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Münchner Philharmoniker
Egmont, mir graut's vor dir

Jan Müller-Wieland ist ein durchaus vielseitiger Komponist, über den sein Lehrer Hans Werner Henze sagte, er könne beides: Komik und Trauer. Bei Goethes "Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer", der Tragödie um einen niederländischen Freiheitskämpfer, geht es allerdings weder um Komik noch um Trauer, sondern um revolutionäres Pathos und Demut vor dem Schicksal.

Von Jörn Florian Fuchs | 28.11.2014
    Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer im März 2013.
    Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Es hilft wohl nur noch eines. Man muss dringend einigen mittelalten Kompositionsprofessoren ihre Bücher wegnehmen und sie stattdessen mit dem wirklichen Leben konfrontieren. Dem Vielkomponierer Wolfgang Rihm etwa riet einst ein Kollege "Wolfgang, du brauchst eine Krise!". Wie Rihm sitzt auch Jan Müller-Wieland, in München lehrender Tonsetzer des Jahrgangs 1966, in der Auftragsfalle. Was gerade so an Arbeit hereinkommt, wird vom heimischen Ohrensessel aus brav erledigt. Im aktuellen Fall arbeitete sich Müller-Wieland an Goethes Trauerspiel "Egmont" ab. Und zwar abendfüllend, als Auftrag der Münchner Philharmoniker, die er auch selbst dirigierte.
    Nicht alles ist zu verstehen
    Das Stück handelt vom niederländischen Freiheitskampf anno 1566, der Titelheld stirbt am Ende. Im Gasteig rezitiert Klaus Maria Brandauer den "Egmont", es handelt sich um eine Sprechpartie, die zwischen hohem Ton und dadaistischem Gekichere schwankt. Nicht alles ist zu verstehen, weil einerseits die akustische Verstärkung nur begrenzt funktioniert, andererseits weil Müller-Wieland den guten Goethe mit zahllosen weiteren Textschnipseln erweitert und verschneidet. Da tauchen Karl Kraus und Georg Trakl auf, aber auch Ingeborg Bachmann, die das 'am Meer liegende Böhmen' einst bedichtete. Inhaltlich ist das ziemlich wirr, im Programmheft wird eifrig über Traumlogik und Ähnliches schwadroniert. Müller-Wielands "Egmont" gerät leider zur Kopfgeburt, die weder berührt noch intellektuell irgendeinen Mehrwert liefert.
    Mal werden Bach, Beethoven oder Mahler vorsichtig zitiert
    Die Besetzung immerhin ist riesenhaft: großes Orchester, großer Chor, Orgel, Sopran und Sprecher. Zu hören ist leider wiederum fast ausschließlich Oberstübchenmusik, mal werden Bach, Beethoven oder Mahler vorsichtig zitiert, vor allem aber hört man den einschlägigen Müller-Wieland-Sound. Scharfe Kontraste treten hervor, heftige Klangwolken entladen sich. Während Brandauer spricht, sind oft Geräusche oder Liegetöne zu vernehmen. Lediglich für die wunderbare Sopranistin Claudia Barainsky hat der Komponist etliche schöne, warme, glühende Passagen geschaffen.
    Orgelpart hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck
    Partitur-technisch gesehen ist dieser "Egmont" perfekt gearbeitet und die Philharmoniker machen ihre Sache gut. Unter die Haut gehende Momente bleiben allerdings rar. Als Egmont einem Chor seiner ungeborenen Enkel begegnet, schüttelt man zwar den Kopf über so viel prätentiösen Pomp, doch musikalisch geht es zur Sache in Form einer Chinoiserie mit einem Hauch Salvatore Sciarrino. Der Orgelpart hinterlässt durch zahllose kraftmeierische Sentenzen einen zwiespältigen Eindruck, der Philharmonische Chor München bewältigt seine Aufgaben, von gehetztem Keuchen bis grobem Brüllen, mit Bravour.
    Die Münchner Philharmoniker befinden sich nicht erst seit dem Rücktritt und dem bald darauf folgendem Tod von Lorin Maazel sowie den Querelen um den designierten Chefdirigenten Walery Gergiev in einer massiven Krise. Schon lange wird über das künstlerische Profil des Orchesters diskutiert. Das Repertoire ist begrenzt, Neue Musik gibt es kaum. Es wäre dringend eine Frischzellenkur nötig. Müller-Wielands "Egmont" führt da leider in die falsche Richtung.