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Muppets pur

Christoph Schlingensief will seine frühe These, dass jeder in Deutschland Fernsehen machen kann, ihrer "bildschirmfüllenden Verwirklichung" zuführen. Wie das geht? Schlingensief übernimmt den Steuerknüppel der Fernsehmaschine und startet "Die Piloten" mit einem Dauertalk und jeder Menge prominenter Gäste in der Akademie der Künste in Berlin.

Von Michael Laages |
    Es steht ja ernstlich zu befürchten, dass der einstige Fernseh-Tröster Jürgen Fliege bis zum Schluss, und selbst noch, als sogar der Gastgeber vor unterdrücktem Lachen kaum mehr an sich halten konnte, nicht wirklich mitbekommen hat, was hier eigentlich gespielt und wie ihm mitgespielt wurde. Fliege, immer noch schwerst beleidigt, dass die ARD ihn nicht mehr haben will, stürzte sich jedenfalls mit unbeirrbarer Tröster-Energie auf Frau Peschke und Michael, ihren behinderten Sohn. Nur einmal, zu Beginn und auch nur für einen Moment, stolperte er darüber, dass der einen ganz anderen Nachnamen trägt. Als Michael dann aber später auch noch beharrlich von einer ganz anderen Mutti als Frau Peschke erzählte und auch Schlingensief immer öfter, fast mit dem Holzhammer, darauf hinwies, dass dies doch womöglich ein Fake, eine Fälschung sein könnte, blieb Fliege stur der Trösterich vom Dienst.

    Um ihn endgültig zu erwecken aus seiner Mission, wurde ihm sogar noch ein weiterer Trost-Empfänger zugeführt: angeblich selber Pastor, aber exkommuniziert, weil er sich schutzbefohlenen Kindern zu sehr genähert habe. Armer Fliege, er war in der zweiten Folge des ersten Abends dran, und hätte er auch schon die erste gesehen, wäre ihm vielleicht ja doch aufgefallen, dass der Pastoren-Darsteller da noch der Alzheimer-Papa eines anderen Schlingensief-Vertrauten war. So aber blieb er ganz und gar im Tröster-Wahn gefangen. Und vielleicht erfährt Fliege ja im Ernst erst jetzt, dass er Schlingensiefs Theaterpersonal aufsaß, also diesen hinreißenden Menschen-Darstellern und Darsteller-Menschen aus verschiedensten Heimen und betreuten Wohngruppen am Psychorand der Gesellschaft: Achim und Helga und Horst und Michael und Gisela und eben auch Frau Peschke.

    Aber bitte jetzt kein Mitleid für einen wie Fliege, einen aus jener Kaste schamloser und schmerzunempfindlicher Medien-Schranzen, die allesamt genau in eine Talkshow wie die von Schlingensief gehören: the Talk to end all Talk; die Talkshow, mit der diesem elenden Fernsehformat nach dreieinhalb Jahrzehnten endlich und gnädig das Sterbeglöcklein geläutet werden könnte.

    Schliengensief behauptet natürlich vorsichtshalber das Gegenteil – neue Formate fürs alte Medium wolle er mit dem Piloten-Palaver markieren. Geschenkt. Natürlich ist hier die schrille Travestie der Talk-Kultur zu besichtigen, obwohl die Versuchung ziemlich groß ist und mit der Zeit auch zunimmt, vor Verzweiflung, Ekel und Scham auch mal Augen und Ohren zu verschließen für eine Weile, vor diesem schier unbremsbaren Strom aus Quark und Quatsch, der sich (fast wie im richtigen Fersehen) hier auf die kreisende Trash-Bühne ergießt. Die entstammt übrigens Schlingensiefs "Animatographen”-Schau und ist ein wirklich guter Witz. Sie ist nämlich winzig und bietet neben den TV-Kameras nur Platz für sieben, bestenfalls acht Sitzgelegenheiten. Es tummelt sich aber gegen Ende der Shows jeweils etwa doppelt so viel Personal auf diesem Mini-Podest. Und dieses Chaos markiert, natürlich, die Methode.

