Burkhard Müller-Ullrich: Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden macht immer wieder mit essayistischen Ausstellungen der besonderen Art Furore: Mal geht es um Hirnforschung, mal um die Zehn Gebote, dann um das Wetter, die Leidenschaften, den Sport und das Glück. Dieses Jahr blickt die Institution auf ihr 100-jähriges Bestehen und sie tut es unter anderem mit einer Tagung, die nicht nur die Geschichte des eigenen Hauses reflektiert, sondern aufs grundlegende Ganze geht. "Wozu Museen?" lautet der Titel. - Joachim Güntner, Sie haben diese "Lagebesprechung unter Freunden", wie es charmant im Programm heißt, gestern und heute verfolgt. Museen sind ja eigentlich ganz gediegene Institutionen, deren Existenz man einfach voraussetzt. Die Museen selbst stellen sich ja auch selten in Frage. Aber hier klingt das doch irgendwie anders.
Joachim Güntner: Ja es war natürlich schon so, dass es eine Menge von Voraussetzungen gibt, die gar nicht in Frage gestellt werden: Museum als Ort von Sammlung, Gedächtnis- und Erinnerungsspeicher, Lernort, heute auch Kommunikations- und Veranstaltungsort. Das sind alles schon Begriffe, die für das Museum kursieren, wobei man ja auch immer sagen muss, das Museum gibt es gar nicht. Es gibt ganz viele Museen, es gibt Kunstmuseen, es gibt Völkerkundemuseen, Kunstgewerbemuseen, es gibt Gummibärchen-Museen, Motorrad-Museen und so weiter und so weiter.
Müller-Ullrich: Nun haben Museen ja eigentlich immer etwas rückwärts Gewandtes. Der Begriff ist sogar ein bisschen belegt. Wenn man von irgendetwas sagt, es sei museal, dann ist das durchaus abwertend gemeint.
Güntner: Sehen Sie, das ist das Interessante, das so von den Museensleuten weder gedacht, noch gesprochen wird. Es ist ganz klar mittlerweile – und dazu waren, glaube ich, dann auch Erinnerungstheoretiker oder Erinnerungsforscher und Gedächtnisforscher wie Aleida Assmann und der Sozialpsychologe Harald Welzer eingeladen -, dass der Mensch Erinnerung gar nicht benutzt, um Vergangenheit zu konservieren, sondern um ein Mittel in die Hand zu bekommen, mit der Gegenwart im Blick auf die Zukunft umzugehen. Der eigentliche Bezugspunkt – das war eine der ersten Poenten des Museums – ist seine Ausrichtung auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit, und darum will von musealem Blick eigentlich niemand mehr etwas wissen, sehr wohl aber von so was wie Versenkung, Innehalten. Es gab gleichsam zwei Fraktionen an dieser Veranstaltung: Die einen waren die Emphatiker, die Emphatiker des Objekts, der Betonung der Aura, des Innehaltens, und die anderen, die dann mehr den kommunikativen und teilnehmenden oder partizipativen Aspekt betonten.
Müller-Ullrich: Nun ist das Wesentliche an einem Museum das Dingliche. Das heißt, es muss etwas ausstellen. Es ist ja nicht nur eine Stätte des Nachdenkens, so wie wir das jetzt hier treiben, rein virtuell, sondern das Museum muss was zeigen. Wie wichtig sind überhaupt Originale in dem Zusammenhang?
Güntner: Ganz strittige Frage. Die Museen selber beharren natürlich darauf, dass es enorm wichtig ist. Es gab an einem Abend gleich eine Kontroverse. Die Gegenposition hat Kathrin Passig eingeladen, die sozusagen als Internet-Frau und moderne Autorin und digitale Bohéme-Vertreterin dort war und die sich darüber beklagte, dass das Museum immer die Leimrouten der Gegenstände auslegt. Also die möchten mit diesen Leimrouten der authentischen Objekte gar nichts zu tun haben. Ich übertreibe jetzt etwas, aber es war im Grunde ihr Tenor zu sagen, warum digitalisiert ihr das nicht alles und stellt es online, dann habt ihr den Zugang, den ihr eigentlich verhindern wollt, und so muss ein modernes Museum aussehen, das ist ein Kommunikationsraum, habt euch nicht so mit euren Objekten. Und es gab natürlich genug Leute, denen das nicht gefiel, die dann sagten, aber wir haben das Haptische und man kann das Objekt dann drehen. Ich meine, Sie als Museumsbesucher können es auch nicht drehen, aber Sie können vielleicht herumgehen und verschiedene Lichteinfälle auf das Objekt sehen, dann wurden eben solche Aspekte betont.
