Archiv


Müntefering: Steuererhöhung für Gesundheitswesen möglich

Vizekanzler Franz Müntefering hält langfristig Steuererhöhungen zur Finanzierung des Gesundheitssystems für möglich. Die große Koalition habe das zunächst zwar ausgeschlossen, sagte der Bundesarbeitsminister. Union und SPD müssten aber bei der Haushaltsplanung für 2008 entscheiden, wie der wachsende Anteil der Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens bezahlt werden solle, fügte der SPD-Politiker hinzu.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Die Kritik kam wie ein Donnerschlag - wieder einmal, diesmal für die lang herbeigesehnten Eckpunkte der Gesundheitsreform. Aber soll dies tatsächlich eine Reform sein, soll dies das Gesundheitssystem fit machen, überlebensfähig machen für die kommenden zwei Jahrzehnte? Der große Wurf, so war es jedenfalls angekündigt. Das Urteil der Kritiker, und das sind diesmal fast außerhalb der Koalition alle und sogar auch zahlreiche innerhalb der Regierungsfraktionen, fällt vernichtend aus

    Am Telefon in Berlin sind wir nun verbunden mit Vizekanzler Franz Müntefering (SPD). Guten Morgen!

    Franz Müntefering: Guten Morgen. Ich grüße Sie!

    Müller: Herr Müntefering, warum machen Sie so vieles teurer?

    Müntefering: Sie meinen im Gesundheitswesen?

    Müller: Beispielsweise.

    Müntefering: Was machen wir teurer? Das Gesundheitswesen hat in sich eine Dynamik, und das, was wir erreichen wollten und was auch erreicht ist in Bezug auf die Versicherten, ist, dass die Qualität des Gesundheitswesens bleibt, auch in einem dynamischen System, am Leistungskatalog wird nichts weggestrichen. Das wichtigste ist, die Menschen müssen wissen, unser Gesundheitswesen ist gut, es ist sehr gut, und allen steht es zur Verfügung und alle gehören mit dazu, und das ist erreicht.

    Müller: Können Sie das wirtschaftlich verantworten, dass die Beiträge angehoben werden?

    Müntefering: Wir müssen die Menschen, die im Gesundheitswesen sind, auch bezahlen. Das ist die größte Branche, das sind über vier Millionen Menschen beschäftigt, das ist Dienst Mensch am Mensch, die Krankenschwestern und Pfleger und auch die Ärzte müssen ordentlich bezahlt werden. Das gehört mit dazu. Wir haben trotzdem erreicht eine Verbesserung der Effizienz im System, wir werden in dieser Legislaturperiode etwa zehn Milliarden einsparen im Vergleich zu dem, was im Moment ausgegeben wird, das ist keine Kleinigkeit.

    Müller: Sie hatten uns, den Bürgern, versprochen die Lohnnebenkosten zu senken. Jetzt werden die wieder höher. Wie passt das zusammen?

    Müntefering: Die Gesundheitsreform sollte immer 2008 beginnen. Diese Erhöhung, die im Moment stattfindet, bezieht sich auf das Jahr 2007. Wir wissen ja noch gar nicht genau, wie sie sein wird, und es kommt drauf an, ob wir die Spareffekte, die wir in unserem Reformpaket drin haben jetzt, ob man die schon in 2007, und wie weit realisiert. Darum wird zu kämpfen sein, das ist noch nicht endgültig zu beantworten. Wir haben Interesse, dass auch in 2007 die Entwicklung der Krankenversicherungsbeträge so niedrig wie möglich in ihrer Steigerung ist. Ab 2008 beginnen wir mit dem Einstieg in eine Steuersäule. Und das war ein Ziel, von dem wir gehofft hatten als Sozialdemokraten, wir kämen damit schneller voran, aber entscheidend ist, der Einstieg findet statt. Und Jahr für Jahr aufwachsend wird ein größerer Teil der Kosten für das Gesundheitswesen dann aus der Haushaltskasse bezahlt werden müssen. Und da wird dann noch mal zu klären sein, wie man das denn genau macht mit der Finanzierung. Da ist eine Frage nicht beantwortet, das ist leider wahr.

