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Munteres Treiben auf der Bühne

Sascha Reh, der 1974 in Duisburg geboren wurde, studierte an der Ruhr-Universität Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft. Nach dem Wechsel nach Wien besuchte zusätzlich die Filmhochschule. Er war Koautor eines Kurzfilm-Drehbuchs und verfasste seine Magisterarbeit über die "Geschichte der Filmtheorie".

Von Cornelia Staudacher | 23.03.2011
    Zu schreiben begann er bereits mit 15 Jahren. Erzählungen und Short Storys erschienen in verschiedenen Literaturzeitschriften; im Ruhrgebiet ist er seit Langem kein Unbekannter mehr; er erhielt 2004 und 2008 den Literaturförderpreis Ruhr. "Falscher Frühling" ist sein erster Roman. Weitere liegen bisher unveröffentlicht in der Schublade seines Schreibtischs. Im bürgerlichen Beruf ist Sascha Reh, der sich während seines Studiums den Lebensunterhalt als Betreuer straffällig gewordener Jugendlicher verdient hatte, Familientherapeut. Er lebt mit Frau und Tochter in Berlin-Neukölln.

    "Später Frühling" spielt an einem einzigen Tag und in der darauf folgenden Nacht. Inhaltliche Vielschichtigkeit und epische Breite erhält der Roman, der im Theatermilieu spielt, durch die vielen, geschickt platzierten Rückblenden. Im Zentrum steht ein in die Jahre gekommener Schauspieler, Lothar Lotmann, der noch einmal versucht, mit einer Inszenierung des "Torquato Tasso" Furore zu machen. In Goethes Drama geht es um das diffizile Verhältnis von emotionalen Werten und gesellschaftlichen Verhaltensnormen, das auch im Leben Lotmanns, seiner Frau Emilie und der gemeinsamen Tochter Franziska auf die Probe gestellt wird. Franziska ist Architektin, die sich am liebsten im "Second Life" tummelt und demzufolge im realen Leben, vor allem mit der Liebe ihre Probleme hat.

    Enttäuschte Hoffnungen und übersteigerte Erwartungen lassen alle Beteiligten am Ende desillusioniert zurück, wobei der Autor sie nicht desavouiert. Ohne Häme oder Schadenfreude, aber mit Verve, Witz und einem ausgeprägten Sinn für das Tragikomische werden sie in ihrer Widersprüchlichkeit und Hoffnungslosigkeit ausgeleuchtet: Spieler im großen Welttheater, das Leben heißt.

    "Vielleicht kann man es am besten von Ende her sehen. Im Epilog wird ganz offenbar, dass die Figuren, die innerhalb des Romans agieren, plötzlich aus ihren Rollen heraustreten. Und das ist halt so eine Utopie, die Schauspielern gelingt, wenn sie ihre Rolle ablegen, nachdem sie gespielt haben und darüber nachdenken, was hat denn der da eigentlich gemacht, wie ist der denn eigentlich. Und das ist halt etwas, das im wahren Leben nicht geht und das auch den Figuren im Roman nicht gelingt. Die sind sozusagen Gefangene ihrer Rollen."

    Einzig Franziska, der es zum ersten Mal gelingt, die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes auf sich zu ziehen, der ihr nicht mehr von der Seite weicht, was sie mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Genugtuung registriert, erlebt diesen Abend wie den Beginn eines neuen Lebens.

    Die anderen, vor allem Emilie, die sich gerade einen neuen Liebhaber angelt, manövrieren sich in Situationen, denen in ihrer absurden Komik etwas Schwankhaftes anhaftet. Das Erzähltempo nimmt zu, die kürzer werdenden Szenen folgen Schlag auf Schlag, und man hat den Eindruck, dem munteren Treiben auf der Bühne eines Boulevardtheaters beizuwohnen.

    "Das ist interessant, dass Sie das sagen. Ich habe Schwank nicht unmittelbar vor mir gehabt, oder es war kein Ziel, daraufhin zu schreiben. Ich hatte eher im Sinn, den Rhythmus einfach zu beschleunigen in dieser Passage, weil da sehr vieles, sehr viel Gleichzeitiges passiert, sehr viel Weichen Stellendes sozusagen, wo sich zeigt, das funktioniert alles nicht, was die sich ausgedacht haben. Die Annäherung von Emilie und Philipp funktioniert nicht, die sie eigentlich sich fürs Hotelzimmer vorbehalten hatten, beim Lothar funktioniert's nicht, seine ehemaligen Mitstreiter wieder ins Boot zu holen, das geht auch völlig in die Hose. Ja einzig bei Franziska passiert gleichzeitig so was wie eine Annäherung, wo man dann später erfährt, dass es tatsächlich auch ein kathartischer Moment für sie ist."

