … in dieser Stadt typisch ist. …. Es gibt Städte, da wollen die Frauen, wenn sie vom Friseur kommen, aussehen, als wären sie gerade beim Friseur gewesen und in anderen wollen sie auf jeden Fall so aussehen, als wären sie nicht beim Friseur gewesen. … In Frankfurt ist es klar, es gibt ne starke Tendenz, dass man nicht sehen soll, dass man beim Friseur war, ein Understatement, während wir bei den britischen Fällen und vor allem Birmingham Hinweise darauf haben, dass man das sehen soll."
Aha! Vor ein paar Wochen erschien in der Los Angeles Times ein viel beachteter Artikel über die sogenannte "Duh-Science". Zu Deutsch etwa: "Sag bloß Forschung". Gemeint sind damit Forschungsergebnisse, die letztlich Offensichtliches zu Tage befördern. Etwa, dass 80jährige Frauen eine größere Vorliebe für Dauerwellen zeigen als 40jährige.
Könnte es sich bei dem Projekt "Eigenlogik der Städte" um eine Art "Duh-Science" handeln?
Seit 2008 jedenfalls wird geforscht. Und gerade wurde das Projekt um weitere zwei Jahre verlängert.
Prof. Martina Löw lehrt in Darmstadt Soziologie, wohnt in Frankfurt und - kennt keine Bierbikes. In Köln wiederum, der Heimat des Deutschlandfunks, sieht man sie ständig im Zentrum: diese rollenden Kneipen, auf denen bis zu 16 Menschen rund um eine Theke sitzen und zugleich in die Pedale treten, gelenkt von einem Steuermann. Passanten wie Autofahrer verdrehen genervt die Augen angesichts dieser Großfahrräder, von denen meistens noch Musik schallt und die zudem den Verkehr aufhalten. Köln ist eine der Hauptstädte des Bierbikes. Ob Offenbacher Junggesellenabschiede, Andernacher Kegelclubs, Koblenzer Betriebsausflüge – sie alle wollen nach Köln – aufs Bierbike. Denn Köln ist die Spaßstadt! In Köln - ist immer Karneval!
"Sie haben den Karneval, … und den Kölner Klüngel. Aber ich glaube, am Wichtigsten ist, dass es auf der Alltagsebene Unterschiede gibt. Z.B. gibt es Lieder über Köln, aber es gibt ganz wenige Lieder über Frankfurt, es gibt eigentlich keine Liedkultur. Und an solchen Dingen merken Sie, dass die Städte so eine Art Eigenleben entwickeln, wir sprechen von der Eigenlogik der Städte. Und das bedeutet, dass es Routinen gibt, die spezifisch sind für diese Städte. "
Martina Löw ist Koordinatorin des Forschungsschwerpunkts "Eigenlogik der Städte" an der Technischen Universität Darmstadt. Das interdisziplinäre Projekt erforscht, was Städte jeweils charakterisiert – und voneinander unterscheidet. Prof. Helmuth Berking, ebenfalls Mitglied im Forschungsverbund:
"Eigenlogik, … das schließt an unser selbstverständliches Alltagswissen an, dass Hamburg nicht München ist, das wissen wir … Warum weiß das die Wissenschaft nicht? Warum interessiert sich die Stadtforschung nicht?"
Gewöhnlich untersucht man Städte, um etwas über ihre Geschichte, ihre Politik oder ihr ökonomisches Potenzial herauszufinden. Martina Löw hingegen interessiert sich für die Stadt selbst. Wie "tickt" eine Stadt und wie prägen ihre Eigenschaften die Bewohner?
"Wenn Sie sich die Christopher Street Parade ansehen in Frankfurt, Berlin, in Köln. In Köln wird wieder Karneval gefeiert, in Frankfurt ist es relativ ernst, … mit viel politischer Diskussion, mit sehr starken Akzenten auch, Platz schaffen für Trauer für die Toten durch Aids. Und in Berlin ist es eine sehr stark an konsumorientierte Parade, die ja auch gerade den Kudamm nutzt als ne Folie, um zu feiern. "
Schafft jede Stadt mit ihren historischen, baulichen und sozialen Besonderheiten ein je eigenes kulturelles Klima? Ein Klima, von dem Arm und Reich, aber auch Alteingesessene wie Neuzugezogene gleichermaßen erfasst werden?
"Könnte es sein, dass Armut in München anders gelebt wird als in Hamburg, dass all die großen Kategorien lokalspezifisch eingefärbt werden? … Also verkehrstechnische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Geschwindigkeit in verschiedenen Städten unterschiedlich ist. Man geht in Braunschweig schneller als in Stuttgart, in Hamburg schneller als in Saarbrücken. Was bedeutet das? Die Herzinfarktrate ist in Stuttgart am höchsten und es gibt Städte, da ist sie vernachlässigungsfähig. Heißt das was?"
