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Mumbai für den Weltgeschmack

Unerhört: Ein Junge aus den Slums Mumbais im Finale des indischen "Wer wird Millionär", eine 20-Millionen-Rupie-Frage, deren Antwort im Leben des Jungen liegt. Ein bildschönes Mädchen, ausdrucksstarke Bilder aus Glamour und Gosse: Acht Oscars war das Bollywoodstück Hollywood wert - zu recht?

Von Josef Schnelle | 14.03.2009
    "Moderator: 'Willkommen zum Finale von "Wer wird Millionär" Der heutige Abend ist – das darf ich wohl sagen -, ist der Bedeutendste in unser beider Leben. Die letzte Frage, mit der er ungeheuerliche 20 Millionen gewinnen kann. Bist du bereit für diese Frage?'

    Jamal: 'Ja.'"

    Das Pathos der alles entscheidenden Millionenfrage ist bekannt. In Deutschland stellt allerdings Günther Jauch die Fragen, und stets so, als wisse er alles, besser noch, als habe er die Fragen erfunden. Natürlich ist das falsch. Ein Team freier Mitarbeiter sucht sorgfältig nach Fragen, deren Beantwortung sich möglichst viele Zuschauer zutrauen, die aber so schwer zu beantworten sind, dass der Sender nicht pleitegeht. Das ist in vielen Ländern der Erde nicht anders, und in Indien schon gar nicht. Dort ist der Hauptpreis 20 Millionen Rupien, was aber gerade mal 300 000 Euro sind, aber einem Jungen aus den Slums von Mumbai eine komfortable Zukunft verspricht. Nach dem Roman "Rupien, Rupien" von Vikas Swarup hat der britische Regisseur Danny Boyle daraus den Oscar-reifen Film "Slumdog Millionär" gemacht. Der Film übernimmt die Hauptthese des Romans: Jamal kann alle 12 Fragen richtig beantworten, weil deren Antworten in Wahrheit einmal in seinem Leben als Slumkind eine wichtige Rolle gespielt haben. Zum Beispiel, als ein berühmter Bollywoodstar direkt auf seiner Müllkippe mit dem Hubschrauber landet.

    "Stimme: 'Amitat kommt im Hubschrauber.'

    Jamal (als Kind): 'Amitat? Amitat Bakshan?'"

    Einmal richtig wäre Zufall. Zwölf Mal richtig, das ist Bestimmung, Schicksal, Melodram. Jamal wird vor der letzten entscheidenden Frage aus dem Verkehr gezogen und von einem Polizisten verhört. Wie kann es sein, dass ein ungebildeter Junge aus den Slums all diese klugen Fragen richtig beantwortet. Am Ende kapituliert der Polizist, nicht ohne – Achtung, Sozialkritik! –, vorher den Nutzen brutaler Folter ausprobiert zu haben.

    "Polizist: 'Das ist auf sonderbare Weise plausibel. Trotzdem?' Jamal: 'Weil ich ein Slumdog bin. Da muss ich doch lügen.'
    Polizist: Die meisten sind so. Aber sie sind kein Lügner, Mister Malik, so viel ist sicher. Sie sind zu aufrichtig.'"

    Mit jeder Frage wird eine Episode aus dem Leben des "Slumdogs" Jamal und seines Bruders Samil fällig und alles läuft darauf hinaus, dass Jamal seiner großen Liebe Latika wieder begegnen wird, einem schönen kleinen Mädchen aus den Slums, das zu einer betörenden jungen Frau herangewachsen ist. Da ahnt man ja schon das Happy-End des glücklichen Märchens. Sicher, man kann das extrem Konstruierte der Handlung, das einem jeder Drehbuchcoach der Welt als wenig glaubhaft um die Ohren gehauen hätte, erst einmal akzeptieren. Trainspotting-Regisseur Danny Boyle bemüht sich redlich, die Episoden aus dem harten, aber intensiven Leben der Hauptfiguren als knallige Blitzlichter auf den Alltag von Indiens Unterschicht zu inszenieren. Die Kamera tanzt und holt alles aus den niedlichen Laiendarstellern heraus, die nach dem Oscartriumph hoffentlich nicht zurück müssen in ihre Slumquartiere. Doch dann siegt doch immer mehr der schnulzige Herzschmerz Hollywoods in der Überhöhung, die er durch Bollywood, der indischen Variante des Films, als Opium fürs Volk aus Mumbai angenommen hat. Einer driftet ab ins Verbrechen und opfert sich zum Finale doch noch auf für den so oft hintergangenen Bruder. Der geht als reiner Tor ganz heil hindurch und kriegt am Ende auch sein Mädchen. Alles ist Schicksalsfügung, und der Tanz auf den Müllbergen ein reines Vergnügen. Man kann das durchaus ganz naiv genießen als schöne Stunden im Kino. In Wahrheit bedeutet "Slumdog Millionär" und sein absehbarer Erfolg aber nur, dass auch das bisher nach autonomen Gesetzen funktionierende Bollywoodkino im globalen Mainstream angekommen ist, weswegen das Finale des Films mit einem waschechten Bollywoodsong auf dem Zentralbahnhof von Mumbai gefeiert wird. Wohl bekommt's. Danny Boyle macht die Formel passend für den Weltgeschmack. Nachahmungstäter haben sich schon gemeldet.