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Museum der modernen Poesie

In einer Station der Metro Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge: / Blütenblätter auf einem nassen, schweren Ast. (Ezra Pound)

Martin Lüdke |
    Das saß.

    J. Alfreds Prufrocks Liebesgesang

    Komm, wir gehen, du und ich,/ wenn der Abend ausgestreckt ist am Himmelsstrich / wie ein Kranker ästhertaub auf einem Tisch;/ komm, wir gehen durch die halbentleerten Straßen fort,/ den dumpfen Zufluchtsort / ruhlos-verworfener Nächte in Kaschemmen / und schmierigen Restaurants zum Austern-Schlemmen: / Straßen, die dich wie ein lästiges Argument,/ das jede Tücke kennt, / zu überwältigenden Fragen führen …/ Oh, frage nicht ‚Wie bitte?', / komm, wir gehen zur Visite./ Frauen kommen und gehen und schwätzen so/ daher von Michelangelo

    Es ist heute kaum mehr vorstellbar, welche Wirkung damals, sagen wir, 1960, solche harmlosen Verse, solche schlichten Worte noch auslösen konnten. Ausgerechnet hermetische Gedichte, dunkel, unverständlich und - offenbar deshalb - provozierend. Man konnte sie gezielt einsetzen, der Effekt war garantiert, sonntags, beim Mittagessen in der kleinbürgerlichen Familie, in der Schule, den Universitäten.

    Frauen kommen und gehen und schwätzen so /daher von Michelangelo.

    Eine gängige Währung. Damit konnten wir, die Jungen, es ihnen, den Alten, regelrecht heimzahlen. Solche kleinen, harmlosen Gedichte zündeten wie Sprengsätze im gesunden Menschenverstand. Sie waren allerdings mit dieser Absicht gemacht. Sie waren so gemeint.

    Bahnhofskonzert

    Kein Atmen mehr. Das Firmament voll Maden. / Verstummt die Sterne, keiner glüht. Doch über uns, Gott siehts, Musik, dort oben - / Der Bahnhof bebt vom Aonidenlied. Und wieder ist die Luft, zerrissen von Signalen, / die Geigenluft, die ineinanderfließt. (…) Die Eisenwelt, sie schäumt, schäumt vor Musik - / Mir ist, als bebte sie am ganzen Leibe - Ich steh im Glasflur, lehne mich zurück. / Wo willst du hin? Es ist die Totenfeier / Des Schattens, der dort ging. Noch einmal war Musik. (Ossip Mandelstam)

    Was heute als rührende Überschätzung erscheinen dürfte: das Gedicht galt damals, fünfzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, tatsächlich noch als Waffe, im geistigen Überlebenskampf ganzer Generationen.

    Der Schriftsteller und Verleger Otto F. Walter hat mir einmal erzählt, mit welchen Schwierigkeiten er Anfang der sechziger Jahre zu kämpfen hatte, als er im Walter-Verlag, (s)einem Schweizer Familienunternehmen, politisch brisante Bücher, aber auch nur moderne Literatur verlegen wollte. Alles, was den Eignern des Verlags, mithin seiner eigenen, allerdings schwer katholischen Familie, politisch als ‚links' erschien, verursachte, teils massive, Probleme. Als Walter jedoch, 1964, die ersten Gedichte von Ernst Jandl herausbrachte, war das Fass endgültig übergelaufen. Es handelte sich um die später legendär gewordene Sammlung "Laut und Luise", einen Klassiker mittlerweile, mit dem heute sprichwörtlich bekannten Gedicht:

    lichtung

    /manche meinen / lechts und rinks / - kann man nicht / velwechsern. / werch ein illtum!

    Otto F. Walter wurde von seiner eigenen Familie aus dem eigenen Verlag herausgeschmissen. Er ging daraufhin als Verlagsleiter zu Luchterhand, mitsamt seinen Autoren, u.a. Bichsel, Heißenbüttel, Jandl.