    Sascha Reh schreibt gekonnt, fast routiniert und man könnte meinen, er habe das Schreiben von der Pieke auf gelernt. Dabei hat er nur ein einziges Mal an einer Schreibwerkstatt teilgenommen, eben 2007 im Literarischen Colloquium Berlin. Und das stellte sich als Initialzündung heraus, den ursprünglich als Erzählung geplanten Stoff zu einem Roman auszuarbeiten. Im Übrigen geht er bis heute seinem Brotberuf als Familientherapeut nach. Zum Romanschreiben bleiben da fast ausschließlich die Morgenstunden zwischen fünf und acht.

    "Erstens wär's nicht anders zu machen, weil man ja auch von irgendwas leben muss, und ich möchte mich jetzt ungern auf diesen deutschen Subventionsbetrieb verlassen, sondern mich da selber auch am Laufen halten. Und zum Zweiten ist es eine Arbeit, die mir auch Spaß macht, weil ich gern mit Menschen arbeite und weil das einfach eine etwas bodenständigere Tätigkeit ist, als zum Beispiel mit Leuten aus dem Literaturbetrieb herumzuhängen. Da wird man ja bekloppt." (lacht)

    Die praktische Arbeit im sozialpsychiatrischen Dienst und die Erfahrung im Umgang mit den alltäglichen Problemen der Ratsuchenden haben sich auf inspirierende Weise in dem Roman niedergeschlagen, bei dem es ja auch um die Widersprüchlichkeit der Gefühle und die Suche nach einem passenden Lebensentwurf geht. Der klare Blick auf die gesellschaftliche Realität führt zu plausiblen Momentaufnahmen und bewahrt den Autor vor einem Abgleiten ins Kitschig-Triviale oder Kapriziöse.

    " Ich werde immer nicht müde zu betonen, dass das ein unerschöpfliches Reservoir sein könnte an Geschichten, oder auch einfach Menschenmomentaufnahmen. Aber da findet sich relativ wenig von in dem Roman, einfach, weil ich das nicht ausbeuten möchte. Wovon ich sehr profitiert habe, glaube ich, auch für den Roman, ist ein bestimmter struktureller Blick. Die Figuren sind eben frei erfunden, und da ist sehr viel auch von eigenen Ängsten und Befürchtungen drin, und dann glaube ich, wenn man da nahe dran ist oder sich nah drauf einlässt, dann hat man schon mal eine ganze Menge."

    "Schreibt, was ihr wollt, aber so, dass es jedem Rollkutscher verständlich ist", hat Leo Tolstoi einmal gesagt. Das klingt wie ein Rezept für gute und unterhaltsame Literatur, wie sie vorzugsweise in der zeitgenössischen amerikanischen Prosa anzutreffen ist. Bei jener amerikanischen Schriftstellergeneration eines Philipp Roth oder Thomas Pynchon scheint Sascha Reh in die Schule gegangen zu sein.

    "Thomas Pynchon, den ich schwierig zu lesen finde, von dem ich aber manche Sachen, besonders 'Vineland', ganz großartig finde, und der das schafft, trotz eines fantastischen Sujets teilweise sehr realistische Figuren zu schreiben, der hat mal gesagt, sei nur ein bisschen zu raffiniert und dir sterben die Figuren auf dem Papier weg wie die Fliegen. Das ist sozusagen etwas, was ich meinen früheren Romanen vorwerfe, die wollten verdammt raffiniert sein und so weiter. Aber die Figuren waren wie Zombies."

    Man möchte Sascha Reh ermutigen, den einen oder anderen der im Schreibtisch ruhenden Romane ruhig einmal hervorzuholen und nach gebotener Überarbeitung zu veröffentlichen.

    "Falscher Frühling" jedenfalls ist ein ebenso unterhaltsamer wie klug konstruierter Roman. Seine Charaktere sind glaubwürdig, die Dialoge knapp und klar. Ernst und heiter, ironisch und melancholisch zugleich, ist er ein intelligenter Schmöker und geeignet, der Leselust mit Herz und Verstand zu frönen.

    Sascha Reh, Falscher Frühling. Roman.
    Verlag Schöffling & Co. Frankfurt/M. 2010, 366 Seiten, 19,95 Euro