    Einmal nur in zweimal 90 Minuten (die dann auf zweimal 30 zusammen geschnitten werden müssen, ein Höllenjob; dem Regisseur schon jetzt mein herzlichstes Beileid!), einmal nur will der Gastgeber wirklich was wissen, vom gerade zum Großkünstler geadelten früheren Zeremonienmeister des Orgien- und Mysterien-Theaters Hermann Nitsch. Wie denn der in Bayreuth gearbeitet hätte, was er anders gemacht hätte zum Beispiel mit dem "Parsifal”. Schlingensiefs Regie-Fassung wird in diesem Sommer ja letztmalig wieder aufgenommen auf dem Grünen Hügel. Nicht, dass Nitsch die Frage irgendwie beantwortet hätte, aber dieses eine Mal nur ist erkennbar Interesse im Talkshow-Spiel. Sonst nicht. Sonst nie.

    Sie sind alle nur Stichwortgeber für Schliengensiefs holterdipolterwirre Monologe, und es ist zum Heulen komisch, wenn etwa in der ersten Runde der Dichter-Darsteller Rolf Hochhuth immer wieder anmerkt, dass er irgendetwas nicht verstehe und dann Akademie-Präsident Klaus Staeck, Hochhuths Plakat-Macher für den "Heil Hitler!”-Schmarrn in Berlin, begütigend einwirft: "Du Rolf, hier musst Du nicht alles verstehen!” Waldorf und Statler sind das live, das ist Muppet-Show pur.

    Dann kommt ein Augenchirurg auf die Bühne, weil Schlingensief selbst angeblich Malessen mit den Augen hat, dann - vorgestellt als "Freundin von Helge Schneider”, der seinerseits am Telefon in Dresden ist und einen hübschen Boogie-Woogie spielt - folgt ein vom Grasovka-Wodka ziemlich zugedröhntes Mädel mit einem noch viel zugedröhnteren Freund samt Klarinette. Sie schreit "Shalom-Shalom-Shalom” als Friedensliedchen ins Mikro. Dann (es soll ja irgendwie um Krankheiten gehen) ein behinderter Schauspieler mit "ameotropher Lateralsklerose”, dann die kleinwüchsige Frau Witt (auch sie Teil von Schlingensiefs vertrautem Bühnenpersonal), dann Achim und Helga, ebenfalls aus dieser Gruppe; Achim spielt, er sei blind. Dann, Gipfel des Irrsinns, folgt der offenbar inzwischen völlig im Gaga-Nirwana gelandete Schauspieler Rolf Zacher in Begleitung des an diesem Abend auch nicht viel zurechnungsfähigeren Regisseurs Oskar Röhler; dann die (echten) Künstler Jonathan Meese und eben Hermann Nitsch, dann der "Schaubühnen”-Jungstar Katharina Schüttler und eine gewisse Julia, die neuerdings mit im Parteirat der Grünen sitzt; und Kinder wie sie hat diese Partei verdient. Kaum einer übrigens kriegt auch nur einen geraden Satz auf die Reihe, schon weil Schlingensief das nicht zulässt. In Folge 2 sind Nitsch, Schüttler, Julia, Röhler und (immer betüdelter!) Zacher wieder da, außerdem in verschiedenen Rollen (und im durchaus vergnüglich verwirrenden Wechsel zwischen Echt & Fake) weitere Schlingensief-Spezis und Pastor Fliege eben als deren Opfer, ein sonst immer maskierter Rapper namens Sido, Gotthilf Fischer und Claus Grossner, der umstrittene Suhrkamp-Investor. Bei dessen intellektuell aufgebrezeltem Elbchaussee-Geschwätz muss es die Suhrkamp-Kundschaft übrigens wirklich mit der Angst bekommen, während Fischer das Lied von der Berliner Luft anstimmt und Sido zum Abschied eine Art Pups-Spray in die Luft sprüht.

    Da flieht dann sogar der bekennende Allergiker Schlingensief, aber der an sich eher dämliche Rapper wird einem richtig ein bisschen sympathisch. Einer jedenfalls hat Schlingensief wirklich ehrlich geantwortet.