Müller-Ullrich: Vielleicht noch ein Wort zu der Dichotomie Privat-Öffentlich. Wenn wir von Museum reden, meinen wir meistens eine Sammlung der öffentlichen Hand. Aber im Grunde gibt es natürlich jede Menge Privatmuseen. Ja das Sammeln als Trieb ist eine zutiefst private Angelegenheit.
Güntner: Das ist auch so und das hat auf der Tagung auch die Frage mit sich geführt, die unbequeme Frage für viele Museen: Warum sammeln in Museen, wenn es doch die Sammler tun.
Müller-Ullrich: Und wurde die beantwortet?
Güntner: Ja es hieß dann, wenn ihr diese Funktion ausgliedert, dann wird das eigentlich den Aufwand verkomplizieren und noch verteuern. Die Museen möchten eigentlich ganz gerne auf dieser Funktion des Bewahrens, Ordnens und Sortierens sitzen bleiben. Vielleicht noch ein wichtiger Aspekt ist natürlich der, dass Museen gar nicht mehr richtig kanonisch sein können. Die bürgerliche Gesellschaft hat es ja lange verstanden, ihre eigenen Interessen als allgemein gültige und ihre Kunstinteressen auch als allgemein gültige Bildungsinteressen zu definieren, und hat einen Kanon festgelegt. Das geht natürlich heute nicht mehr. Aleida Assmann hat dann stattdessen den Begriff des Horizonts ins Spiel gebracht und gesagt, Horizont ist sozusagen verbunden mit einem Standpunkt, den man einnimmt, man hat auch eine bestimmte ausgewählte Perspektive, und da kann es Horizontverschmelzungen geben. Aber dieses Kanonisch-Autoritäre, das Museum legt einfach fest, eine Expertenelite, die das bisher immer getan hat, festzulegen, was sammeln wir, was scheiden wir aus, das kann offenbar so nicht weitergehen. Das gehört auch mit zu den Legitimationszweifeln, die da entstehen.
Müller-Ullrich: Aber bei der Bestimmung der Frage, was wertvoll sei, die ja auf dem Kunstmarkt eine große Rolle spielt, da ist dieser Kanon schon noch in Kraft?
Güntner: Da ist er ganz sicher in Kraft. Aber in dieser Form, dass man über Etats, was Ankäufe betrifft, gesprochen hätte, das kam nicht vor.
Müller-Ullrich: Danke, Joachim Güntner. Das Deutsche Hygiene-Museum lud zur Feier seines 100. Geburtstages zu einer interdisziplinären Tagung ein unter dem Titel "Wozu Museen?".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Joachim Güntner: Ja es war natürlich schon so, dass es eine Menge von Voraussetzungen gibt, die gar nicht in Frage gestellt werden: Museum als Ort von Sammlung, Gedächtnis- und Erinnerungsspeicher, Lernort, heute auch Kommunikations- und Veranstaltungsort. Das sind alles schon Begriffe, die für das Museum kursieren, wobei man ja auch immer sagen muss, das Museum gibt es gar nicht. Es gibt ganz viele Museen, es gibt Kunstmuseen, es gibt Völkerkundemuseen, Kunstgewerbemuseen, es gibt Gummibärchen-Museen, Motorrad-Museen und so weiter und so weiter.
Müller-Ullrich: Nun haben Museen ja eigentlich immer etwas rückwärts Gewandtes. Der Begriff ist sogar ein bisschen belegt. Wenn man von irgendetwas sagt, es sei museal, dann ist das durchaus abwertend gemeint.
Güntner: Sehen Sie, das ist das Interessante, das so von den Museensleuten weder gedacht, noch gesprochen wird. Es ist ganz klar mittlerweile – und dazu waren, glaube ich, dann auch Erinnerungstheoretiker oder Erinnerungsforscher und Gedächtnisforscher wie Aleida Assmann und der Sozialpsychologe Harald Welzer eingeladen -, dass der Mensch Erinnerung gar nicht benutzt, um Vergangenheit zu konservieren, sondern um ein Mittel in die Hand zu bekommen, mit der Gegenwart im Blick auf die Zukunft umzugehen. Der eigentliche Bezugspunkt – das war eine der ersten Poenten des Museums – ist seine Ausrichtung auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit, und darum will von musealem Blick eigentlich niemand mehr etwas wissen, sehr wohl aber von so was wie Versenkung, Innehalten. Es gab gleichsam zwei Fraktionen an dieser Veranstaltung: Die einen waren die Emphatiker, die Emphatiker des Objekts, der Betonung der Aura, des Innehaltens, und die anderen, die dann mehr den kommunikativen und teilnehmenden oder partizipativen Aspekt betonten.
