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Musharrafs zweiter Putsch

Die Besorgnis in Washington, Berlin und Brüssel ist groß. Seit Pakistans Präsident Musharraf den Ausnahmezustand über sein Land verhängt hat, folgt Appell auf Appell: Das Land an der Grenze zu Iran, Afghanistan, China und Indien möge auf den Pfad der Demokratie zurückkehren und die Verfassungsregeln respektieren. Doch danach sieht es nicht aus.

Eine Sendung von Thomas Kruchem und Klaus Remme |
    Seit gestern ist die Verfassung außer Kraft gesetzt. Die für Januar geplanten Parlamentswahlen sind voraussichtlich für ein Jahr verschoben. Mehr als tausend Bürgerrechtler und Oppositionelle sollen verhaftet oder unter Hausarrest gestellt worden sein. Private und ausländische Nachrichtensender mussten ihre Programme einstellen.

    Mit der Verhängung des Ausnahmezustands kam Präsident Musharraf einem Urteil des Obersten Gerichtshofes Pakistans zuvor, der in den nächsten Tagen entscheiden wollte, ob Musharrafs Wahl zum Präsidenten im Oktober rechtens war, und ob er sein Amt antreten dürfe, solange er noch Oberbefehlshaber der Armee sei.

    Während Präsident Musharraf den Notstand als "Rettung Pakistans vor dem Selbstmord" bezeichnete, sprach die aus dem Exil zurückgekehrte ehemalige Regierungschefin Benazir Bhutto von einem "kleinen Kriegsrecht", das sie nicht akzeptieren wolle.

    Wer sind die Akteure in diesem jüngsten Machtkampf in Pakistan, und: Wie wird sich die demokratisch gesinnte Opposition und wie werden sich die Islamisten verhalten ? Thomas Kruchem mit einer Analyse.

    "Wir stehen hier, um die Unabhängigkeit unserer Gerichte zu verteidigen, die Unabhängigkeit unserer Institutionen und damit auch die Menschenrechte. Militär und Regierung haben mit ihren Eingriffen in die Gerichtsbarkeit Pakistans die rote Linie eindeutig überschritten. Und wir Anwälte haben nun die Pflicht für freie Gerichte zu kämpfen, für ein freies Parlament und demokratische Institutionen. Nur so hat Pakistan eine gute Zukunft."

    Islamabad, Pakistan. Am 20. Juli 2007 wartet Rechtsanwalt Mohammed Shorish mit Dutzenden Kollegen vor dem schneeweißen Palast des Obersten Gerichtshofs an der Constitution Avenue. Dieses Gericht wird an diesem Tag seinen von Präsident Pervez Musharraf abgesetzten Vorsitzenden Ifthikar Chaudhry wieder ins Amt einsetzen - eine beispiellose Demütigung für den Präsidentengeneral, dem der Gerichtshof acht Jahre lang alle rechtliche Willkür abgesegnet hatte. An diesem Freitag im Juli ahnt Musharraf, dass sich sein Militärregime mit demokratischem Deckmantel wohl nicht länger aufrecht erhalten lässt - seit acht Jahren ist es im Amt. Die Alternativen heißen: echte Demokratisierung, die militär- und regimkritische Parteien an die Macht spülen würde, oder offene Militärdiktatur. Seit gestern dürfte feststehen, wofür sich Musharraf entschieden hat. - Pakistan steht seit seiner Gründung 1947 und dem ersten Bruderkrieg mit Indien unter Militär-Kuratel. Erstmals 1956 putschte sich ein General, Ayub Khan, an die Macht. Ein weit verästelter Geheimdienst entstand und - mittels Zwang, Korruption und Patronage - ein weltweit beispielloses militärisches Wirtschaftsimperium, das als sichere Machtbasis gilt, erklärt in Karachi Asad Bangali, einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler Pakistans.

    "Pakistans Militär ist sehr stark wirtschaftlich engagiert. Es ist der größte Landeigentümer im Lande, besitzt riesige Agrarbetriebe und ausgedehnte Gebäudekomplexe in den Großstädten. Professionell operierende Firmen der Armee verwalten diese Unternehmungen. Der örtliche Kommandeur ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzender. Darüber hinaus besitzt das Militär zahlreiche Fabriken, Zuckermühlen und so weiter. Es betreibt Banken, Leasingfirmen, sogar Tankstellen. Das Militär ist also hier in Pakistan vor allem ein kommerziell operierender Konzern."

