Zouhair Yahyaoui und ein halbes Dutzend Freunde schrieben unter Pseudonymen über Menschenrechts-verletzungen, Korruption und Zensur im Einparteienstaat Tunesien, mal ernsthaft, mal satirisch: Bei einem Spaß-Referendum sollten die Besucher per Mausklick entscheiden, wofür sie Tunesien hielten: eine Republik, eine Monarchie, einen Zoo oder ein Gefängnis. Diese Persiflage auf die pompös inszenierte Volksabstimmung, mit der Ben Ali im Mai 2002 die Verfassung ändern ließ, um bis 2009 im Amt bleiben zu können, plus eine fiktiv-satirische Meldung über angebliche Attentatspläne gegen den Staatspräsidenten brachten das Faß wohl zum Überlaufen: Am 4. Juni 2002 wurde Yahyaoui an seinem Arbeitsplatz mit großem Polizeiaufgebot verhaftet. Die Beamten sollen ihn schwer mißhandelt haben, um die geheimen Zugangsdaten zur Webseite aus ihm herauszupressen. Am 11. Juli wurde Yahyaoui wegen angeblicher "Verbreitung falscher Tatsachen" und "unautorisierter Nutzung des Internets" zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Bedingungen, unter denen Zuhair Yahyaoui festgehalten wird, geben Anlaß zu großer Sorge. Als Sihem Ben Sedrine kürzlich in Tunis war, berichteten ihr die Mutter und die Geschwister über den schlechten Gesundheitszustand Zouhair Yahyaouis.
Die Haftbedingungen sind unvereinbar mit internationalen und tunesischen Gesetzesstandards. In seiner Zelle sind auf 32 Quadratmetern insgesamt 80 Gefangene zusammengepfercht. Sie schlafen jeweils zu zweit oder zu dritt auf schmalen Matratzen. Sie bekommen einmal pro Tag für 30 Minuten fließendes Wasser und dürfen einmal wöchentlich duschen, fünf Minuten lang. Zouhair darf oft nur alle zwei Wochen duschen. Er hat wegen der schlechten Ernährung und der mangelnden Hygiene seit einigen Wochen einen Abszeß im Mund, aber man hat ihm gesagt, er müsse mindestens noch zwei Wochen auf den Zahnarzt warten, bis nach dem Ramadan-Abschlußfest. Zeitungen und Bücher gibt es nicht, alle Briefe an ihn werden konfisziert. Diese Haftbedingungen sollen seine Persönlichkeit brechen, und seine Würde zerstören.
Sihem Bensedrine weiß, wovon sie spricht, denn sie war vor gut einem Jahr in derselben Situation. Die Feministin, Verlegerin und Herausgeberin der remiekritischen online-Zeitschrift "Kalima" hatte in einer Fernsehsendung in England über einen Korruptionsskandal in der tunesischen Präsidentenfamilie gesprochen; daraufhin wurde sie bei ihrer Rückkehr am Flughafen von Tunis festgenommen und wochenlang in Haft gehalten. Dank massiven internationalen Drucks kam sie frei, aber der immer noch ausstehende Prozeß wegen angeblicher Verbreitung von Falschinformationen zwecks Störung hängt wie ein Damoklesschwert über ihr. Zur Zeit lebt Sihem Ben Sedrine als Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte in der Bundesrepublik. Sie nutzt die Freiheit auf Zeit auch, um sich zusammen mit anderen Menschenrechtsaktivisten für Zuhair Yahyaoui einzusetzen. Zouhair Yahyaoui sei ein Symbol für alle, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigten, vor allem im Internet:
Bei uns gibt es zwar 180 Zeitungs- und Zeitschriftentitel, aber alle Presseerzeugnisse enthalten nichts als Propaganda für die Staatsmacht, in unterschiedlichen Formen und Abstufungen. Das Regime weiß genau, daß das Internet die einzige Informationsquelle für viele Menschen ist, und versucht deshalb, die Zugänge zu blockieren. Die Publinets, öffentliche Zugänge in Universitäten, private Internetanschlüsse, alles wird von der Informationspolizei überwacht, die über ausgefeilte Programme und technische Ausrüstung verfügt. Und nicht nur das, auch die Telefonverbindungen werden überwacht und gekappt.
Doch die Bürger lassen sich die staatliche Gängelei nicht gefallen. Eine Satellitenschüssel steht in Tunesien auf fast jedem Hausdach, und für diejenigen, die es sich leisten können bzw. sich damit auskennen, wird das Internet als Informationsquelle immer wichtiger. "Tunesiens Regierung will an Zouhair Yahyaoui ein Exempel statuieren, das die Menschen abschrecken soll, ihr Recht auf Meinungsfreiheit einzufordern" kommentierte Robert Menard von Reporters Sans Frontieres in Frankreich den Fall. Angesichts der massiven Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Land mutet es absurd an, daß der UNO-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft im Jahr 2005 ausgerechnet in Tunesien stattfinden wird.