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Mundorgel und Hagebuttentee

Was als einfache Unterkunft mit Schlafsaal und kaltem Wasser begann, hat sich mittlerweile zur luxuriösen Unterkunft mit Frühstücksbüfett und Fernsehraum gemausert: Die Jugendherberge feiert ihr 100-jähriges Bestehen.

Von Sabine Demmer |
    "Wir gehen jetzt hoch in die Kissenschlachtarena. Da habt ihr genügend Platz. Dann zeig ich euch, wie früher Wolldecken gefaltet wurden, damit man die Betten nicht schmutzig macht. Und dann wollen wir mal sehen, wie schnell ihr das nachmachen könnt."

    "Ich bin der Schnellste."

    "Dann gehen wir jetzt mal die Treppe hoch in den zweiten Stock."

    Zehn Kinder rasen die Holztreppe hoch in der Jugendherberge Solingen-Burg. Die Jugendherbergsleiterin Bianca Mertensacker schließt die Tür zu einem großen Raum auf.

    "So, hereinspaziert. Das ist die Kissenschlachtarena."

    An den Wänden stehen einzelne Holzbetten mit gestreiften Matratzenbezügen. Die Kinder setzen sich und hören ihrer Herbergsmutter erwartungsvoll zu.

    "Früher 1909 sind die Klassenfahrten so durchgeführt worden. Da geht ein Lehrer mit seinen Schülern wandern. Das hat er sich früher überlegt. Da gab es ja noch keine richtigen Jugendherbergen. Da haben die in alten Schulen geschlafen. Da gab es diese großen Klassenräume, wo alles unterrichtet worden ist von der ersten bis zur sechsten Klasse. Da sind die Tische und Stühle zur Seite geschoben worden. Dann haben die sich ein Lager hergerichtet. Dann lagen da Matratzen rum. Das waren diese tollen Bezüge, nicht diese Zudecken, diese weichen kuscheligen, die wir heute haben. Was es dann gab, war Wolldecken, damit einem nicht zu kalt wurde. Früher waren die auch kratziger als hier die. Und es gab Schlafsäcke, die waren aus Leinen. Laken, damit die Wolldecken nicht dreckig werden. Wenn ihr mal überlegt, mit den dreckigen stinkigen Füßen. Kaltes Wasser haben die benutzt. Ich mach auf: kalt, es wird kälter."

    Eifrig diskutieren die Kinder, wie es wohl vor 100 Jahren in einer Jugendherberge zuging.

    "Da haben sie per Hand gewaschen. Heute waschen wir mit der Waschmaschine."

    "Nicht so gemütlich, vielleicht musste man auf einer ganz dünnen Matratze auf dem Boden schlafen."

    "Ganz viele in einem Raum, keine Zahnbürste."

    "Ich stelle mir das so vor, dass sie auch noch keine elektrischen Duschen hatten, sondern mit einem Schlauch mit eiskaltem Wasser."

    "Also, die Betten sind jetzt schon steinhart, aber ich glaube die waren damals bestimmt noch härter. Bestimmt nicht so luxuriös."

    ""Ich glaube die hatten auch keine Kaffeemaschinen. Ich glaube meine Mutter würde die Kaffeemaschinen vermissen."

    Auch Herbergsleiterin Bianca Mertensacker erzählt, dass sich seit dem Beginn der Jugendherbergen vor 100 Jahren vieles verändert hat.

    "Die Größe der Schlafsäle ist zurückgegangen. Früher mussten die Kinder sehr viel mehr mithelfen. Da muss man sich vorstellen, da war nur ein Herbergsvater und eine Herbergsmutter vor Ort. Die Herbergsmutter hat gekocht, der Herbergsvater hat alles repariert und instand gehalten und die Verwaltung gemacht. Das ist ganz anders geworden. Wir haben viel mehr Personal zwangsläufig."

    Schon sehnsüchtig warten die Kinder auf die Kissenschlacht. Vorher gibt es allerdings noch andere Disziplinen. Bettdeckenwettfalten steht an.

    "Das müsst ihr nämlich einmal der Länge nach falten. So, das legt ihr einmal übereinander. Das muss auch schön und ordentlich sein, sonst gibt es einen Punktabzug nachher. Das schaffst du doch, du bist doch schon ein großer Kerl."

    "Ich kann so was nicht. Meine Mutter macht das immer."

    "Dann wird es allerhöchste Zeit, dass du der mal helfen lernst. Der nächste Muttertag kommt bestimmt. Wann denn, in fünf Jahren? Wann denn?"

    "Ich werde es auch in fünf Jahren nicht mehr können."

    "Ich glaube, da haben wir noch eine klassische Rollenverteilung in der Familie."

    "Das können Sie sich abschminken."

    "Sollen wir jetzt mal die Zeit stoppen wie lange ihr dafür braucht."

    Es scheint als hätten die Jungs an diesem Spiel nicht wirklich Freude. Die Mädchen sind hier eindeutig im Vorteil.

    ""Das ist ja perfekt."

    "Das ist mein erstes Mal."

    "Aber Teamwork ist besser als das alleine zu machen. Also, du hilfst deiner Mutter demnächst im Haushalt."

    "Wenn ich mich noch an die Sache erinnern kann, dann mach ich das liebend gerne."

    Schlafen müssen die Kinder später in den so gefalteten kratzigen Wolldecken nicht. Sonst soll aber alles so sein wie vor 100 Jahren. Dazu gehört natürlich auch, dass gesungen wird. Beim Wandern, und abends beim Stockbrotrösten am Lagerfeuer. Und so ist es immer dabei - das kleine rote Buch: die Mundorgel.

    ""Die Affen rasen durch den Wald. Wo ist die Kokosnuss, wer hat sie geklaut."

    Und eins ist sicher. An den schiefen Klängen der Kinder hat sich seit 100 Jahren sicherlich nichts geändert.