Archiv


Müntefering erwartet Verkauf der Hanauer Atomfabrik an China

Capellan: Franz Müntefering, in den letzten Tagen ist ja viel geschrieben worden über Sie – Außergewöhnliches, wenn es um Ihr Gewicht in der Partei ging. Das hatte ja schon ein bisschen religiöse Züge, kann man fast sagen: Der Messias der SPD, der Heilsbringer der Genossen, der sie wieder aus dem Tal der Tränen bringen soll. Wir wissen jetzt auch, dass es einen zweiten ‚Kaiser Franz’ gibt. Da ruhen ja große Erwartungen auf Ihnen. Freut Sie das, oder macht das auch ein bisschen Angst?

    Müntefering: Nun, erst einmal freut es einen natürlich, wenn man Anerkennung findet und wenn man merkt, dass die Partei auf einen hört oder viele in der Partei auf einen hören. Alles andere wäre ja auch komisch. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch alles ein bisschen übertrieben, das weiß ich auch, und da muss man realistisch sein dabei. Das kann ich nicht alleine, und das will ich auch gar nicht alleine. Viele andere helfen mit dabei. Wir sind jedenfalls in der Partei in einer ganz entscheidenden Phase. Wir können hinkriegen und wir müssen hinkriegen die gesellschaftlichen Innovationen, um die es in diesem Jahrzehnt geht, zu vermitteln und erkennbar zu machen und deutlich zu machen: Was wir machen, ist soziale und demokratische Politik.

    Capellan: Nächste Woche haben wir den Showdown im Vermittlungsausschuss, das prophezeien viele – am 10. Dezember. Da geht es ja auch um Ihr Gewicht, was Sie im Zuge der Verhandlungen da einbringen können. Was kann Franz Müntefering da reißen – mit Blick auf diesen wichtigen Tag?

    Müntefering: Es gibt eine Reihe von Fraktionsmitgliedern, die Mitglied sind im Vermittlungsausschuss. Man ist informiert über das, was da stattfindet, man gibt seine Kommentare dazu und ist bei den Vorgesprächen und Rückgesprächen mit dabei. Also, wir nehmen als Fraktion, wie die Bundesregierung, wie die Partei natürlich gemeinsam Einfluss auf das, was das Ergebnis sein soll. Wir wollen ein Ergebnis haben.

    Capellan: Kommt die vorgezogene Steuerreform zum 1. Januar?

    Müntefering: Ich hoffe, unverändert. Ich glaube, dass das möglich ist. Um die Dimension mal deutlich zu machen: Das würde bedeuten – wenn sie kommt –, dass eine Familie mit zwei Kindern, die 3.137,00 Euro im Monat verdient, keine Steuern mehr zahlen muss. Und das, finde ich, ist schon eine Größenordnung, um die es sich lohnt, zu streiten. Die Union, auch Frau Merkel, sagt ja immer: Ja, im Prinzip sind sie dafür, es kommt auf die Frage der Finanzierung an. Da hat ja Herr Stoiber sehr willkürlich 25 Prozent Fremdfinanzierung für möglich erklärt. Jedenfalls eines geht nicht, was sich bei der Union jetzt im Moment da abspielt. Man kann nicht sagen, ‚Steuerreform vorziehen wäre schön, zweitens: Neue Schulden machen darf man nicht. Drittens: Aber Subventionsabbau stimmen wir nicht zu’. Das ist ein Dreieck, das nicht zueinander stimmt, da ist eine Menge Heuchelei im Spiel.

    Capellan: Ja, und dann kommt noch was anderes hinzu, dass die Union eben sagt: Wir stimmen dem nur zu, wenn auch die Reformen auf dem Arbeitsmarkt noch mal unter die Lupe genommen werden. Warum sträubt sich die SPD dagegen?

    Müntefering: Nun, weil die beiden Dinge erstens nichts miteinander zu tun haben und weil zum Zweiten die Tarifhoheit in unserem Grundgesetz verankert ist. Da steht, dass die Tarifparteien – Arbeitgeber, Arbeitnehmer – die tarifrechtlichen Fragen zu klären haben. Und die, die da die Hoheit haben im Tarifrecht, die haben auch die Hoheit, darüber zu entscheiden, unter welchen Bedingungen sie abweichen von dem, was sie gemeinsam beschlossen haben. Das tun sie ja auch, da gibt es jeden Tag Dutzende von Fällen.

    Capellan: Ja, aber haben wir denn Gerhard Schröder falsch verstanden, der noch am 14. März gesagt hat: ‚Strukturreformen und Steuererleichterungen, all das gehört schon zusammen’?