    Es waren die Nachkriegsjahre. Adenauerzeit. In Deutschland sprach man bereits vom Wirtschaftswunder, aber überall in den deutschen Städten waren die Ruinen noch sichtbar, die Trümmerberge noch nicht abgetragen. Zwölf Jahre des Dritten Reiches hatten tiefe Spuren hinterlassen, nicht zuletzt in den Köpfen der Menschen.

    Der europäische Faschismus ließe sich, fürchte ich, auch als Triumph des gesunden Menschenverstands über die Vernunft betrachten. Oft genug, angefangen mit den Bücherverbrennungen, haben die Nazis das Volksempfinden, das sie das "gesunde" nannten, gegen die verschiedenen Erscheinungsformen moderner Kunst, immer erfolgreich, mobilisieren können. Noch die späteren Pinscher des späteren Bundeskanzlers Ludwig Erhard verdanken sich dieser Gemütslage.

    Während der Nazi-Herrschaft war Deutschland von den Entwicklungen der Moderne abgeschnitten. Nach dem Krieg hatten die Deutschen also nicht nur andere Sorgen, sie hatten auch nur geringe Kenntnisse vom Stand und von der Entwicklung moderner Dichtung.

    1956 veröffentlichte der Freiburger Romanist Hugo Friedrich seine epochale Studie "Die Struktur der modernen Lyrik. Von Baudelaire bis zur Gegenwart". Es war der erste Versuch überhaupt, die Modernität modernen Dichtung der letzten hundert Jahre umfassend zu beschreiben. Friedrich musste allererst die Kategorien entwickeln, mit denen sich die "Struktur" der neuen Lyrik beschreiben ließ. Unter Struktur verstand er kein starres Gefüge, sondern eine, wie er es nannte, "typenhafte Gemeinsamkeit von Verschiedenem". Also die "Gemeinsamkeit lyrischen Dichtens, die in der Abkehr von klassischen, romantischen, naturalistischen, deklamatorischen Traditionen, eben in ihrer Modernität besteht". Im gleichen Jahr 1956 hatte Peter Szondi übrigens seine, später ebenfalls berühmt gewordene Studie "Theorie des modernen Dramas", Überlegungen von Ibsen bis zur Arthur Miller, vorgelegt. Es waren erste Ansätze. Mehr nicht. Auch das Anschauungsmaterial fehlte noch weitgehend.

    Im Anhang seines Buches präsentierte Friedrich einige Beispiele, Eluard, T.S. Eliot, Garcia Lorca, Ungaretti, Benn. Der Literaturwissenschaftler und Dichter Walter Höllerer stellte einige Sammlungen zusammen, darunter, gemeinsam mit Franz Mon "Movens", experimentelle Lyrik in der Nachfolge des Dadaismus.

    Erst 1960, fünfzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erschien, als Textsammlung, die erste wirkliche Bestandsaufnahme moderner Lyrik: Hans Magnus Enzensbergers "Museum der modernen Poesie".

    Dieses "Museum", dass der damals gerade dreißigjährige junge Dichter, wie er es artig nannte, "eingerichtet" hatte, musste sogleich als eine doppelte Provokation erscheinen. Mit seinen beiden ersten Gedichtbänden, "verteidigung der wölfe" (1957) und landessprache" (1960), war der Autor ohnehin als "zorniger junger Mann" bekannt geworden. Jetzt legte er noch eine kräftige Schippe zu. Während die alten Widersacher des Neuen den "Verlust der Mitte" noch beklagten, die "Überwindung des Nihilismus" forderten und sogar "das Ende der Neuzeit" befürchteten, während die gerissensten Gegner die Moderne dadurch erledigen wollten, dass sie, im Namen der Tradition, sie für antiquiert erklärten, kam Enzensberger daher und setzte den falschen Applaus gleich mit dem reaktionären Widerspruch. Er feierte eine Entwicklung und erklärte sie für abgeschlossen

    Er baute ein imponierendes Monument, aber stellte es zugleich ins Museum. Er eröffnete damit allerdings dem deutschen Publikum überhaupt erst einen Blick auf die Entwicklung der modernen Literatur, von der Deutschland praktisch drei Jahrzehnte lang abgeschnitten war.

