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Multimedia-Talent Karl Valentin

Karl Valentin war nicht nur ein Sprachakrobat, Volkssänger und Komödiant, sondern auch ein Multimedia-Künstler. Die Ausstellung "Karl Valentin. Filmpionier und Medienhandwerker" im Berliner Martin-Gropius-Bau beleuchtet diese Seite des Komikers. Eine weitergehende Einordnung des filmischen Werkes bleibt die Schau dem Besucher allerdings schuldig.

Von Frank Hessenland | 24.01.2008
    Fremd, fast wie eine Montage wirkt das Foto, auf dem der schlaksige Münchener Karl Valentin in schwarzem Anzug mit Melone auf dem Kopf durch das Berliner Brandenburger Tor schreitet. Neben ihm zwei elegante Damen mit Bubikopffrisur, wallenden Pelzkrägen und Federboas. Soviel weltmännisches hätte man ihm, den man nur als viel zu dünn und groß geratene bayerische Kunstfigur mit der jungenhaften Lisl Karlstadt an seiner Seite in irgendeiner Münchener Hinterhofwerkstatt kennt, irgendwie gar nicht zugetraut.

    Genauso überraschend sind die vielen geradezu sehnsüchtig geschriebenen Artikel aus den Berliner Gazetten über Valentin, die im Martin-Gropius Bau-gleich daneben schwarz-gerahmt präsentiert werden. "Valentin – endlich wieder in Berlin” heißt es da. Es wird berichtet, wie Valentin Taxi fährt, den Zoo besucht, das viele elektrische Licht der Reichshauptstadt kommentiert und wie oft und wann er wieder im sogenannten "Kabarett der Komiker" – der heutigen Schaubühne und damals vielleicht bekanntesten Unterhaltungsbühne Europas- auftritt. Er bekam dort die höchste Gage, die je gezahlt wurde, spielte immer vor ausverkauftem Haus. Kein Zweifel, betonen auch Matthias Knopp und Hans Peter Reichmann die Kuratoren der Ausstellung "Karl Valentin - Filmpionier und Medienhandwerker", Valentin war in Berlin eine große Nummer, eine bekannte Person an der niemand vorbei kam. Brecht arbeitete mit ihm, Max Ophüls. Brecht beurteilte ihn sogar als ebenbürtig zu Charlie Chaplin und besser als Clown Grock.

    In der Ausstellung kann man sich davon jedoch nur bedingt ein eigenes Urteil bilden. An Material über Valentin mangelt es zwar nicht, aber an Vergleichsmöglichkeiten und struktureller Ordnung.

    300 Exponate, 21 Filme, sowie einige Tonaufnahmen sind etwas für Valentin-Liebhaber. Plakate aus den 20ern kündigen ihn an, Fotos zeigen ihn, wie wir ihn kennen in den aberwitzigsten Kostümen, als Gendarm, Soldat mit Pickelhaube, Vagabund, Kellner, Vater. Eine bronzene Valentin-Hand ist zu sehen, Briefe an ihn und von ihm, sowie Karteikarten aus seinem künstlerischen Archiv. Eine interaktive Projektion gibt Einblick in sein größtes und gescheitertes Projekt eines Humormuseums mit Cafe und Filmraum und Folterkammer. Tatsächlich: die dort ausgestellten Wachsfiguren nehmen das künstlerische Environment und das ready-made irgendwie schon vorweg. Einzelne Filme, wie der mit Brecht gedrehte "Frisiersalon" haben vielleicht wirklich die Grenze zum Surrealismus eines Bunuel oder Max Ernst schon überschritten.

    Aber der Ausstellungsbesucher kann das nur dem Katalog oder den Gesprächen mit den Kuratoren entnehmen. Selbst anhand des Ausstellungskonzeptes überzeugen kann er sich nicht.

    Für wirklich weitergehende Einblicke hätte es vielleicht parallel Filme der Surrealisten aus dieser Zeit gebraucht. Auch ein Vergleich mit Chaplin oder Grock in Ton und Bild wäre interessant gewesen. Genauso wie eine Auseinandersetzung mit der Frage, warum ist Valentin denn eigentlich 1948 arm, krank, einsam und vergessen gestorben? Litt er an dem Kulturbruch 1933, der mit den freizügigen Kabaretts in Berlin und München, den Schwulen, Juden, Schwarzen, den Nackttänzerinnen auch die ganze Modernität aus Deutschland auskehrte? Litt er darunter? Opponierte er gar? Wenn ja, wie? Wenn nein, wie nicht? Galt er, der in den Zwanzigern so weltmännisch als Filmpionier und Komiker vom Schlage eines Chaplin durchs Brandenburger Tor marschierte später als nur noch Zarah Leander von fernen Südseeinseln sang, als staatstragend oder als zersetzend? Was nahm man ihm nach dem Krieg so übel, als sein Comeback im Bayerischen Rundfunk in Zuschauerprotesten erstickt wurde?

    Wer sich solche Fragen stellt, findet in der Ausstellung "Karl Valentin. Filmpionier und Medienhandwerker" mit ihren vielen schönen und liebevoll präsentierten Nachlassstücken keine Antworten.