Müller-Ullrich: Nun ist das Wesentliche an einem Museum das Dingliche. Das heißt, es muss etwas ausstellen. Es ist ja nicht nur eine Stätte des Nachdenkens, so wie wir das jetzt hier treiben, rein virtuell, sondern das Museum muss was zeigen. Wie wichtig sind überhaupt Originale in dem Zusammenhang?
Güntner: Ganz strittige Frage. Die Museen selber beharren natürlich darauf, dass es enorm wichtig ist. Es gab an einem Abend gleich eine Kontroverse. Die Gegenposition hat Kathrin Passig eingeladen, die sozusagen als Internet-Frau und moderne Autorin und digitale Bohéme-Vertreterin dort war und die sich darüber beklagte, dass das Museum immer die Leimrouten der Gegenstände auslegt. Also die möchten mit diesen Leimrouten der authentischen Objekte gar nichts zu tun haben. Ich übertreibe jetzt etwas, aber es war im Grunde ihr Tenor zu sagen, warum digitalisiert ihr das nicht alles und stellt es online, dann habt ihr den Zugang, den ihr eigentlich verhindern wollt, und so muss ein modernes Museum aussehen, das ist ein Kommunikationsraum, habt euch nicht so mit euren Objekten. Und es gab natürlich genug Leute, denen das nicht gefiel, die dann sagten, aber wir haben das Haptische und man kann das Objekt dann drehen. Ich meine, Sie als Museumsbesucher können es auch nicht drehen, aber Sie können vielleicht herumgehen und verschiedene Lichteinfälle auf das Objekt sehen, dann wurden eben solche Aspekte betont.
Müller-Ullrich: Vielleicht noch ein Wort zu der Dichotomie Privat-Öffentlich. Wenn wir von Museum reden, meinen wir meistens eine Sammlung der öffentlichen Hand. Aber im Grunde gibt es natürlich jede Menge Privatmuseen. Ja das Sammeln als Trieb ist eine zutiefst private Angelegenheit.
Güntner: Das ist auch so und das hat auf der Tagung auch die Frage mit sich geführt, die unbequeme Frage für viele Museen: Warum sammeln in Museen, wenn es doch die Sammler tun.
Müller-Ullrich: Und wurde die beantwortet?
Güntner: Ja es hieß dann, wenn ihr diese Funktion ausgliedert, dann wird das eigentlich den Aufwand verkomplizieren und noch verteuern. Die Museen möchten eigentlich ganz gerne auf dieser Funktion des Bewahrens, Ordnens und Sortierens sitzen bleiben. Vielleicht noch ein wichtiger Aspekt ist natürlich der, dass Museen gar nicht mehr richtig kanonisch sein können. Die bürgerliche Gesellschaft hat es ja lange verstanden, ihre eigenen Interessen als allgemein gültige und ihre Kunstinteressen auch als allgemein gültige Bildungsinteressen zu definieren, und hat einen Kanon festgelegt. Das geht natürlich heute nicht mehr. Aleida Assmann hat dann stattdessen den Begriff des Horizonts ins Spiel gebracht und gesagt, Horizont ist sozusagen verbunden mit einem Standpunkt, den man einnimmt, man hat auch eine bestimmte ausgewählte Perspektive, und da kann es Horizontverschmelzungen geben. Aber dieses Kanonisch-Autoritäre, das Museum legt einfach fest, eine Expertenelite, die das bisher immer getan hat, festzulegen, was sammeln wir, was scheiden wir aus, das kann offenbar so nicht weitergehen. Das gehört auch mit zu den Legitimationszweifeln, die da entstehen.
Müller-Ullrich: Aber bei der Bestimmung der Frage, was wertvoll sei, die ja auf dem Kunstmarkt eine große Rolle spielt, da ist dieser Kanon schon noch in Kraft?
Güntner: Da ist er ganz sicher in Kraft. Aber in dieser Form, dass man über Etats, was Ankäufe betrifft, gesprochen hätte, das kam nicht vor.
Müller-Ullrich: Danke, Joachim Güntner. Das Deutsche Hygiene-Museum lud zur Feier seines 100. Geburtstages zu einer interdisziplinären Tagung ein unter dem Titel "Wozu Museen?".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.