    Er präsentierte die Protagonisten der Moderne mit ihren Gedichten, die zwischen 1910 und 1945 entstanden sind, und teilhaben an einer, wie er es emphatisch nennt, "Weltsprache der modernen Poesie".

    1908 war der erste Gedichtband von Ezra Pound erschienen, 1909 folgten William Carlos Williams und Saint-John Perse, 1910 die Russen Chlebnikov. Von all dem war nur wenig zu uns gedrungen.

    Enzensberger präsentierte Gedichte von Rafael Alberti bis zu Jiri Wolker, er stellte Mandelstamm und Majakowski vor, Kavafis, den Griechen, Nazim Hikmet, den Türken, den Portugiesen Fernando Pessoa, den Mexikaner Octavio Paz, die deutschen Expressionisten, Ungaretti, Montale und Neruda, die Amerikaner Wallace Stevens und William Carlos Williams. Die meisten dieser Dichter waren 1960 in Deutschland nicht einmal dem Namen nach bekannt. Von den dreihundertzweiundfünfzig Gedichten - von denen die Hälfte überhaupt erstmals in deutscher Sprache zugänglich wird -

    Von den dreihundertzweiundfünfzig Gedichten hätte vor zwanzig Jahren in Deutschland kaum ein einziges im Druck erscheinen können. Seit ihrer Entstehung sind sie niemals überall frei zugänglich gewesen. Kein faschistischer Autor ist in diesem Museum vertreten; unter seinen hundert Verfassern haben sich nur zwei vorübergehend und konfus mit der Barbarei eingelassen.

    Wobei Enzensberger ausdrücklich betont: er habe sich "jeder ideologischen Vorzensur strikt enthalten". Andererseits waren aber viele seiner Protagonisten ins Exil, die Verbannung gegangen, oder in Gefängnissen und Lagern festgehalten, umgebracht, ermordet worden. Schon durch solche bio-bibliographischen Hinweise wird etwas von dem Pathos des Widerstands deutlich, mit dem Enzensberger, und nicht nur er, die moderne Dichtung feierte.

    Der Gang durch dieses Museum wurde darum für die deutschen Leser zu einer, durchaus noch abenteuerlichen, Entdeckungsreise.

    Zugleich aber deklarierte Enzensberger seine Sammlung schon als historisch erledigt. Der Begriff des Museum wirkte aufreizend. Was den Deutschen neu erschien, war halt, wie er etwas schnippisch sagte, hundert Jahre alt - die moderne Poesie. Sie gehöre der Geschichte an.

    Moderne Poesie heißt hier: Poesie nach Whitman und Baudelaire, nach Rimbaud und Mallarmé. Die ‚Grashalme' sind 1855, die ‚Blumen des Bösen' 1857 erschienen. Unzweideutig und strahlend war die Modernität zugegen im Werk dieser wenigen, einzelner tiefsinniger Naturen, die wie versiegelte Brunnen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gestanden und mit Arcanis gehandelt haben (Brentano). Rimbaud war es, der sie zur unbedingten Forderung erhob: Il faut etre absolument moderne!

    Enzensberger konstatiert das Verlangen dieser Dichtung nach "ihrer Theorie", erkennt aber im gleichen Zug das Bestreben, sich jeder theoretischen Bändigung zu entziehen.

    Die Poetik der modernen Poesie wird sich freilich nicht normativ abfertigen, sondern höchstens deskriptiv vorzeigen lassen. Das ist nicht die Aufgabe eines Museums, eher die seiner Besucher und Benutzer. Ehe man daran geht, ihre Poetik zu beschreiben, müssen die Texte selber hinreichend bekannt gemacht werden. Das geschieht hier ohne Kommentar.

    Die Weltsprache der modernen Poesie soll für sich selber sprechen. Die Dichter dieser Epoche, die vor dem Ersten Weltkrieg begann und mit dem Zweiten endete, haben unter sich ein bislang beispielloses "Einverständnis" erreicht und tatsächlich eine Weltliteratur hervorgebracht. Es handele sich also nicht um eine Anthologie, will heißen "Blütenlese", die das Schönste, Beste, Berühmteste der Epoche vorstellt, sondern um die Dokumentation eines Prozesses, den auch Enzensberger erst ansatzweise (und nur unzulänglich) beschreiben konnte.