    Müntefering: Nun, er hat deutlich gemacht, dass das, was in einigen Branchen schon gut klappt, in allen Branchen klappen muss. Aber das tut es ja auch. Die Tarifparteien – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – sind ja auf beiden Seiten dabei, im Alltag diese Bündnisse für Arbeit auch zu praktizieren. Entscheidend ist nur, dass nicht das passieren darf, was die Merzens und die Westerwelles sich wünschen – ich weiß nicht, wie Frau Merkel das wirklich sieht –, aber Merz und Westerwelle wünschen sich natürlich, dass die Gewerkschaften klein gemacht werden, dass deren Macht gebrochen wird. Und das wäre nicht gut für die Demokratie bei uns.

    Capellan: Also die Tarifautonomie ist nicht verhandelbar?

    Müntefering: Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit. Ich glaube, wenn man ein Bundesgesetz machen würde, das wäre rechtlich hoch problematisch und würde vor deutschen Gerichten nicht halten. Das ist ja nicht nur meine Meinung, sondern da gibt es ja inzwischen auch in der CDU welche, wie Herr Ahrentz von der CDA, die da große Bedenken haben.

    Capellan: Sie hoffen wahrscheinlich darauf, dass sich da wirklich die Tarifpartner freiwillig einigen. Das sieht aber im Moment nicht danach aus. Den Gefallen wollen Sie Ihnen wohl nicht tun.

    Müntefering: Nun, die Praxis, die es gibt, funktioniert in den meisten Branchen. Die Frage ist, ob sie eine weitergehende Vereinbarung treffen, dass sie das flächendeckend für alle Branchen so haben wollen. Ich hoffe, dass das noch zustande kommt. Aber ich glaube auch, dass die Verhandlungen der letzten Tage genau in dieser Phase belastet waren. Ich setze jedenfalls auf Freiwilligkeit.

    Capellan: Auch da hat doch Schröder gesagt: ‚Freiwillig gut und schön, aber wenn es nicht klappt, dann muss der Gesetzgeber aktiv werden’. Ist jetzt der Punkt noch nicht gekommen, oder?

    Müntefering: Doch, es klappt ja, man muss ja sehen, was im Laufe dieses Jahres passiert ist. Ich sage noch einmal: Es ist nicht wahr, dass da nicht Bündnisse für Arbeit entstünden, sondern sie entstehen an vielen Stellen. Was nicht passieren darf, und das ist das eigentliche Wollen von Merz und Westerwelle: Dass mit einem solchen Gesetz flächendeckend Löhne herunter geholt werden können. Das ist keine Sache für Bündnisse für Arbeit, sondern das ist eine Sache, die in den Tarifverhandlungen behandelt werden muss. Und sie wollen, dass die Gewerkschaften keine Macht mehr haben, in der Breite zu organisieren. Das wäre aber schlecht. Ich glaube, es gehört zur Demokratie dazu, dass man Arbeitnehmerinteressen erstreiten kann. Und das ist ein Stück Demokratie.

    Capellan: Es gibt also keine Möglichkeit für Sie, im Rahmen eines Gesetzes zu sagen, dass eben genau das nicht passiert, dass flächendeckend die Löhne gedrückt werden, sondern dass es wirklich nur um Notsituationen einzelner Betriebe geht? Das könnte man doch aber auch gesetzlich festlegen, oder nicht?

    Müntefering: Nein, weil im Grundgesetz steht, dass die Tarifhoheit bei den Tarifparteien liegt. Die müssen entscheiden, unter welchen Bedingungen man abweichen kann von den Flächentarifen, von den Branchentarifen, die man macht.

    Capellan: Das können Sie ja ändern mit der Union; mit einer Zweidrittelmehrheit kann man auch das verändern.

    Müntefering: Ja, aber daran haben wir kein Interesse, das zu ändern. Nein.

    Capellan: Dann lassen Sie uns die Linie abklopfen. Wo kann man der Union entgegen kommen? Beim Kündigungsschutz?

    Müntefering: Es wird alles verhandelt, was auf dem Tisch liegt, über alles wird gesprochen. Und dazu gehören all die Gesetze, um die es jetzt geht. Es wäre aber natürlich völlig falsch, unsererseits zu sagen: An der und der Stelle akzeptieren wir ohne weiteres eine Veränderung. Unsere Ideallinie ist die, die wir in dem Gesetz liegen haben. Und deshalb sage ich noch mal: Es macht gar keinen Sinn, öffentlich oder auch intern Angebote zu machen unsererseits, wo man denn verhandeln könnte oder verhandeln sollte, sondern die Kochs und die Merkels müssen sagen, was sie wollen. Was wollen sie konkret?

