Freitag, 29. März 2024

Archiv


Mund und Moral

Biologie. - Ekel hat eine biologische Funktion. Naserümpfen, Augenschließen, Mundverziehen verhindern, dass irgendetwas Schädliches in den Körper gelangt. Eine kanadische Biologin hat jetzt entdeckt, dass auch der moralische Abscheu aus dieser Quelle herrührt.

Von Volkart Wildermuth | 27.02.2009
    In Schwaben sagt man, "des hat a Gschmäckle" wenn etwas unsauber ist – im moralischen Sinne wohlgemerkt. Dr. Hanah Chapman hält das für mehr als eine bloße Redensart. Die Vorstellung einer reinen Verstandesethik scheint ihr etwas luftleer.

    "Moralische Regeln bringen nichts, wenn man sich nicht um sie kümmert."

    Erst starke Gefühle sorgen dafür, dass man das Richtige nicht nur weiß, sondern auch tut. Und der unwillkürliche Ekel ist sicher eines der stärksten Gefühle. Die Verbindung vom Mund zur Moral untersucht Hanah Chapman am "Affect and Cognition Lab" der Universität Toronto. Um den Ekel wissenschaftlich zu fassen bedient sie sich bei Darwin. Der hatte sich über die Evolution der Gefühle Gedanken gemacht und festgestellt: zu jeder Emotion gehört ein bestimmter, nützlicher Gesichtsausdruck. Chapman:

    "Wer sich ekelt schließt die Augen, rümpft die Nase und zieht die Oberlippe hoch. So können unreine Dinge nicht in Auge und Lunge geraten."

    Dafür sorgt ein Muskel namens Levator labii. Seine Aktivität kann man mit einer Elektrode neben der Nase messen. Den Ekelmuskel spannten die 27 Versuchspersonen in Toronto nicht nur bei bitteren Getränken und Bildern von Kot oder Insekten an, sondern auch, wenn sie unfair behandelt wurden. Beim Ultimatum-Spiel teilt der Versuchsleiter zehn Dollar auf. Die Testperson kann dann entschieden, ob sie das Angebot annimmt. Ein faires Angebot, also eine Aufteilung fünf Dollar zu fünf Dollar oder auch sechs Dollar zu vier Dollar wird akzeptiert. Wenn die Versuchspersonen aber nur einen der zehn Dollar erhalten sollten, lehnten sie meist ab. Sie verzichteten auf den Dollar, um das Gegenüber für das unfaire Angebot zu bestrafen. Eine moralische Entscheidung, die von einem starken Gefühl des Ekels und der Abneigung begleitet war, der Muskel Levator labii verriet es. Chapman:

    "Das ist die gleiche Reaktion wie bei den ganz einfachen Formen des Ekels, und die zeigte sich auch bei der unfairen Behandlung in unserem Spiel. Das ist bislang der beste Beleg dafür, dass die Leute bei diesen verschiedenen Situationen tatsächlich etwas ähnliches fühlen."

    Wenn sie ihre Gefühle in Worten beschreiben sollen, erwähnen sie auch Wut oder Traurigkeit, aber es ist der Ekel, der am besten ihr Handeln voraussagt. Das Muskelzucken im Levator labii verrät, ob sie das unfaire Verhalten bestrafen werden. Es scheint also tatsächlich so, die Moral kommt durch den Mund. In der Evolution entstand schon bei den Seeanemonen eine Abwehrreaktion auf schädliche Nahrungsmittel. Bei den Säugetieren kam zu dem schützenden Muskelzucken des Levator labii das Gefühl des Ekels, das dafür sorgt, dass bitteres Essen und infektiöser Kot oder Insekten vorsorglich gemieden werden. Chapman:

    "Wir glauben, dieses alte Ekelsystem konnte dann für die soziale Welt auf neue Weise genutzt werden. Als die Menschen komplexere Gesellschaften entwickelten, mussten sie Verhaltensweisen ausgrenzen, die die Normen verletzen. Die Evolution hat sich dafür nichts Neues einfallen lassen, sie hat einfach den Geltungsbereich des Ekelgefühls ausgeweitet."

    Wer sich ekelt, wendet sich ab, unfaire Mitmenschen werden gemieden, ihr Verhalten hat weniger Chance, zum Erfolg zu führen. Darwin hätte diese evolutionäre Verbindung vom Mund zur Moral sicher gefallen.