    Denn: Die Theorie der Moderne stand noch aus.

    Der Prozeß der modernen Poesie führt, wie sich an den Texten dieses Museums zeigen lässt, in wenigstens fünfunddreißig Ländern zu Ergebnissen, die Vergleich über Vergleich herausfordern. Er führt, mit einem Wort, zur Entstehung einer poetischen Weltsprache.

    Die Einrichtung dieses Museums nimmt Rücksicht auf diese Tatsache. Nicht nach Art einer Weltausstellung folgt hier ein Länderpavillon dem anderen. Es ist also weder nach Ländern, noch nach Autoren, auch nicht chronologisch gegliedert. Die Anordnung habe auch kein System, sondern sei das Resultat eines "freien Spiels mit den Texten" - bis sich "aus ihnen ein Kontext", und das heißt auch eine Gliederung in zehn Kapitel ergeben habe. Gattungsnamen, Themen - also Augenblicke und Ortschaften ebenso wie Klagen, Figuren und Zeitläufte.

    Dieser Prozeß führte die moderne Poesie immer weiter weg von ihrem Publikum. Der Vorwurf der Unverständlichkeit trifft. Nicht nur weil, wie Enzensberger einräumt, auch Pindar und Geothe, letztlich also alle Gedichte dunkel seien. Widerspruch zeichne die klassische wie die moderne Kunst aus. Nur dürfe, meint Enzensberger noch etwas nassforsch, "die Unerträglichkeit nicht zugegeben werden". Die Gesellschaft habe sich dafür "eigene Institutionen geschaffen", um diese Sprengkraft der Kunst zu entschärfen. An solchen Ausführungen lässt sich deutlich ablesen, wie weit selbst Enzensberger damals noch von einem Begriff der Moderne entfernt war. Sozusagen: wie ‚früh' es überhaupt noch war.

    Adornos Aufsatz "Voraussetzungen", der später in die "Noten zur Literatur" aufgenommen wurde, erschien erstmals 1961 in der Zeitschrift "Akzente". Ebenso sein "Versuch, das Endspiel zu verstehen". Wichtige Bausteine also. Die Vorlesungen zur Ästhetik der Moderne, die in die spätere "Ästhetische Theorie" eingegangen sind, hatte Adorno noch gar nicht begonnen.

    In den "Voraussetzungen" behauptet Adorno nun, die Unverständlichkeit der gegenwärtig legitimen Kunst sei nur die "Konsequenz aus einem der Kunst an sich Eigentümlichen". (139) Verstehen, heißt es dann in dem "Versuch, das Endspiel zu verstehen", meine also "nichts anderes als seine Unverständlichkeit verstehen, konkret den Sinnzusammenhang dessen nachkonstruieren, dass es keinen hat." (II,190)

    Die Provokation, die von der gegenwärtigen Kunst ausgehe, vollstrecke zugleich "das historische Urteil über die zum Missverständnis degenerierte Verständlichkeit". (III,139)

    Mit solchen Bemerkungen setzte sich Adorno, bewusst, dem -

    triumphalen Hohn all der Wohldenkenden aus", die "schon mit dem Vorsatz gewappnet sind, sich darüber zu ereifern, dass dies denn doch auch fortschrittlichen und aufgeschlossenen Leuten zuviel zumute. Ich kann mir vorstellen, mit welcher Befriedigung manche meinen Worten entnehmen, ich verstünde es also auch nicht. Aber ich möchte vor diesem bequemen Triumph warnen. In Kunst - und, so möchte ich denken, in ihr nicht allein - hat Geschichte rückwirkende Kraft. Die Krisis der Verständlichkeit, heute weit akuter als vor fünfzig Jahren, reißt auch ältere Werke in sich hinein. Insistierte man darauf, was Verständlichkeit von Kunst überhaupt bedeutet, so müsste man die Entdeckung wiederholen, dass sie wesentlich abweicht vom Verstehen als der rationalen Auffassung eines wie immer auch Gemeinten.