    Capellan: Gut, Sie versuchen ja abzuklopfen, wo man sich entgegenkommen könnte. Also ich habe den Eindruck: Nach vielem, was man aus der SPD hört, wäre das ein Punkt – Kündigungsschutz –, dass man da auf die Union zukommen könnte. Bei der Tarifautonomie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, überhaupt nicht.

    Müntefering: Ja, weil es da überhaupt nicht geht. Das habe ich eben versucht, klarzumachen. Das ist mit unserem Grundgesetz überhaupt nicht in Übereinstimmung zu bringen. Und alle anderen Dinge, alle anderen Dinge werden verhandelt und werden besprochen. Es ist deshalb so schwierig – wir haben einen Punkt herausgegriffen, darüber zu sprechen, weil da der Eindruck entsteht, das sei etwas, was man leicht hingeben wollte. Nein, nein.

    Capellan: Also gut, dann nehmen wir einen anderen: Zusammenlegung Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Da kommt jetzt ein neuer Vorschlag von Roland Koch aus Hessen, dass man sagt: Die Langzeitarbeitslosen, also die künftigen Sozialhilfeempfänger, die kommen in die Obhut der Länder, nicht mehr in die der Kommunen und auch nicht in die der Bundesanstalt für Arbeit, so wie es die SPD möchte.

    Müntefering: Das ist völlig verrückt. Also, wir haben eine Bundesanstalt für Arbeit, das ist ein großes Unternehmen. Da wird gerade eine gute Agentur raus gemacht, und es ist klar: Da muss das auch angedockt sein. Dass es eine gute intensive Zusammenarbeit mit den Kommunen geben muss, ist auch klar. Da wird es Verträge geben. Das wird auch die Aufgabe, die Pflicht sein, die sich aus dem Gesetz ergibt. In den Kommunen sind viele Fachleute, die den Umgang mit den erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern gelernt haben. Und das soll ja auch in Zukunft so bleiben.

    Capellan: Die Bundesanstalt für Arbeit wird umgebaut, haben Sie gerade gesagt. Aber die Kritik an Florian Gerster, die es gegeben hat in den letzten Wochen, ist sicherlich auch nicht positiv gewesen mit Blick darauf, auch die Langzeitarbeitslosen der Bundesanstalt für Arbeit zuzuordnen.

    Müntefering: Wir müssen zwei Dinge da auseinander halten. Also einige haben schon mit Lust das Thema behandelt, einfach um die Bundesanstalt auch in Misskredit zu bringen oder weiter in Misskredit zu lassen. Das finde ich nicht in Ordnung . . .

    Capellan: . . . aber glücklich waren Sie auch nicht mit dem Auftreten von Gerster . . .

    Müntefering: . . . das war nicht glücklich. Ich will noch was sagen zur Bundesanstalt. Das sind 90.000 Leute, das ist ein großes Unternehmen. Wenn man das modernisieren will, wenn man das aus der alten Routine herausholen will, dann ist das eine schwierige und wichtige Aufgabe, die Florian Gerster da zu bewältigen hat. Dieser Vorgang, der war sicherlich nicht glücklich. Es wird ja auch darüber noch gesprochen im Ausschuss des Deutschen Bundestages . . .

    Capellan: . . . aber es gibt eine ‚letzte Chance’ für Gerster, so könnte man es zusammenfassen?

    Müntefering: Letzte Chance nicht, so würde ich das nicht nennen. Ich würde sagen, er arbeitet weiter an der Stelle mit aller Energie, die er hat. Er ist ein kantiger Mann, aber das muss ja nicht schlecht sein. Wer glaubt, da würde man einen Softie brauchen, um ein solches Ding nach vorne zu bringen – wie die Bundesanstalt –, der irrt sich sehr.

    Capellan: Und er könnte die Bundesanstalt so fit machen, dass man sich auch um die Langzeitarbeitslosen kümmert?

    Müntefering: Ja, das allerdings muss gelingen, das muss die Bundesanstalt auch wissen.

    Capellan: In Zusammenarbeit mit den Kommunen? Wie soll das laufen?

    Müntefering: Ja, man kann ja Verträge machen. Die Bundesanstalt kann ja mit den Kommunen zusammen klären, in welcher Weise die Fachleute aus den Sozialämtern oder aus den Kreissozialämtern mit der Bundesanstalt zusammenarbeiten, und sich um die kümmern, die als erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger in Zukunft bei der Bundesanstalt angesiedelt sind. Das geht schon, wenn man es will. Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit, das ist völlig unbestritten.