    Ein Konzern, der in den Zentren der großen Städte gepflegte Viertel besitzt, wo pensionierte Offiziere mit lukrativen Posten in militäreigenen Unternehmen luxuriöse Villen bewohnen; ein Unternehmen mit "High Tech"-Potential: Das Militär Pakistans, wo 40 der 160 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze leben, besitzt seit 1998 die Atombombe. Auch deshalb kann derzeit wohl keine Macht der Welt dieses Militär von den Hebeln der Macht entfernen. Da indes die politisch stark mobilisierten Pakistani Militärdiktaturen gar nicht mögen, ließen die Offiziere immer mal wieder ein Stück Demokratie zu. Stellte jedoch ein Premier die Macht der Militärs in Frage, wurde gleich wieder geputscht. So geschah es Zulfikar Ali Bhutto, dem Vater von Benazir Bhutto, 1977 und Nawaz Sharif, dem Führer der Muslim-Liga, 1999. - "Demokratische Parteien bringen nur Ärger." Aus dieser Haltung heraus suchte schon Diktator Zia ul Haq 1977-88 das Bündnis mit islamistischen Parteien und warf Pakistan beinahe ins Mittelalter zurück. Auch General Musharraf stützt sich auf ein Bündnis mit islamistischen Parteien; diese regieren die nordwestliche Grenzprovinz, Baluchistan und die Stammesgebiete im Westen; Parteien, die ganz offen die Taliban in Afghanistan unterstützen. Ein Bündnis, das Musharraf in die Zwickmühle gebracht hat: Seit 2002 nämlich muss er - auf Druck der USA, die ihm dafür bislang zehn Milliarden Dollar bezahlt haben - die eigenen Partner bekämpfen oder zumindest so tun als ob, mit strategisch sinnlosen Militäraktionen, die schon tausend Soldaten und ein Vielfaches an Zivilisten das Leben gekostet haben. Aktionen, die den Bündnispartner USA frustrieren, die islamistischen Partner irritieren und in der Bevölkerung blanke Wut erzeugen - mit dem Ergebnis, dass sich inzwischen landesweit immer neuer islamistischer Widerstand Luft macht. Die Vorgänge in der "Roten Moschee" von Islamabad im Juli dieses Jahres dokumentieren das - und die seit der Stürmung der Moschee anhaltenden Selbstmordattentate, denen islamische Autoritäten im ganzen Lande viel Verständnis entgegenbringen...

    ... Geistliche wie Mufti Muhtar Ullah in der Koranschule, der Madrassa "Dar-Ul-Uluum-Haqania" außerhalb Islamabads.

    "In diesen Selbstmordanschlägen sehe ich zutiefst menschliche Reaktionen auf das, was Präsident Musharraf getan hat. Der Islam ist eine Religion des Friedens. Er predigt Frieden, und es gibt dort eigentlich keinen Raum für Selbstmordanschläge. Wenn jedoch bestimmte Elemente in diesem Land fromme Muslime geradezu abschlachten, dann muss man halt irgendwie reagieren."

    Welche Rolle der militärische Geheimdienst ISI in solchen Gründen spielt; ob er sie vielleicht selbst ins Leben ruft, um sie dann an Stelle der islamistischen Bündnispartner bekämpfen zu können - darüber wird in Pakistan viel spekuliert. Fest steht, dass Musharraf etliche islamistische Organisationen einerseits verbietet, sie andererseits jedoch weiter operieren lässt. Tehseen Ullah nennt ein Beispiel. Er ist Leiter einer Bürgerinitiative in Peshawar, die dem militanten Islam kritisch gegenübersteht.

    "Die Organisation "Leshkaretajaba” wurde zusammen mit mehreren anderen Gruppen verboten in Pakistan, operierte aber ohne Unterbrechung weiter unter dem neuen Namen 'Jamat-i-Taba'. Nach dem Erdbeben von 2005 leistete 'Jamat-i-Taba' im großen Stil Nothilfe, was die Regierung der USA zu besorgten Kommentaren veranlasste. General Musharraf jedoch sagte im Fernsehen, 'Jamati-i-Taba' habe großartige Arbeit geleistet. Er erwähnte speziell diese Organisation und machte sie so auf einen Schlag landesweit bekannt. Unzählige Menschen schicken seitdem Geld an 'Jamat-i-Taba' mit der Folge, dass diese Organisation ihre politische Position in der gesamten Hazara-Region verbreiten konnte. "

    Fazit: General Musharraf begründet seinen Putsch mit islamistischen Unruhen, zu denen er selbst nach Kräften beigetragen hat. Doch nicht nur er. Die gesamte politische und wirtschaftliche Elite in Pakistan, inklusive der Milliardärsfamilien Bhutto und Sharif, hat eine zentrale Voraussetzung dafür geschaffen, dass islamistischer und sozial motivierter Aufruhr in Pakistan zunimmt: die Massenarmut im Lande. Insgesamt 60 Millionen Menschen in Pakistan leben unter der Armutsgrenze.