    Müller: Herr Müntefering, bleiben wir dabei. Also durch Steuern mehr finanzieren im Gesundheitssystem, heißt durch Steuern finanzieren dann auch wieder ab 2008, 2009 höhere Steuern?

    Müntefering: Ja, das kann man im Moment eben noch nicht sagen. Jedenfalls hat es dazu keine Entscheidung gegeben, es muss jedenfalls aus der Bundeskasse finanziert werden. Wir wollen, dass die Lohnnebenkosten nicht weiter steigen, wir wollen, dass die Lohnnebenkosten sinken. Und nun wird es die Frage sein, kann man das aus dem Bundeshaushalt finanzieren, zunehmend, im Jahre 2008 1,5 Milliarden, im Jahre 2009 3 Milliarden, 2010 4,5 Milliarden und so weiter. Und wir werden, wenn wir den Haushalt 2008/09 machen und dann die mittelfristige Finanzplanung machen, zu entscheiden haben, in welcher Weise wir das finanzieren. Jedenfalls haben wir festgelegt, zwei Dinge wird es nicht geben: Es wird der Leistungskatalog nicht reduziert, das heißt die Qualität wird nicht gesenkt werden, und das heißt auch, dass private Unfälle zum Beispiel in der Versicherung bleiben, dass die alte Dame, die zu Hause einen Unfall hat, nicht auf eine eigene zusätzliche Krankenversicherung angewiesen ist, und wir haben darüber hinaus noch einiges dafür getan, dass auch klar ist, dass andere soziale Sicherungssysteme nicht das bezahlen müssen, was in der Krankenversicherung fehlt. Also wir werden im Verlauf der Legislaturperiode noch mal zu klären haben, wie man sich das mittelfristig vorstellen muss.

    Müller: Das interessiert ja die Leute brennend. Das heißt, Sie können zu diesem Zeitpunkt nicht ausschließen, dass es noch mal Steuererhöhungen geben wird?

    Müntefering: Die Koalition hat jetzt beschlossen, dass es so etwas nicht gibt, aber wir werden im Jahre 2008/09 zu entscheiden haben, wie wir den aufwachsenden Teil der Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens denn in Zukunft finanzieren. Und in ihrer Frage steckt ja schon das ganze Problem drin. Wenn sie das Wort Steuererhöhung schon so lustvoll aussprechen, dann wird da ganz klar, wenn ich sagen würde, wir machen das, dann hätten Sie eine schöne Meldung, dass jetzt die Steuern erhöht werden. Und deshalb will ich auch sagen, all die Kommentare, die ich eben gehört habe von Kritikern, die kommen aus sehr verschiedenen Seiten. Manche freuen sich, dass es keine Steuererhöhung gibt, andere schimpfen darüber, und so kann man das ganze Paket durchgehen. Wenn man sich das mal in Ruhe anguckt, was stattfindet ist, dass alle Seiten, aber aus sehr, sehr unterschiedlichen Motiven uns kritisieren und vielleicht ist das ein Zeichen, dass wir dicht an der Wahrheit sind und an der richtigen Richtung.

    Müller: Herr Müntefering, immerhin, um jetzt bei diesem Thema zu bleiben, hat die Koalition ja schon Steuererhöhungskompetenz gezeigt. Aber reden wir vielleicht noch über die Stimmung in den vergangenen Tagen. Es hat auch sehr, sehr viel Gegenwind, sehr, sehr viel Kritik gegeben in der eigenen Fraktion, in der SPD-Fraktion. Peter Struck hat Angela Merkel Wortbruch vorgeworfen. Haben Sie auch gesehen, dass Angela Merkel ihr Wort gebrochen hat?

    Müntefering: Also, das was wir jetzt erreicht haben, war ein Arbeitssieg, das war nicht elegant. Und es ist schon so, dass in Sachen Führungs- und Gestaltungskraft die Koalition nicht gut aussieht. Die Art und Weise, wie wir das hingekriegt haben, war nicht so gut wie das Ergebnis und ich hoffe, und bin eigentlich auch sicher, dass vom Koalitionspartner einige merken, dass da etwas nicht hinreichend koordiniert gewesen ist. Aber es ist nicht meine Aufgabe über die Probleme des Partners zu sprechen. Ich glaube, dass man das auch dann wieder hinschütteln kann.

