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Multimedia-Dschungel auf der IFA

Am Samstag öffnete in Berlin die Internationale Funkausstellung ihre Pforten und gewährt einen Blick auf all jenes, was den geneigten Verbraucher unterhalten und zum Kauf der schicksten, modernsten und vielseitigsten Spielereien animieren soll. Selbstverständlich dreht sich bei der Zukunft von Rundfunk und Fernsehen alles um Digitalität, die Gegenverkehr in die bisherige Einbahnstraße des Informationsflusses bringen soll. Interaktion soll Radio und Fernsehen im 21. Jahrhundert prägen und die Multimedia Home Plattform scheint der aussichtsreichste Kandidat, dieses Ziel umzusetzen.

Manfred Kloiber, Peter Welchering |
    War die vergangene IFA noch geprägt vom heftigen Streit zwischen ARD und ZDF einerseits sowie der Kirch-Mediengruppe auf der anderen Seite um die Zukunft des digitalen Fernsehens, stellt sich das Bild auf der diesjährigen Ausstellung in Berlin etwas weniger zänkisch dar. Ein Grund dafür ist ein neuer Standard, dem Medien-Auguren eine große Zukunft als einheitliche Technologie für die Übermittlung und Nutzung des interaktiven Fernsehens prognostizieren: der Multimedia Home Plattform (MHP). Die Technologie soll die bisherigen Einzellösungen verschiedener Programmanbieter ablösen und die Kunden mit der Sicherheit und der Vielfalt eines einheitlichen Angebots überzeugen, denn bislang straften die Verbraucher die Anbieter der kostspieligen proprietären Empfänger mit Zurückhaltung ab.

    "MHP bringt den entscheidenden Fortschritt, dass der Anwender unabhängig vom jeweiligen Programm-Anbieter das interaktive Fernsehen in seiner ganzen Breite voll nutzen kann. Dagegen erlauben die bislang existierenden Geräte der einzelnen Betreiber nicht, dass auch Angebote anderer Sender mit den gleichen interaktiven Möglichkeiten empfangen werden können", konstatiert Gerhard Stoll vom Institut für Rundfunktechnik (IRT), einer Gemeinschaftseinrichtung von ARD, ZDF, DeutschlandRadio, ORF und SRG. Der in der Digital Video Broadcasting-Technologie verankerte Standard biete Herstellern und Anbietern erstmals eine einheitliche Grundlage für die Entwicklung übergreifend einheitlicher Anwendungen und Endgeräte.

    Mit dem Einzug des digitalen Fernsehens wird auch eine Vielzahl von Zusatzangeboten der Sendestationen die Programme bereichern. Ein Beispiel dazu sind etwa detaillierte Programmübersichten, die einerseits einen schnellen Überblick verschaffen, andererseits aber auch mit vielen näheren Informationen aufwarten können. Doch auch die Hauptprogramme sollen parallel mit vertiefenden Zusatzinformationen aufgepeppt werden, erklärt Stoll: "So können zu einen gerade laufenden Programm weitere Informationen abgerufen werden, etwa in Form von Texten, Bildern oder auch Videos." Eine Studie des IRT zeigt, wie die bislang starr vorgegebenen Laufbänder der aktuellen Börsenkurse durch den Nutzer nach seinen eigenen Bedürfnissen zusammengestellt werden können. Doch dies sei nur ein Anfang: "Der Nutzer kann sich seinen persönlichen Info-Mix frei zusammenstellen. Das Modell soll zum lernenden Fernseher weiterentwickelt werden, der selbstständig jene Sendungen aufzeichnet, die den Vorlieben seines Besitzers entsprechen." Ein anderes Novum eröffnet ganz neuen Fernsehgenuss, indem der Zuschauer jene von verschiedenen Kameraperspektiven auswählt, die ihn am meisten interessieren. Diese Möglichkeit eröffnete bisher nur das Internet, doch der Mangel an genügender Bandbreite, die einen flüssigen Datenstrom auch für viele Nutzer gleichzeitig bereitstellt, verurteilte diese Lösung zum Scheitern.

    Entscheidend für die Durchsetzbarkeit eines neuen Standards wie etwa MHP ist aber eine breite Akzeptanz durch die Anbieter von Inhalten und die Hersteller der nötigen Geräte. Im Falle der Multimedia Home Plattform sieht die Zukunft, glaubt man den Lippenbekenntnissen der Industrie, geradezu rosig aus. Doch im Detail weichen die Vorstellung über die Umsetzung des Standards in die globale Realität deutlich auseinander. Während einige Medienkonzerne MHP etwa stürmisch begrüßten, fürchten andere Anbieter um ihre mühsam angeworbenen Abonnenten, die über firmenspezifische Settop-Boxen das Programm empfangen. Medienkonzerne, wie etwa die Kirchgruppe mit ihrem PremiereWorld-Angebot, sehen ihre Marktanteile durch offene Standards ernsthaft gefährdet, denn die vielseitigen Lösungen, mit denen auch andere Programme empfangen werden können, könnten den Absatz der eigenen, proprietären Geräte stagnieren lassen.

    Auf der diesjährigen IFA belegen außerordentlich viele Gerätestudien, dass MHP mit großen Schritten seiner Umsetzung entgegen eilt. Neben reinen Settop-Boxen, die die digitalen Dienste empfangen und auf herkömmlichen Fernsehern wiedergeben, präsentieren viele Hersteller auch TV-Geräte, die einerseits die bisherigen Antennen- und Kabelprogramme empfangen können, andererseits aber auch bereits digital für das Zeitalter des interaktiven Fernsehens gerüstet sind. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Modelle pünktlich zum Weihnachtsgeschäft ausgeliefert werden. Allerdings sind solche Multimedia-Wunder kaum etwas für den schmalen Geldbeutel: So beginnen die Preise für die Digitalfernseher bei rund 7000 Mark, die Flaggschiffe der Hersteller reichen schnell sogar bis zu 11500 Mark. Den vollen MHP-Genuss bringen diese Geräte allerdings trotzdem noch nicht, denn beispielsweise die Programmierschnittstelle von MHP an den Endgeräten ist noch nicht einheitlich umgesetzt. Ein Grund dafür ist auch der vehement Widerstand der Kirchgruppe in dieser Frage. Überdies nutzen viele Hersteller MHP zwar als allgemeine Entwicklungsbasis, überbauen sie aber mit eigenen Fortentwicklungen, die dann allerdings nicht mehr mit Produkten anderer Unternehmen konform gehen.