    Entsprechend behauptete auch Enzensberger, die Anlage seines Museums sei von den Texten "selbst gefordert". Sie widerspreche allerdings einem Hauptsatz der modernen Poetik. "Schließe das Wirkliche aus, es ist gemein. (Mallarmé)

    Der Dichter hat keinen Gegenstand. (Reverdy)

    Es gibt keinen anderen Gegenstand für die Lyrik als den Lyriker selbst. (Benn)

    Gegen die traditionelle Stoffhuberei, die damals noch zwanglos zu der beliebten Frage führte, was der Dichter uns zu sagen habe, besteht die moderne Poesie auf der reinen Form. Mit der Pointe freilich, die erst von Adorno deutlich ausgesprochen wurde, nämlich: dass sich der "Formalismus als wahrer Realismus" erweise. Ein bisschen platt übersetzt: in den Abstraktionsprozessen der Kunst zeige die "Realabstraktion" der Gesellschaft. Realismus in der Kunst sei "Ideologie geworden". (III,145) Mit den Prozeduren, "die anordnungsgemäß das Reale spiegeln", werde eine "nichtexistente Versöhntheit der Realität mit dem Subjekt" vorgetäuscht.

    In der Kunst - und nicht nur in der Kunst - habe Geschichte "rückwirkende Kraft", meinte Adorno. Der Zuwachs an historischen Erfahrungen verändert tatsächlich die Vergangenheit. Es mag paradox wirken, wenn diese Einsicht auf den Zusammenhang bezogen wird, aus dem sie selbst entsprungen ist. Enzensbergers "Museum der modernen Poesie" hat selbst Geschichte gemacht, kanonbildend gewirkt. Das "Museum" stand gleichsam im Prozeß der Moderne. Es ist, in diesem Sinne, auch darin aufgegangen. Die neuesten Neuentdeckungen, die Enzensberger präsentieren konnte, zählen längst zum traditionellen Bestand. Aber auch umgekehrt hat die Gegenwart zurückgewirkt. Was damals "dunkel" war, ist vom Gang der Geschichte gleichsam erhellt worden. Die Veränderungen all unserer Wahrnehmungs- und Reaktionsweisen, die Walter Benjamin am Beginn der Moderne, an Baudelaire, sichtbar machen konnte, sind uns zur zweiten Natur geworden, nicht anders als die Schnitt- und Montagetechniken, die einst das Publikum so verstörten wie uns heute die damaligen Reaktionsmuster irritieren.

    Das heißt: die Moderne selbst ist zur Tradition geworden. Sie heißt heute auch entsprechend: Klassische Moderne. Die Provokation des Neuen hat sich verbraucht. Das Neue galt als eine zentrale Kategorie der modernen Dichtung. Es zehrte naturgemäß von dem Fortschrittsbegriff des 19. Jahrhunderts, lud also noch den letzten Vers mit dem Pathos einer Geschichtsphilosophie auf, die ihre teleologische Hypothek nie loswerden konnte. Enzensbergers selbst war es, der diese Vorstellungen noch einmal aufgenommen, ironisch gebrochen und dann endgültig verabschiedet hat. Sein Versepos vom "Untergang der Titanic", spielt, leicht wehmütig, noch einmal die alte Melodie und lässt sie dann, ganz leise, einfach verklingen. Die Epochenschwelle, die in dieser, wie Enzensberger es nannte, "Komödie" markiert wird, war damals vielleicht noch gar nicht wahrnehmbar. Inzwischen ist das Neue alt geworden und vom Fortschritt keine Rede mehr.

    Das Museum der modernen Poesie war vor über vier Jahrzehnten, als es erstmals ausgestellt wurde, noch als Prozess zu begreifen. Heute zeigt es sich, was seiner Anlage zutiefst widerstrebt, aber seinem Titel entspricht als - Museum.