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Flüchtige Begegnung

Das Frankfurter Jüdische Museum zeigt seine Ausstellung auf einem Pop Up Boat. Das Schiff wird einige Wochen vor Anker liegen, zum Laubhüttenfest am 16. Oktober verschwindet es wieder. Ist das ein Versuch, eine neue Lockerheit im Umgang mit jüdischer Geschichte und Kultur zu finden?

Von Ludger Fittkau | 15.09.2016
    Ein Hausboot mit einem kastenförmigen Aufbau auf dem Main.
    Das Design des Pop-Up-Boats soll an die jüdische Tradition des Laubhüttenfestes erinnern. (Jüdisches Museeum Berlin / NORBERT-MIGULETZ)
    Die Tel-Aviv Bar auf dem Schiff bietet israelische Spezialitäten an. Von den gut besetzten Tischen in der Bar hat man einen großartigen Blick auf das gegenüberliegende Mainufer, auf die Hochhaus-Kulisse von Frankfurt und den Dom. Am Heck des mehrere hundert Quadratmeter großen Schiffes ist aus hellem Holz eine bequem begehbare Hütte zusammengezimmert. An den Wänden hängen in kleinen Ausstellungskästen jüdische Kultgegenstände und andere, profane Sammlungsobjekte des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main. Es ist ein auffälliger Kontrast: Die ungezwungene Atmosphäre eines Ausflugschiffes gepaart mit Zeremonialobjekten, die man eher in einer Synagoge oder einem frommen Haushalt vermutet. Ist das ein Versuch, eine neue Lockerheit im Umgang mit jüdischer Geschichte und Kultur zu finden? Mirjam Wenzel, Chefin des Jüdischen Museums:
    "Ausgangspunkt der Überlegungen einer temporären Plattform war tatsächlich so was wie die jüdische Tradition temporärer Architekturen, die insbesondere mit Sukkot, also dem Laubhüttenfest zu tun hat oder dort deutlich wird. Weil man Sukkot in einer Laubhütte feiert, zusammen isst, eventuell auch schläft, spricht. Das war der Ausgangspunkt unserer Überlegung und deswegen enden wir auch just an diesem Fest, an diesem Laubhüttenfest mit einem großen gemeinsamen Essen."
    Das wird am 16. Oktober sein. Bis dahin wird das Laubhütten-Fest-Boot am südlichen Frankfurter Mainufer eine Vielzahl kultureller Veranstaltungen bieten. Inhaltlich geht es da etwa um "Religiosität und Feminismus" oder um jüdische Identitäten im heutigen Deutschland. Ein Schwerpunkt sind die jüdischen Perspektiven auf die Flüchtlingskrise in Europa. Fritz Backhaus, stellvertretender Direktor des Museums:
    "In unserem Veranstaltungsprogramm wird ein wichtiges Thema die Erfahrung der 'Kontingent-Flüchtlinge' sein. Das heißt derjenigen, die in den 90er Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen sind. Da stecken wichtige Erfahrungen auch zur Frage der Integration, der Verwandlung oder Umwandlung und auch der Probleme von Identität, die sicher auch für die gegenwärtige Situation von großem Interesse sind. Deshalb ist das auch ein wichtiger Schwerpunkt."
    Ein Sperrholzhauses auf dem Schiff soll an die jüdische Laubhüttentradition erinnern und an einer Wand davon sind kleine Holzkästen montiert. Dort sind hinter Glas in unter anderem silberne Teller, Leuchter und andere religiöse Kultgegenstände zu sehen.
    Eine Sperrholzwand mit kleinen Holzkästen und jüdischen Zeremonialobjekten.
    Jüdische Zeremonialobjekte sind oft Fälschungen. Diese hier auch. (Jüdisches Museeum / NORBERT-MIGULETZ)
    Mirjam Wenzel:
    "Wir zeigen diese Objekte hier als Verweis auf unsere Judaica-Sammlung, die wir auch auf neuartige Art und Weise präsentieren wollen in der neuen Dauerausstellung. Wir zeigen sie aber auch, weil sie Fälschungen sind. Der Bereich der jüdischen Zeremonialobjekte ist ein sehr schwieriges Sammlungsgebiet. Es gibt in diesem Bereich wirklich unzählige Kopien und Fälschungen. Das heißt das, was sie hier wertvoll sehen hat nicht den Wert, den sie wertvoll annehmen. Nach dem Holocaust gab es weltweit nur noch wenige Fachleute, die die Echtheit jüdischer Zeremonialobjekte zweifelsfrei bestimmen konnten."
    Das ändere sich erst langsam wieder. Gleich neben den gefälschten Silberobjekten ist eine einzige echte Postkarte in einem kleinen Guckkasten ausgestellt. Es handelt sich um eine antisemitische Postkarte des Hotels Kölner Hof in Frankfurt am Main aus dem Jahr 1910. Mirjam Wenzel:
    "Der Kölner Hof war direkt am Bahnhof, er ist bekannt dafür, dass er sogenannte 'Freifahrt-Karten' nach Jerusalem verschickt hat. Weit verschickt hat an die jüdische Bevölkerung damals - aber auch an andere. Mit einer eindeutigen Aufforderung."
    Juden wurden bereits 1910 im Kölner Hof nicht bedient mehr als zwei Jahrzehnte vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Wie das Jüdische Museum in der neuen Dauerausstellung mit solchen Antisemitica umgehen wird, ist noch nicht ganz klar. Doch die Geschichte des antisemitischen Kölner Hofes am Hauptbahnhof Frankfurt am Main um 1900 wird wohl ein Thema werden, so Fritz Backhaus, stellvertretender Direktor des Museums:
    "Wir zeigen auch an diesem Fall, welche Art von Gegenmaßnahmen, welche Arten von Bekämpfung des Antisemitismus ausprobiert worden sind. Es gab rechtliche Vorstöße, dem Kölner Hof zu verbieten, jüdischen Besuch zu untersagen. Das konnte nicht durchgesetzt werden, aber es gab eine lange Auseinandersetzung. Und das Traurige ist, dass der Kölner Hof eben sehr erfolgreich war mit dieser Art von Propaganda. Das war in ganz Deutschland bekannt als Hotel und wir wissen, dass das auch leider ökonomisch erfolgreich war. Antisemiten aus ganz Deutschland, wenn sie nach Frankfurt kamen, sind dort abgestiegen. Aber es war kein Einzelfall. Es gab eine ganze Reihe von Hotels auch an anderen Orten, ganze Kurorte oder Ferieninseln wie die Insel Borkum, das ist ein anderer berühmter Fall, die eben schon um 1900 damit Propaganda gemacht haben, lange vor der Nazizeit."
    Das Pop-Up-Boot wählt bewusst den Kontrast zwischen Freizeit-Dampfer-Atmosphäre und historisch-kultureller Bildung. Es ist möglich, einfach nur locker ein Getränk in der Bar zu genießen. Doch sobald man sich auf dem Schiff genauer umsieht, stößt man auf irritierende Dinge. Das Schiff wird bald wieder verschwunden sein. Doch die Geschichten, die hier erzählt werden, verschwinden nicht mit. In einigen Jahren werden sie im neugestalteten Museum auf der anderen Mainseite plötzlich wieder auftauchen.