Mit Mitarbeitern untersuchte Helmuth Berking die Eigenarten von Bremerhaven und Rostock. Beide Hafenstädte teilen das Schicksal der Deindustrialisierung, gelten als Hochburgen der Rechtsradikalen und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Allerdings: ist es wirklich überraschend, dass beide Städte, so das Forschungsergebnis, verschieden "ticken"? Rostock nämlich, die alte Hansestadt mit ihrem frisch restaurierten mittelalterlichen Stadtkern, das Seebad Warnemünde vor der Tür, gibt sich optimistisch. Als Touristenmagnet! Dagegen Bremerhaven: gegründet 1827 war der vorgelagerte Hafen Bremens immer eine graue Arbeiterstadt. Zwar gibt es auch hier Versuche, sich vor allem für Touristen "neu zu erfinden". Und doch bleibt die Stadt "menschenleer, ausgeblutet" geprägt von Industrieruinen, Brachen, zu groß geratenen Straßen. Der alte Hafen wird nicht mehr von Schiffen angefahren, der gänzlich unromantische Containerhafen dagegen verlagert sich mehr und mehr weg von der Stadt zur Nordsee hin. Dass die Grundstimmung der Stadt hier eher pessimistisch ist – wen wundert’s?
"Sie müssen sich einfach vorstellen, was das für Politikmachen bedeutet, was das für Wirtschaftsentwicklung bedeutet, wenn in Bremerhaven die Grundidee vorherrscht, dass man den wirtschaftlichen Aufschwung nur schaffen kann, wenn man Leute von außen holt, während man in Rostock die Idee hat, dass wirtschaftlicher Aufschwung funktioniert, wenn man lokale Potentiale stärkt. Und … das bedeutet, alle Zukunftsoptionen unterscheiden sich komplett."
Ist es erstaunlich, wie Martina Löw in ihrem Buch "Die Soziologie der Städte" beschrieb, dass Leipzig - als alte Universitätsstadt, Messestadt zu DDR-Zeiten und mit historischer Bausubstanz - Strukturwandel und Schrumpfung besser überstand als Duisburg, das von Eisen- und Stahlindustrie geprägt wurde? Worin also liegt der Erkenntnisgewinn des Projektes?
"Also interessant ist eigentlich nicht der Vergleich zwischen zwei Städten, sondern … wie diese Städte ticken, wie ihr Alltagsleben organisiert ist. Interessant ist, dass unser Alltagsleben von dieser Besonderheit geprägt wird. Also unsere Entwicklungschancen sind in den Städten einfach unterschiedlich. Also, ob Sie in Leipzig aufwachsen oder ob Sie in Dortmund aufwachsen oder in Frankfurt, heißt einfach, dass Lebensbedingungen unterschiedlich geformt sind. Und deswegen sind die Dinge nicht nur auf der Ebene interessant, weiß man ja, ist halt so. Sondern, das zu verstehen."
In mehreren Teilprojekten nähern sich die Darmstädter Wissenschaftler den Eigenarten verschiedener Metropolen. Da wird die Präsentation verschiedener Städte im Kriminalroman untersucht, die Art, wie Städte sich selbst in Szene setzen und vermarkten. Und auch, wie sich die Strukturen von Städten im jeweiligen – Friseurwesen zeigen.
"Wir untersuchen vier Städte, Birmingham, Glasgow, Dortmund und Frankfurt …..Der springende Punkt ist, das systematisch zu erfassen, was für die eine Stadt sich durch alle Bereiche durchzieht und damit so was schafft wie einen Kontext, der bestimmte Handlungen ganz selbstverständlich nahe legt und andere verschließt. Und man in Birmingham dann überhaupt nicht auf die Idee kommt, anders einen Friseursalon zu betreiben als auf die birminghamtypische Art und Weise."
Systematisch werden deshalb alle Friseure einer Stadt erfasst. Und darüber hinaus sitzen die Wissenschaftler dann tagelang in Friseursalons und praktizieren, so der terminus technicus, "teilnehmende Beobachtung":
"Wir versuchen zu verstehen, was genau in der Kundenbetreuung, in der Art wie man einen Salon führt, welche Haarschnitte nachgefragt werden, … in dieser Stadt typisch ist. …. Es gibt Städte, da wollen die Frauen, wenn sie vom Friseur kommen, aussehen, als wären sie gerade beim Friseur gewesen und in anderen wollen sie auf jeden Fall so aussehen, als wären sie nicht beim Friseur gewesen. … In Frankfurt ist es klar, es gibt ne starke Tendenz, dass man nicht sehen soll, dass man beim Friseur war, ein Understatement, während wir bei den britischen Fällen und vor allem Birmingham Hinweise darauf haben, dass man das sehen soll."
Aha! Vor ein paar Wochen erschien in der Los Angeles Times ein viel beachteter Artikel über die sogenannte "Duh-Science". Zu Deutsch etwa: "Sag bloß Forschung". Gemeint sind damit Forschungsergebnisse, die letztlich Offensichtliches zu Tage befördern. Etwa, dass 80jährige Frauen eine größere Vorliebe für Dauerwellen zeigen als 40jährige.
Könnte es sich bei dem Projekt "Eigenlogik der Städte" um eine Art "Duh-Science" handeln?
Seit 2008 jedenfalls wird geforscht. Und gerade wurde das Projekt um weitere zwei Jahre verlängert.