    General Musharraf hat lange gezögert mit der Verhängung des Ausnahmezustands. Bis zuletzt versuchte er, seine Macht unter Wahrung einer demokratischen Fassade zu bewahren - wobei ihn die blutigen Anschläge im Lande eher wenig störten. Weit größere Sorge bereitete Musharraf der Oberste Richter Ifthikar Chaudhry. Er werde sich bei seiner unmittelbar bevorstehenden Entscheidung, ob Musharraf am 6. Oktober legal zum Präsidenten wiedergewählt wurde, strikt nach der Verfassung richten, hatte Chaudhry angekündigt. Und die pakistanische Verfassung sagt in Artikel 43 eindeutig: Ein Präsident darf nicht zugleich Oberbefehlshaber der Armee sein. Eine fatale Situation für den Präsidentengeneral: Ohne Uniform hätte er bald keine Basis mehr im Militär; und nach den ursprünglich für Januar geplanten Parlamentswahlen hätte er den wahrscheinlichen Siegern Bhutto und Nawaz Sharif kaum mehr etwas entgegenzusetzen. Musharraf sah sich also vor die Wahl gestellt: Putsch oder Rücktritt. Dass der General sich noch einmal acht Jahre an der Macht hält, ist indes unwahrscheinlich: Er hat mittlerweile einfach zu viele Gegner: die gemäßigten politischen Parteien mit wohl 80 Prozent des Wählerpotentials; die radikalen Islamisten, die Nationalisten zum Beispiel im unruhigen Baluchistan. Hinzu kommt: Die Pakistaner lassen sich nur solange mit Knüppeln und Gewehren unterdrücken, wie der einfache Soldat mitmacht. Das wissen auch Musharrafs Kollegen in der Armeeführung - erklärt in Islamabad General Asad Durrani, in den 90er Jahren Chef des Geheimdienstes ISI. Ein General, der heute zum Frieden beitragen will - im Lande und in der Region. Musharraf kann sich zumindest an einer Front Ruhe verschaffen, meint Durrani. Dazu aber müsse er - auch gegen den Willen der USA - die sinnlosen Militärattacken gegen die Islamisten einstellen. Musharraf müsse sich mit Afghanistans Präsident Karsai an einen Tisch setzen und...

    "Beide Regierungen müssen "Nein" sagen zu weiteren Militäraktionen, weil sie einfach nichts bringen außer Problemen. Alle NATO-Kommandeure einschließlich der deutschen stimmen doch in zumindest dem Punkt überein: dass die Situation sich verschlechtert hat und durch weitere Militäraktionen weiter verschlechtern wird. - Wir Pakistaner müssen nun gemeinsam mit der Regierung Afghanistans den Kurs korrigieren und versuchen, Wunden zu heilen. Machen wir weiter wie bisher, verschlimmern wir unser Scheitern nur noch. Auf gar keinen Fall können wir mit militärischen Mitteln unsere Bevölkerung kontrollieren, und die NATO auch nicht Afghanistan. "

    Seit den Terroranschlägen des 11. September ist Pakistan enger Verbündeter der Vereinigten Staaten im Anti-Terrorr-Kampf. Aber Pakistan ist mehr: Die Islamische Republik ist Nuklearmacht und entsprechend groß ist die Furcht vor den religiösen Spannungen, die mit dem nun verhängten Ausnahmezustand zu eskalieren drohen. Aus Washington berichtet Klaus Remme:

    Es war am vergangenen Dienstag, als sich Senator Joe Biden in einer Debatte der demokratischen Präsidentschaftskandidaten ereiferte. In der Diskussion überboten sich mehrere Kandidaten in mutiger Entschlossenheit, keine Atomwaffen für die Iran zuzulassen. Biden ist Vorsitzender im Auswärtigen Auschuss des US-Senats. Leute, sagte Biden, das Ganze ist hochkompliziert, keiner redet hier über die Folgen:

    "Wenn wir den Iran angreifen, um zu verhindern, dass Teheran 2,6 Kilo hochangereichertes Uran bekommt, und dadurch die Regierung in Pakistan kippt, das längst Atomwaffen stationiert hat, mit Raketen die Israel und Indien erreichen können, dann ist das unterm Strich ein schechter Handel für uns."

    Was ist die größte Bedrohung für die Vereinigten Staaten, fragte Biden:

    ""2,6 Kilo Uran für Teheran oder ein Pakistan außer Kontrolle? Das ist nicht mal eine knappe Entscheidung."

    Das war vor den jüngsten Ereignissen in Islamabad, verdeutlicht aber die Bedeutung Pakistans für Washington. Fast wäre es vor drei Monaten schon so weit gewesen. Musharraf wollte bereits im August den Ausnahmezustand verhängen. In einem nächtlichen Telefongespräch überzeugte US-Außenministerin Condoleeza Rice den General und Präsidenten, noch abzuwarten. Diesmal war selbst der unmittelbare Einfluss Washingtons in Gesprächen noch am Freitag nicht ausreichend.