    Capellan: Franz Müntefering, Sie haben es eben schon angedeutet: Die Union will nicht, dass die Neuverschuldung über 25 Prozent liegt, zugleich aber sträubt sie sich gegen den Abbau wichtiger Subventionen. Wo muss man ansetzen, wo will die SPD am meisten kürzen. Stichwort ‚Eigenheimzulage’, ist das so ein Punkt?

    Müntefering: Wir wollen die Eigenheimzulage abschaffen, und wir wollen die Entfernungspauschale halbieren in ihrem Gewicht. Das sind dicke Brocken, um die es geht. Wir glauben, dass das beides verantwortbar ist. Wir wollen allerdings, was die Eigenheimzulage angeht, ein Viertel von dem, was wir da sparen, nehmen, und es in Stadtinvestitionen stecken, weil wir wissen, dass in den Stadtkernbereichen – Stadtinnenbereichen – eine ganze Menge zu tun ist. Also da wird nicht der Wohnbedarf für die Zukunft völlig ignoriert, aber die klassische Eigenheimzulage soll auslaufen. Das baut sich allerdings erst langsam auf in den nächsten Jahren, in den nächsten sechs bis acht Jahren . . .

    Capellan: . . . die Union will nicht einmal um vier Prozent kürzen, was Koch und Steinbrück ja vorgeschlagen haben. Sie wollen sie ganz wegfallen lassen. Also, wie will man sich da annähern?

    Müntefering: Das ist ja die Schizophrenie der Situation. Die Union sagt: ‚Ihr dürft nicht mehr Schulden machen, Ihr müsst die Steuerreform vorziehen’, aber gleichzeitig verweigern sie sich, wenn sie Subventionsabbau mit zustimmen sollen. Sie haben einfach Angst vor der Wahrheit.

    Capellan: Bleiben wir bei den Subventionen, die abgebaut werden könnten. Vorstoß der Union: Erneuerbare Energien weniger fördern als bisher. Da gab’s kräftigen Streit auch in der Koalition. Kann man da noch rangehen?

    Müntefering: Ja, das ist eine Frage, wie man das sieht, ob man das im wesentlichen als einen Subventionsbereich ansieht, der im wesentlichen bezahlt wird von denen, die die Endpreise zahlen – es ist ja keine staatliche Subvention, die in diesen Bereich reingeht. Ich glaube, dass die Energien insgesamt – die traditionellen, aber auch die erneuerbaren – ein großes Innovationsgebiet sind für uns, und dass wir sie deshalb stützen sollten und befördern sollten, weil – wir werden dann viele Arbeitsplätze haben, nicht nur für uns, sondern weltweit. Das ist ein großes Wachstumsfeld, und da müssen wir in Deutschland erste Klasse sein, erste Sahne sein. Die Welt braucht saubere Kraftwerke – auch für Kohle und für Öl, auch im eigenen Land brauchen wir das. Und das gilt auch für die erneuerbaren.

    Capellan: 16,8 Milliarden für die Steinkohle! Sind die irgendwie noch verhandelbar für Sie?

    Müntefering: Nein, das ist ja auf der Strecke bis 2012 – für die Jahre 2006 bis 2012. Es hat mit der aktuellen Situation überhaupt nichts zu tun . . .

    Capellan: . . . das bringt die Union aber ins Spiel . . .

    Müntefering: . . . ja gut, das ist ja deren Recht. Aber das ist auch deren Versuch, die ganzen Dinge unklarer zu machen. Es sind also 15,87 Milliarden, und das gilt für das Jahr 2006 bis 2012. Das hat mit der Situation, die wir jetzt und in den nächsten drei Jahren der mittelfristigen Finanzplanung haben, überhaupt nichts zu tun.

    Capellan: Gewerbesteuer hat sicherlich etwas damit zu tun. Da sagt die Union: Wir wollen da nicht mitziehen, dass Pachteinnahmen, Zinsen, Leasingraten, dass das alles einbezogen wird bei der Berechnung der Gewerbesteuer.

    Müntefering: Es geht um die Grundsatzentscheidung: Soll es in Zukunft Gewerbesteuer geben, ja oder nein? Wir sagen ja, weil die Gewerbsteuer ein Verbund ist zwischen der jeweiligen Gemeinde, der Stadt und den Unternehmen. Wenn eine Stadt von der Tatsache, dass ein Unternehmen auf ihrem Grund und Boden siedelt, nichts mehr hat, dann wird das Interesse der Städte sehr viel geringer sein. Also, die Gewerbesteuer hat schon eine schöne, gute und vernünftige Wirkung untereinander . . .

