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Mit Blackhole Factory auf digitaler Weltreise

Die arktische Seeschwalbe wandert einmal im Jahr vom Nordpol zum Südpol und zurück. Für die Braunschweiger Künstlergruppe Blackhole Factory ist der Zugvogel Symbol für eine erdumspannende Reise. Ihr "Flug der Seeschwalbe" ist eine Live-Performance mit Musikern aus drei Kontinenten, die sich über das Internet zusammenschalten.

Von Mirko Heinemann |
    Das Studio 2 in der Kunstmühle ist ein karg eingerichteter Raum: Sitzplätze für vielleicht 50 Personen, davor zehn Meter Platz bis zur Leinwand. Zwei Personen hantieren an einem langen Tisch, der mit digitaler Technik beladen ist: Laptops, Steuerungselektronik, Regler. Daneben liegen eine indonesische Klangschale, eine afrikanische Rassel und ein chinesischer Gong. Und: Haushaltsutensilien.
    "Wir haben hier unten die Percussioninstrumente, aber auch einen Teller mit Nudeln, was einen interessanten Klang hat zum Beispiel. Oder eine Badezimmerkette, die man auf dieses Becken werfen kann. Das kann ich dann aufnehmen auf meinem Programm für Live-Sampling. Das kann ich abspielen, und zwar sehr extrem verfremdet."
    Martin Slawig, Mitte 50, bildet gemeinsam mit Elke Utermöhlen und Martin Kroll die Künstlergruppe Blackhole Factory. Gegründet Anfang der 1990er-Jahre in Braunschweig, haben sich die Drei einen Namen als Theatermacher und Avantgarde-Musiker gemacht. Und als Pioniere der "Networked Performance", der künstlerischen Zusammenarbeit über das Internet.
    Das aktuelle Stück ist eine Improvisation. Beim "Flug der Seeschwalbe" werden Musiker aus Australien und den USA live dazugeschaltet. Der Gitarrist Marc Sloan aus New York spielt in der Avantgarde-Band "Carbon" von Elliot Sharp. Roger Mills aus Sydney ist Trompeter. Er hat das "Ethernet Orchestra"gegründet, in dem Musiker aus allen Teilen der Welt über das Internet zusammenspielen.
    Roger Mills wird soeben per Video zugeschaltet. Er ist braun gebrannt, in Sydney ist gerade Sommer. Er bittet um Entschuldigung für seine miserable Auffassungsgabe. Bei ihm ist es fünf Uhr morgens.
    Grenzen überschreiten – das ist das Thema von Blackhole Factory. Die Künstler sammeln Geschichten, Töne und Geräusche. Tauchen ein in andere Kulturen.
    "Wir sind nicht sehr sesshaft, und wir fragen uns: Warum haben wir immer periodisch diese migratorische Unruhe, diese Zugunruhe, die man bei Zugvögeln zum Beispiel beobachtet?"
    Die Sammlung bildet den zentralen Teil der Performance. Ein Globus aus Rasterlinien wird an die Wand projiziert. Rund 50 Orte sind dort eingezeichnet. Die Musiker können sich mit Hilfe eines Datenarmbands am Handgelenk durch den Globus bewegen. Kommen sie in die Nähe eines Ortes, hört man ein Interview, Geräusche oder sieht Fotos.
    Das Publikum reist mit an die polnische Grenze, wandert in Ramallah über wilde Mülldeponien oder blickt vom marokkanischen Tanger auf das für viele unerreichbare Europa. Oder es lauscht den Erzählungen eines Antarktisforschers. Die Performance ist Ausdruck von Migrationserfahrungen, die alle Mitwirkenden teilen.
    "Ich bin als Kind auch sehr viel umgezogen mit meinen Eltern und hatte eigentlich immer nur so temporäre Heimat. Und seitdem ich selbstständig unterwegs bin, ist es eigentlich eher so da, wo ich meinen Computer auspacke oder meine Arbeit installiere, da ist in dem Moment die Heimat. Aber ich hab jetzt nicht so'n Ortsbegriff dafür."
    "Was bedeutet es eigentlich, sich den Globus immer wieder neu zusammenzusetzen darüber, dass man an bestimmten Punkten etwas erfahren hat? Dass sich die Welt und unser Verständnis von der Welt immer wieder neu fügt dadurch, dass wir an andere Orte kommen, andere Menschen treffen. Und mit unserer Neugier auf Geschichten von anderen Menschen in unser eigenes Leben hinein holen?"
    Der "Flug der Seeschwalbe" ist eine assoziative Weltreise, in der die Genres verschwimmen. Blackhole Factory sind Erzähler, die keine Wahrheiten vermitteln, sondern sie auflösen – und wissen wollen, was dann neu entsteht.