    Ein herber Rückschlag für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, gerät hier doch ein bereits schwacher, aber zentraler Pfeiler im Kampf gegen den Terror ins Wanken. In Pakistan setzte Washington nur wenige Tage nach dem 11. September 2001 unmittelbaren Druck ein. Musharraf reagierte und vollzog eine dramatische sicherheitspolitische Wende. Weg vom Unterstützer der Taliban hin zur Rolle eines Verbündeten im Kampf gegen die Jihadisten. Der Lohn: ein enges Verhältnis zur Supermacht, trotz offensichtlicher massiver demokratischer Defizite, außerdem umfangreiche finanzielle Unterstützung. Seit 2001 sind über 10 Milliarden Dollar von Washington nach Islamabad geflossen. Weitere 750 Millionen sind für die nächsten Jahre vorgesehen. Der überwiegende Teil der Mittel ging an das Militär. Doch die Bilanz der Zusammenarbeit ist aus Sicht der Amerikaner aus zwei Gründen mager: Erstens, vor allem im Grenzgebiet zu Afghanistan ist die pakistanische Armee so gut wie wirkungslos. Dieser Rückzugsraum für die Taliban und Al-Qaida ist den USA ein Dorn im Auge und selbst eigene US-Militäraktionen werden dort nicht mehr ausgeschlossen. Doch auch im Pentagon ist man sich bewusst, dass derartige Operationen die anti-amerikanische Stimmung in Pakistan weiter anheizen und die Stellung Musharrafs weiter schwächen würden. Zweitens, die offiziell angekündigte Demokratisierung stockt. Auch wenn sich Musharraf gestern in seiner Rede zum Volk bewusst auf Abraham Lincoln berief, der im amerikanischen Bürgerkrieg doch auch demokratische Freiheiten kassiert habe: Der Fahrplan für Parlamentswahlen noch vor Januar wurde gestrichen, auch wenn die Rhetorik noch weitgehend aufrechterhalten wird. Pakistans Botschafter in den USA, Mahmud Ali Durrani gegenüber CNN:

    ""The United States is a partner and I'm sure they understand
    the difficult times that Pakistan is going through right now.”"

    Man sei Partner im Kampf gegen den Terror, so der Botschafter, die USA würden die schwierige Lager Pakistans sicher verstehen. Doch US-Außenministerin Condoleeza Rice sagte CNN während ihres Aufenthalts in Istanbul:

    "Die Verfassung außer Kraft zu setzen ist für uns kein Mittel, mit den Problemen fertig zu werden. Alles, was Pakistan vom Weg der Demokratisierung wegführt, ist ein Schritt zuück, sehr bedauerlich."

    Die politischen Optionen für Washington sind begrenzt. Lange Zeit hat sich George Bush auf Musharraf verlassen und zuletzt auf eine Zusammenarbeit zwischen dem Präsidenten und Benazir Bhutto gehofft. Diese Hoffnung ist zunichte gemacht. Außerdem ist alles andere als sicher, ob der Präsident in Uniform die gegenwärtige Krise politisch überlebt. Die gezielte Unterstützung demokratischer, ziviler Kräfte in Pakistan ist mangels einer substantiellen Basis in Pakistan kaum möglich. Das Militär ist allgegenwärtig.

    Druck durch Sanktionen, wie der Entzug militärischer Hilfe, etwa der Lieferung von F-16 Kampfflugzeugen, dürfte kontraproduktiv sein, sind die Streitkräfte doch der einzige zuverlässige Machtfaktor im Land. Alternativen in der Region sind ausgeschlossen. Washington braucht Pakistan, und Islamabad weiß das. Die vergangenen Jahrzehnte zeigen ein Auf und Ab der bilateralen Beziehungen. In den Augen Pakistans währte die Unterstützung der USA immer so lange, wie man benötigt wurde. Einst als Vorposten gegen die Sowjetunion nach deren Einmarsch in Afghanistan, jetzt als Verbündeter gegen die Islamisten. Insofern garantiert die labile Lage in der Region durchaus die Aufmerksamkeit und Hilfe aus Washington. Dieses Kalkül wird sich erst ändern, wenn Islamabad eine langfristige, glaubwürdige und belastbare Zusagen für ein amerikanisches Engagement bekommt. Dann könnte Washington auch versuchen, durch gute Kontakte zu Pakistan und Indien, diese regionale, aber nukleare Rivalität beizulegen. Der Kern für die Entspannung dieses für Pakistan existenziellen Machtkampfs existiert bereits.
    Pervez Musharraf
    Pervez Musharraf (AP)