    Capellan: . . . da hat die Fraktion, die SPD-Fraktion, auch für gekämpft, dass die Gewerbesteuer auch wieder so kommt.

    Müntefering: . . . ja . . .


    Capellan: . . . aber wie weit kann man da jetzt noch etwas verändern?

    Müntefering: Ja, ich wollte nur deutlich machen: Es ist nicht wahr, dass wir das voll ausweiten auf alle Leasinggebühren und andere Einnahmen, sondern das wollen wir nur da machen, wo große Unternehmen – das gibt es leider – Teile ihres Betriebes aussiedeln, sie separieren, zum Beispiel die ganzen Gebäude in eine separate Firma geben, dieser Firma dann hohe Mieten zahlen, um damit ihre Gewinne zu schmälern, um keine Steuern zahlen zu müssen. Wo solche Instrumente missbraucht werden, um Steuerzahlungen zu vermeiden und zu verhindern, da wollen wir das in der Tat verändern. Und das ist auch – glaube ich – gerechtfertigt.

    Capellan: Das sieht alles nicht so gut aus mit Blick auf die Einigungsmöglichkeiten, und vor allen Dingen muss das Ganze ja auch der eigenen Fraktion wieder vorgelegt werden, wenn es denn im Vermittlungsausschuss zu einem Kompromiss kommt. Wollen Sie dann auch wieder eine eigene Mehrheit haben?

    Müntefering: Ich möchte, dass die Fraktion hinter dem stehen kann, was da rauskommt in den Vermittlungsausschuss-Verhandlungen. Das ist ganz klar, das muss man auch haben, das muss man auch wollen. Und wenn es hart auf hart geht, werden wir das, was wir alleine beschließen können, dann mit der Kanzlermehrheit auch machen. Aber ich hoffe, es kommt noch zu vernünftigen Kompromissen.

    Capellan: Hat der Kanzler Ihnen auch deswegen mehr Verantwortung jetzt übertragen, um da auch die eigenen Reihen im Griff zu behalten, denn der eine oder andere muss ja noch was schlucken müssen?

    Müntefering: Ja, das wissen wir. Aber wir wissen ja: Wenn man Kompromisse macht, dann muss man an der einen oder anderen Stelle nachgeben. Das ist klar, das ist die Eigenart des Kompromisses. Es gibt faule Kompromisse, es gibt aber auch faule Kompromissunfähigkeit. Wir wollen im Interesse des Landes, dass die zentralen Dinge kommen. Einen Teil können wir alleine beschließen, aber in Sachen ‚Gemeindefinanzreform’ und in Sachen ‚Vorziehen der Steuerreform’ sind wir angewiesen auf die Bereitschaft von CDU/CSU und von Frau Merkel im besonderen, mit uns zusammen einen Kompromiss zu machen.

    Capellan: Behagt Ihnen eigentlich, dass Sie spätestens seit dem Parteitag in Bochum im Grunde als der heimliche Vorsitzende der SPD gehandelt werden?

    Müntefering: Naja, das sind immer so Sprüche, da kann man sich kaum gegen wehren. Es hat sicher etwas zu tun mit meiner alten Funktion als Generalsekretär, wo ich ja über einige Jahre intensiv mit der Partei zusammengearbeitet habe. Ich bin Fraktionsvorsitzender, und sonst nichts. Aber das ist ja schon eine ganze Menge, und damit kann man auch eine Menge tun.

    Capellan: Aber in diesem Machtdreieck zwischen Parteivorsitzenden, Fraktionsvorsitzenden, Generalsekretär sind Sie deutlich gestärkt worden.

    Müntefering: Das weiß ich nicht. Ich mache meinen Job so gut ich kann. Und die Fraktion ist natürlich als Gesetzgeber ganz besonders unter den Scheinwerfern auch in diesem halben Jahr, denn wir haben ja so viele Gesetze – so bedeutende Gesetze – in solch enger Zeitfolge, dass automatisch das ganze Land immer wieder auf uns guckt; wir müssen da die Mehrheiten besorgen. Insofern gibt es da eine sehr viel größere Aufmerksamkeit als in den Jahren zuvor . . .

    Capellan: Aber lassen Sie mich ein Beispiel nennen – innerparteilich auch – diese Aktion ‚Fraktion vor Ort’, dass Sie ja jetzt durchs Land ziehen und versuchen, die Agenda 2010 auch den eigenen Leuten zu erklären. Ist das nicht im Grunde die ureigenste Aufgabe eines Generalsekretärs?