    Müller: Hat die Kanzlerin den Vizekanzler getäuscht?

    Müntefering: Nein. Ich habe über die ganze Strecke gesehen, wie die Dinge sich entwickelten, das lag an anderen Stellen, das kam aus den Ländern, ganz eindeutig. Aber noch mal, es geht mir nicht darum, öffentlich da jetzt den Koalitionspartner zu quälen, aber es wird dort sicher schon aufgefallen sein, dass man auf diese Art und Weise die Gestaltungskraft und Kunst und Führungskunst ganz sicher nicht gezeigt hat.

    Müller: Aber nun hatte ja Angela Merkel ganz klar gesagt im Vorfeld, noch zwei Tage vorher, so war zu erfahren, wir machen das mit dem frühzeitigen Steuereinstieg zur Finanzierung, auch gegebenenfalls dann über höhere Steuern. Haben Sie sich denn dahingehend getäuscht gefühlt, dass die Ministerpräsidenten sich durchgesetzt haben und Sie davon gar nichts wussten?

    Müntefering: Ich habe Ihnen das ja gerade gesagt, mehr kann man dazu, mehr will ich auch nicht sagen. Ich will nicht mit Lust in den Wunden wühlen, die wir da hatten in der Nacht. Das ist ganz klar, das war nicht einfach. Aber das muss geklärt werden. Wir müssen in dieser Koalition erreichen, dass wir die wichtigen politischen Dinge so absprechen, dass da nicht im letzten Augenblick reingegrätscht wird. Und da kann man beim nächsten Mal sicher besser werden. Das was da passiert ist war vielleicht taktisch schlau, aber es war nicht klug und es hat auch nichts gezeigt an Mut zu Entscheidungen, die zurzeit nicht populär sind. Vielleicht sind wir da geübter aus den vergangenen Jahren. Ich habe eben Ihren etwas höhnischen Hinweis auf die Steuererhöhungskompetenz schon verstanden. Aber wir haben in den letzten Jahren einige Entscheidungen getroffen, zu denen man Mut gebraucht hat und als man sie getroffen hat, waren sie noch nicht populär, manche sind es heute noch nicht, sie waren trotzdem richtig. Und da muss vielleicht der eine oder andere Ministerpräsident noch lernen, dass das so ist, wenn man politisch führt, dass man nicht in jedem Augenblick der Liebling aller sein kann.

    Müller: Aber dieses eine Mal, Herr Müntefering, lassen Sie sich das noch gefallen?

    Müntefering: Das ist nicht eine Frage von gefallen lassen. Wir sind fest entschlossen aus dieser Koalition das Bestmögliche zu machen. Die geht bis 2009, und wenn wir alle klug sind, konzentrieren wir uns auf die Lösung von Problemen und lassen uns auch nicht beirren. Viele kluge Journalisten, die ja alles immer besser wissen, die aber aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus immer alles besser wissen. Wir wissen, dass wir nicht elegant ausgesehen haben, aber die richtigen wichtigen Dinge sind entschieden, Qualität bleibt, Effizienz verbessert, Einstieg in eine teilweise Steuerfinanzierung der gesellschaftspolitischen Aufgaben, der Krankenversicherung also zum Beispiel Kinder, oder auch Partner. Und von dieser Entwicklung kommt auch keiner mehr runter, ob nun heute schon zu klären gewesen wäre, Steuererhöhungen werden irgendwann kommen, ja oder nein, das wäre ja auch nicht nur populär gewesen. Wahrscheinlich hätten Sie jetzt eine Sendung gemacht mit jemandem, der Ihnen sagt, dass man Steuererhöhungen nicht machen darf. Aber sei es drum, die Sozialdemokraten haben gesagt, wir müssen da mutig und ehrlich sein, das ist jetzt ein bisschen unklar geblieben, aber das wird dann 2008/09 noch zu klären sein, denke ich.

    Müller: Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) war das. Dank für das Gespräch.

    Müntefering: Ja, bitte schön.

    Müller: Auf Wiederhören.

    Müntefering: Schönen Tag noch.