    Müntefering: Das machen die ja auch. Es ist ja nicht so, dass ich allein unterwegs bin. Aber dass sie alle so freundlich auf mich gucken, die Journalisten jedenfalls, freut einen einerseits. Auf der anderen Seite ist das nicht das komplette Bild. Die Partei – der Parteivorstand – hat auch beschlossen, dass ab Januar die ganzen Spitzen bis zu fünf Veranstaltungen machen. Das heißt, das kann auch die Fraktion gar nicht allein. Aber wir müssen es auch. Ich bin losgegangen in diese ‚Fraktion vor Ort und Region Aktion’, weil ich hier klar sagen will: Wir in der Fraktion stehen zu dem, was wir an Gesetzen da machen.

    Capellan: Die Parteifreunde wollen allerdings auch Sie dort sehen und weniger Olaf Scholz.

    Müntefering: Das weiß ich nicht. Ich habe mich angeboten, ich habe die Vorsitzenden der Landesarbeitsgruppen, der Landesgruppen in der Bundestagsfraktion angeschrieben, und die haben sich alle gemeldet. Und bis Februar wird das laufen. Aber Olaf Scholz ist sicher auch an vielen Stellen unterwegs.

    Capellan: Wie hätten Sie reagiert, wenn Sie mit einem Wahlergebnis auf dem Parteitag abgestraft worden wären mit 52 Prozent?

    Müntefering: Das weiß ich nicht, das ist hypothetisch. Das kann man sich, glaube ich, gar nicht vorstellen. Der Olaf Scholz hat sich entschieden, in einer solchen Situation – er hat mir das auch vorher gesagt, auch wenn es knapp wird, er macht das weiter. Ich habe ihn bestärkt da drin, weil ich glaube, es wird auch wieder bessere Zeiten geben für ihn. Er hatte eine sehr unglückliche Situation gehabt, in der er diesen Job übernommen hatte, und er ist für vieles jetzt in Anspruch genommen worden, was wir alle miteinander organisiert haben. Also, ich arbeite gut mit ihm zusammen, und er muss das durchstehen.

    Capellan: War das klug, wie der Kanzler reagiert hat – dass er zu den Delegierten gesagt hat: Das war die kollektive Unvernunft, dass Ihr den so abgestraft habt, oder wie Wolfgang Clement, dass er den Niedersachsen dann sagt: Ich mache Euch fertig, weil Ihr den nicht mitgetragen habt?

    Müntefering: Nun ja, ob das so gesagt worden ist – da war ich ja nun bei, da können wir noch lange drüber sprechen. Aber was soll’s. Ich habe gesagt, das ist ein Nachtprogramm, und ein Nachtprogramm sollte man nicht kommentieren.

    Capellan: Es drängte sich der Eindruck auf, die können mit Ergebnissen – mit Wahlergebnissen – nicht umgehen. Man muss es doch akzeptieren, wenn die 52 Prozent stehen.

    Müntefering: Ja, es ist klar, man muss es akzeptieren. Ich habe das auch akzeptiert, ich war trotzdem auch ärgerlich, das will ich ja nicht bestreiten. Ich war auch verwundert über die Ergebnisse, weil ich schon glaube, dass da Motive eine Rolle gespielt haben, die nicht besonders erfreulich sind.

    Capellan: Wie will die SPD die Trendwende schaffen, wie will man aus dem Umfragetief wieder herauskommen?

    Müntefering: Im Handeln. Wir müssen, da gibt es gar keine andere Möglichkeit, mit dem, was wir tun, überzeugen. Wir müssen so viel wie möglich die Gesetze durchsetzen, die wir jetzt eingebracht haben. Und ich glaube, dass wir dann im nächsten Frühjahr, wenn etwas Wachstum da ist, wenn die Tage wieder länger werden und die Sonne wieder scheint, die SPD auch wieder auf dem Weg nach vorne ist. Es ist ein Stück Psychologie, und das wird sich im nächsten Halbjahr zeigen, weil alle die, die jetzt so tun, als ob in Deutschland die Hungersnot ausbräche oder die Pest, die werden ja widerlegt werden. In Deutschland wird es auch wieder gut gehen, wir werden ein starkes Land sein und die Menschen werden merken: Der Gerhard Schröder hat da was Wichtiges angestoßen.

    Capellan: Gerhard Schröder klammert sich dann wohl an jeden Strohhalm. Er verspricht China das Blaue vom Himmel, möchte ich mal sagen, um den Export anzukurbeln, die eigene Exportindustrie zu stützen. Je schlechter es der deutschen Wirtschaft geht, desto weniger spielt die Moral eine Rolle – was diese Exporte nach China angeht.

    Müntefering: Das sehe ich nicht, das tut mir leid, das sehe ich nicht so. Das ist ein deutsches Unternehmen, das einen Teil seiner Immobilie verkaufen will. Da gibt es wenig dagegen zu sagen seitens des Staates. Denn versprochen ist: Es wird kein Plutonium produziert, das heißt natürlich auch, kein waffenfähiges Plutonium. Und es wird auch waffenfähiges Plutonium nicht aufgearbeitet.

    Capellan: Das sei mal dahingestellt, ob das wirklich so ist. Jürgen Trittin sagte, es ist nicht so, da kann durchaus waffenfähiges Material aufbereitet werden.

    Müntefering: Aber das ist die Zusage, dass das so ist. Und wenn das so ist, kann man auch – denke ich – nichts dagegen haben.

    Capellan: Aber haben Sie da nicht ein Problem mit der Glaubwürdigkeit der rot-grünen Energiepolitik . . .

    Müntefering: . . . wieso? . . .

    Capellan: . . . dass man die Technologie, die man im eigenen Land für gefährlich hält, exportiert?

    Müntefering: Ja, man kann ja nicht so tun, als ob alle auf der Welt deutsche Gesetze hätten. Auf der Welt insgesamt gibt es Kernkraft, und wenn man diese Kernkraftnutzung so sicher wie möglich macht – das ist so wie bei Kraftwerken traditioneller Art auch –, dann hilft man der ganzen Welt. Und da müssen wir uns nicht genieren.

    Capellan: Also, gegen den Verkauf werden Sie nichts einzuwenden haben?

    Müntefering: Ich habe im Prinzip nichts einzuwenden, wenn die Bedingungen erfüllt sind, die ich eben genannt habe.

    Capellan: Wird es Ärger geben in der Fraktion? Ute Vogt hat sich zu Wort gemeldet, Hermann Scheer, Michael Müller – all diese Leute, die so argumentieren und sagen: Wir machen uns unglaubwürdig, wenn wir eine solche Anlage nach China geben.

    Müntefering: Ich weiß nicht, ob sie alle Bedingungen gekannt haben, als sie das gesagt haben. Und bei anderen habe ich auch andere Töne gehört. Jedenfalls mit dem Abbau der Atomkraft ist nie verbunden gewesen unsere Aussage, wir werden weltweit jetzt dafür werben und darauf dringen und dafür sorgen, dass kein anderes Land auch noch Kernkraft nutzen kann. Damit würden wir uns auch erheblich übernehmen.

    Capellan: Nun hat Siemens den Antrag, die Hanauer Brennelemente-Fabrik nach China zu verkaufen, wohl schon im Februar gestellt. Angeblich hat Joschka Fischer im Oktober schon ‚ja’ gesagt. Und das ist alles an der Fraktion vorbeigelaufen? Fühlen Sie sich da nicht als Parlamentarier übergangen?

    Müntefering: Nein, weil, wenn diese Bedingungen so sind, wie ich sie eben genannt habe, okay sind. Und ich gehe ja davon aus, dass alle Mitglieder der Bundesregierung, die damit zu tun haben, sowohl von diesem Vorgang wussten, als auch von Vorgängen, wo deutsche Materialien, zum Beispiel Turbinen, in die Welt geliefert werden, die man sehr wohl auch für die pflegliche Nutzung von Atomkraft nutzen kann. Das ist eine etwas künstliche Aufregung, die da plötzlich reingekommen ist.

    Capellan: Sie haben keine Angst vor einem Koalitionskrach deswegen?

    Müntefering: Angst nicht. Dass so ein Krach auch hier und da mal passieren kann, das ist klar. Aber ich glaube, das ist im wesentlichen eine Sache, die die Grünen untereinander ausmachen müssen.

    Capellan: Aber der Export wird kommen?

    Müntefering: Ich gehe davon aus. Ich sehe da kein Problem in der Koalition, das müssen die miteinander ausmachen, denn ich glaube, dass alle Mitglieder des Kabinetts informiert waren.

    Capellan: Die Union wird sich freuen, wenn Sie sich da streiten darüber. Die Union ist seit dem Parteitag in Leipzig geschlossener aufgetreten denn je, meldet sich als Oppositionspartei zurück. Warum lässt sich die SPD da in die Defensive drängen?

    Müntefering: Solche Dinge müssen ausgetragen werden. Irgendwie muss man ja da offen drüber sprechen, dann muss man das ja auch durchstehen. Ich glaube auch nicht, dass man deshalb an Zustimmung verliert. Aus der Konstellation nach dem CDU-Parteitag glaube ich, ist es wichtig, dass Frau Merkel begreift, dass sie eine größere Verantwortung hat. Wie gesagt: Sechs ihrer Mitglieder der Fraktion sind im Vermittlungsausschuss. Wenn Frau Merkel will, dann kann sie die Dinge auch zum Guten lenken auf der anderen Seite. Herr Koch hat nicht das Ruder in der Hand.

    Capellan: Gut, was aber auch die langfristige Politik angeht – die Steuerreform oder die Kopfprämien im Gesundheitsbereich. Da gibt es jetzt klare Vorgaben von der Union. Die wissen, was sie wollen, während die SPD auf dem Parteitag gesagt hat: ‚Bürgerversicherung, da denken wir drüber nach, in dieser Legislaturperiode wohl nicht, aber wir diskutieren noch’. Da sind Sie in der Defensive.

    Müntefering: Das sehe ich so nicht. Wir haben klar gesagt: Die Kopfpauschale wollen wir auf gar keinen Fall, denn sie ist ungerecht. Sie berücksichtigt nicht mehr die Einkommenssituation des einzelnen. Und deshalb glaube ich, dass wir da auf einem ganz guten Wege sind. Die Bürgerversicherung muss noch diskutiert werden, es muss noch präzisiert werden. Aber auch die Konzepte, die bei der Union da sind, sind ja keineswegs gerechnet. Die Merz’sche Steuerreform und die Kopfpauschalen von Frau Merkel passen ja finanziell überhaupt nicht zueinander. Da geht es ja um zig Milliarden. Das sehen ja nicht nur wir, sondern da muss man nur die CSU angucken. Die CSU sagt: Das ist doch überhaupt nicht zu finanzieren, was wollt Ihr denn eigentlich?

    Capellan: Sollte diese Verhandlung im Vermittlungsausschuss jetzt einigermaßen gut über die Bühne gehen – die Steuerreform wird vorgezogen auf den 1. Januar: Wie geht es dann weiter? Kann man sich dann auch auf eine grundlegende Steuerreform verständigen mit der Union, wird man da weiter verhandeln im Frühjahr?

    Müntefering: Also, es wird auf jeden Fall so sein, dass man – das ist überhaupt nicht neu – den Weg weiter geht, Steuern zu vereinfachen. Ich glaube nicht, dass man den leichten Weg gehen kann, den angenehmen Weg, den populistischen Weg, dass man sagt: So ziemlich zahlt man überhaupt keine Steuern mehr. Sondern wir brauchen ja auch noch Geld, um Kindergärten und Schulen und Hochschulen und Forschung und Technologie finanzieren zu können. Und der Staat muss handlungsfähig bleiben an der Stelle. Das werden wir nicht aus dem Blickfeld verlieren.

    Capellan: Diese Wochen jetzt vor Weihnachten – entscheidet sich da die Zukunft der SPD, der rot-grünen Regierung?

    Müntefering: Das würde ich so nicht auf den Punkt bringen, würde aber sagen, dass das nächste halbe Jahr schon ganz wichtig ist.

    Capellan: Wenn die Agenda 2010 nicht so durchkommen würde, wenn man sich nicht verständigt mit der Union, einzelne Punkte rausnehmen muss, abschwächen muss: Was wäre dann?

    Müntefering: Das ist nicht der Punkt, um den es geht. Die Frage ist, ob wir erkennbar machen und erkennbar machen können, dass wir die großen gesellschaftlichen Innovationen mit dieser Agenda voranbringen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Beispiel und die Ausbildungsplätze für die jungen Menschen, und dass die alten nicht mehr beiseite geschoben werden, und, und, und. Und das wird dann auch in der öffentlichen Debatte zu klären sein. Und wenn uns das gelingt, dann glaube ich, haben wir auch eine gute Chance.

    Capellan: Wenn es nicht gelingt, wird Schröder dann zurücktreten?

    Müntefering: Dazu sehe ich keinen Anlass. Wir sind gewählt bis 2006, und dann kann man immer noch wieder neu ansetzen. So sind wir nicht, wir haben in 140 Jahren SPD schon manche Tiefen und Höhen erlebt. Und wir werden diese auch bestehen, und dann werden wir auch wieder oben sein. Ich bin da ganz zuversichtlich.

    Capellan: Wenn er es tun würde, würden Sie einspringen?

    Müntefering: Das ist eine dreimal hypothetische Frage, die ist blanke Spekulation. Und mehr kann man auch dazu nicht sagen.

    Capellan: Franz Müntefering, danke für das Gespräch.